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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

hin ausgedehnt, und Landhäuser und Gärten bilden die Umgebung des Denkmals.

Nachdem wir darauf eine kurze Strecke nordwärts auf der Landstraße vorangeschritten waren, kamen wir zu einer links ablenkenden Biegung derselben, die uns bald in den Bereich von Sleepy Hollow (schläfriges Thal) brachte. Zu beiden Seiten des Weges erblickt man jetzt ländliche Wohnungen und Gärten, welche dieser überaus schönen und mit Vorliebe besiedelten Gegend den Charakter der Einsamkeit und Stille benehmen, weshalb auch die Bezeichnung „Sleepy Hollow“ heut zu Tage weniger passend erscheint, als zur Zeit, in welcher Irving seine Erzählung schrieb. Ganz in der Nähe auf einem kleinen Hügel, rechts vom Wege, steht die alte Kirche, deren Lage im „schläfrigen Thale“ so anmuthig geschildert wird. Sie ist von geringem Umfange und schmucklos und erinnert mit ihrem kleinen Glockenthürmchen an jene größeren Capellen, die man in den katholischen Theilen Deutschlands häufig antrifft. Hier zu Lande, wo fast alle Gebäude neuen Ursprunges sind, gilt diese Kirche für alt, weil sie, wie eine Inschrift an der Vorderseite anzeigt, im letzten Jahre des siebenzehnten Jahrhunderts erbaut wurde. Schon von Weitem hörten wir die Glocke zum Nachmittagsgottesdienste läuten und sahen die Kirchengänger in ihrer sonntäglichen Kleidung von allen Seiten herbeikommen. Die Gemeinde gehört, wie ehemals, der holländischen reformirten Kirche (Dutch reformed Church) an. Dicht an die Kirche stößt der geräumige, mit Grabsteinen ganz bedeckte Kirchhof, „auf dem die Sonnenstrahlen so ruhig zu schlummern scheinen.“ Hier und da eine alte Grabschrift lesend, durchwanderten wir denselben und gelangten an die nördliche Grenze, woselbst ein zweiter neuerer Kirchhof an den alten stößt. Ein schmaler, von lebendigen Hecken eingefaßter Pfad trennt beide. Auf diesem neuen Kirchhofe schläft Irving den langen Schlaf. Eine eiserne unverschlossene Gitterthür mit der Inschrift „Irving“ führt zu einem eingehegten Platze, wo die Angehörigen Irving’s in langer Reihe schlummern. Sein Grab befindet sich in der Reihe und ist nicht von den übrigen verschieden: ein einfacher Rasenhügel – am Kopfende ragt eine schmucklose weiße Marmortafel hervor, welche seinen Namen, den Tag seiner Geburt (3. April 1783) und seines Todes (28. Novbr. 1859) anzeigt. Auf dem Grabhügel lag ein verwelktes Blumenkreuz. –

Einfach, wie des Mannes Leben war, ist sein Grab, und so ist es gut! Ein kostbares Denkmal aus Marmor oder Erz könnte seinen Ruhm nicht vermehren und würde einen schroffen Gegensatz zu der Anspruchslosigkeit bilden, welche Irving im Leben kundgab. Jene prunklose Grabstätte dagegen steht ganz im Einklange mit dem Charakter des Mannes, dessen Staub sie bedeckt. Die rauhen Stürme des Lebens haben längst alle überflüssige Empfindsamkeit von mir abgestreift, aber dennoch konnte ich mich einer tiefen Bewegung nicht erwehren, als ich am Grabe dieses trefflichen Mannes weilte, den ich schon in früher Jugend verehrt habe. Ebenso erging es meinen Begleitern. Schweigend verließen wir den Ort und begaben uns wieder nach Tarrytown, von wo aus uns der Abendzug nach der Metropole zurücktrug.

Karl Rau in New-York.




Von den Geheimnissen der Vogelstellerei.
Von Gebrüder Karl und Adolph Müller.
1. Auf der Tränke.


Die Erinnerungen aus der Jugend sind die lebhaftesten im Menschenleben. Vornehmlich bleiben die Eindrücke unverlöschlich, welche wir im unmittelbaren Verkehr mit der Natur und ihren Gebilden empfangen. Der Vogelfang und die Liebe zu den fröhlichsten Wesen der Fluren und Wälder bilden einen Mittelpunkt dieser Romantik und Naturpoesie des Volkes und der Jugend, und selbst der im Ernste des Lebens Stehende kann sich dem Zauber nicht verschließen, welchen die Erinnerung an die Beschäftigung jener Naturkinder auf unsere Seele ausübt. So steht noch jetzt, nach dreißig Jahren, die Gestalt des alten Fink, eines Vogelfängers unserer Vaterstadt, lebhaft vor unseren Seelen an jenem Tage, wo wir als Knaben ihn zum ersten Male auf den Finkenfang begleiten durften.

Der Eine von uns trug in drei niedrigen „Transportirkäfigen“ von Holz die „Lockvögel“, prächtige Distelfinken, einen Hänfling und einen Edelfinken; dem Andern hing Fink ein ziemlich umfangreiches Säckchen an, über dessen geheimnißvollen Inhalt er uns in spannender Neugierde und Erwartung ließ. Nach einem rüstigen Gang in der Septembersonne auf die benachbarten Ausläufer des Taunusgebirgs machte unser Führer plötzlich Halt in einem heimlichen Thälchen, durch das ein krystallheller Bach murmelte. Ihn umstanden Erlen und Ulmen auf einer Wiese, die an Felder mit Baumstöcken grenzte, durch welche im fernen Hintergrunde ein Dörfchen freundlich hervorblickte; von der Wiese ab dehnte sich einer jener freien Waldplätze, die der Forstmann als Blößen bezeichnet. Auf dieser mit Disteln über und über bewachsenen Steppe tummelten sich Gruppen Distelfinken herum. Ein Theil der Rührigen saß auf den Distelköpfen, ein anderer hing daran; hier kletterten von Stengel zu Stengel, von Kopf zu Kopf Ewigbewegliche, dort stritten sich Hähne mit dem hellen, zerrenden Kampfgeschrei um eine besonders reife, Samen versprechende Distelstaude herum und stiegen wohl auch manchmal, sich raufend, vor einander in die Höhe. Von den nahen Baumstöcken bis zur Distelsteppe hin flogen quälende ausgeflogene Junge um emsige Stieglitzenmütter mit ihrem unaufhörlichen „Zibet!“ – Töne, die von dem allen Fink mit dem Ueberschnappen der sich brechenden Stimme von Jüngling-Knaben verglichen wurden. Plötzlich rauschte, wie von einem unsichtbaren Ungefähr aufgeschreckt, der ganze Vogelschwarm von den Distelstauden, einen herrlichen Anblick von Gelb und Schwarz der ausgebreiteten Flügel darbietend, und nach einem Bogengang in den Lüften wieder in leisen Absätzen noch bunter als zuvor auf den Distelwald sich niederlassend. Uns ganz in das Treiben der Prachtvögel Versunkenen brachte Meister Fink zu einer etwas besonneneren Haltung mit der halblauten Mahnung: „Ihr Tausendsassa! mit Gucken und Lugen kriegt man keinen Vogel!“

Dabei schritt er auf eine breitere Stelle des Baches zu. Hier wurde das Bett desselben ganz seicht, so daß die weißen Kieselsteine überall heraussahen. Dieser Platz war eine sogenannte „Tränke“, eine Stelle, wo die Vögel an heißen Tagen besonders gern einfielen, um zu trinken und sich zu baden. Alle anderen seichten Stellen des Baches in der Nähe hatte der kluge Vogelsteller dicht mit Dornen belegt, um hier den Vögeln das Bad zu verwehren. An der Tränke bemerkten wir kleine Pfählchen, theils in das Ufer, theils in das Bachbett eingeschlagen. Sogleich schickte sich der Alte an, das Bündel auszukramen. Es enthüllte sich ein Netz von der Form eines länglichen Vierecks, aus viereckigen Maschen von feinem, aber starkem Bindgarn gestrickt, durch welche man knapp einen Finger durchstecken konnte.

Das Netz – „Garn“ genannt – mochte fünf bis sechs Fuß in die Breite und deren zehn bis zwölf in die Länge messen. Mittels starker Schleifen an den zwei Enden der Langseite wurde dasselbe in die zwei genau nach seiner ausgespannten Länge eingerammelten Pflöcke (aa) längs des Bachufers geschlungen und in eine schon vorhandene künstliche Erdrinne versenkt.

Die andere Langseite des Garnes (a’a’) – die sogenannte „Schlagwand“, lief an ihren beiden Ecken in zwei etwa acht Fuß messende „Leinen“ (a’b) aus; die ebenfalls in Schleifen endigten, um diese an die im Bachbette befindlichen, oben mit Haken oder Knöpfen versehenen Pflöcke (bb) zu schlingen – was Meister Fink das „Einbinden des Garnes“ nannte. Als dies geschehen war, holte dieser aus dem Säckchen zwei Stäbe von drei Fuß Länge (ss), die „Sprenkel“. Sie waren am einen Ende oben auf der Querschnittfläche mit einer Rinne versehen, welche in die Leine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_118.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)