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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

seinem literarischen Berufe oblag. Dieses Landhaus, von Irving „Sunnyside“„(sonnige Seite) getauft, hat eine gewisse Berühmtheit erlangt, sowohl wegen der Erinnerungen, die sich an seinen ehemaligen Bewohner knüpfen, als auch wegen seiner merkwürdigen alterthümlichen Bauart und reizenden Lage, und es wird daher von Fremden und Einheimischen häufig besucht.

An einem Sonntage im October des vorigen Jahres unternahm ich meinen lange beabsichtigten Ausflug nach Sunnyside, wobei ich zwei junge mir befreundete Amerikaner zu Begleitern hatte. Eine einstündige Fahrt auf der Hudson-River-Eisenbahn brachte uns, dicht am linken Ufer des schönen Stromes hin, zur Station Irvington, wo wir den Zug verließen. Nach kurzer Wanderung

Die Kirche im „schläfrigen Thale“.

sahen wir auf einer niedrigen, aber steilen Anhöhe zu unserer Rechten die Giebel von Sunnyside über Baumwipfeln hervorragen. Einige Augenblicke später standen wir vor dem Gebäude. Das Haus unterscheidet sich in Art und Form von allen den stattlichen, die verschiedensten Baustyle vertretenden Landhäusern, mit welchen die Ufer des Hudson besät sind; obwohl von sehr bescheidener Größe, hat es ein solides, dauerhaftes Ansehen und ist holländischen Ursprungs, wie die mit Wetterhähnen gekrönten Treppengiebel auf den ersten Blick zeigen. Das rothe Dach bildet einen angenehmen Gegensatz zum weißen Anstriche, obwohl von letzterem nicht viel gesehen werden kann, da das Gebäude fast ganz in Grün gehüllt ist; Geisblatt, wilde Rosen, Epheu und andere Rankengewächse wuchern an den Wänden mit solcher Ueppigkeit empor, daß sie beinahe die Fenster verbergen und dem Hause ein laubenartiges Ansehen verleihen. Der Epheu von Sunnyside stammt von einer Ranke, die einst die Mauern von Melrose-Abbey in Schottland, unweit von Abbotsford, dem bekannten Wohnsitze Walter Scott’s, zierte. Ganz dem ländlichen, idyllischen Charakter des Hauses entsprechend sind die malerischen Gruppen von stattlichen Bäumen und Gebüschen, welche auf rasigem Grunde dessen nächste Umgebung bilden; ein Bach fließt murmelnd in steinigem Bette durch die Besitzung und speist einen kleinen Weiher, in welchem sich Enten lustig herumtummeln.

Sunnyside hat Irving von 1836 bis zu seinem im Jahre 1859 erfolgten Tode zum Wohnsitze gedient; von diesem Zeitraume sind jedoch vier Jahre abzurechnen, welche er in der ehrenvollen Stellung eines Gesandten der Vereinigten Staaten am spanischen Hofe zubrachte. Irving war bekanntlich nie verheirathet; seinem Haushalte in Sunnyside standen einige Nichten, die Töchter eines älteren Bruders, vor, die noch jetzt das Haus bewohnen. Lange bevor Irving Sunnyside zu seinem Aufenthalte auserkor, war es sein Wunsch gewesen, in der Nähe des Hudson einen Ruheplatz zu finden, „um dort,“ wie er sich ausdrückte, „fern von den Zerstreuungen der Welt, den Rest eines bewegten Lebens in Frieden zu verträumen.“ Dieses Verlangen ist vollständig erfüllt worden. In unabhängigen äußern Verhältnissen lebend, von theilnehmenden Verwandten umgeben und inmitten der Scenen, denen er seine ersten Eingebungen verdankte, hat er sich viele Jahre der ersehnten Ruhe erfreut, ohne jedoch immer zu „träumen“, wie seine späteren Schriften, aber namentlich die Bände beweisen, in denen er das Leben Washington’s beschrieben hat.

Wir verweilten lange in der anmuthigen Nähe von Sunnyside, Alles in Augenschein nehmend, was uns bemerkenswerth erschien; unser letzter Besuch galt der zwischen Bäumen versteckten niedlichen Gärtnerwohnung, welche nach einem von Irving selbst entworfenen Plane erbaut worden ist. Dann nahmen wir Abschied von dem Tusculum des amerikanischen Dichters und zogen weiter. Das nächste Ziel unserer Wanderung war Tarrytown, wenige Meilen weiter am Hudson hinauf gelegen. Dies ist der Ort, dessen Umgebung Irving zur Scene einer seiner reizendsten kleinen Erzählungen, der Sage vom „schläfrigen Thale“ gemacht hat, und ganz in der Nähe, ja jetzt im Orte selbst, befindet sich die Stelle, wo Major André gefangen genommen wurde. Bekanntlich war es André, englischer Major und Adjutant General Clinton’s, gewesen, der im Auftrag seiner Regierung mit dem Verräther Arnold unterhandelte welcher sich erboten, gegen einen Judaslohn von dreißigtausend Pfund Sterling den Engländern den wichtigen Punkt Westpoint am Hudson zu übergeben, dessen Befehlshaber er war. Der Anschlag mißglückte; André ward ergriffen und als Spion aufgeknüpft.

Die Amerikaner haben André stets milde beurtheilt und ihm diejenige Achtung und Sympathie gewidmet, welche seine männlichen Eigenschaften und sein trauriges Loos verdienen. Er handelte lediglich im Interesse des Monarchen, in dessen Diensten er stand, indem er sich in jenes gewagte Unternehmen einließ, und als es fehlgeschlagen war und er keinen Ausweg vor sich sah, ergab er sich mit Würde in sein Schicksal und ging kaltblütig und entschlossen einem schimpflichen Tode entgegen. Jung, schön und talentvoll, fiel er der eisernen Regel des Krieges zum Opfer, während Arnold, der Schuldige, zeitig von ihm gewarnt, sich durch die Flucht rettete und seinem verdienten Schicksale entging. André’s Hinrichtung fand zu Tappan, auf der andern Seite des Hudson, statt, wo er auch begraben wurde; später jedoch brachte man seine Ueberreste nach England und setzte sie in der Westminsterkirche bei, woselbst ihm Georg der Dritte ein Denkmal errichten ließ. Seit 1853 bezeichnet auch in Tarrytown ein Denkmal den Ort seiner Gefangennehmung. Dieses nahmen wir zunächst in Augenschein.

Eine etwas steile Straße zwischen vereinzelten Häusern hinansteigend, gelangten wir bald zu der nach New-York führenden Landstraße, an welcher uns das Denkmal sogleich in die Augen fiel. Hier war es, wo André am 23. September 1780, als er sich in bürgerlicher Kleidung zu Pferde nach New-York begeben wollte, von drei bewaffneten Männern der Umgegend angehalten und gezwungen wurde, vom Pferde zu steigen. Seine Kleider wurden untersucht, und die verhängnißvollen Papiere kamen zum Vorscheine, die sein Schicksal besiegelten. Vergebens bot er eine bedeutende Summe, um seine Freiheit zu erkaufen: die Landleute wiesen alle Anerbietungen zurück und blieben unbestechlich. Er befand sich ganz nahe bei den englischen Vorposten und hielt in der That jene Personen für solche, wie aus dem Umstande hervorgeht, daß er sich ihnen unvorsichtiger Weise als Royalisten zu erkennen gab. Das Denkmal ist ein einfacher steinerner Obelisk von etwa zwanzig Fuß Höhe. Eine Inschrift auf der Seite, welche der Landstraße zugekehrt ist, belehrt uns, daß hier Major André, „der Spion“, an dem bereits erwähnten Tage von John Paulding, David Williams und Isaac van Wart zum Gefangenen gemacht worden sei, und preist die Uneigennützigkeit und Vaterlandsliebe der Genannten. Dieser Obelisk und André’s Monument in der Westminsterkirche! Ist wohl ein größerer Gegensatz denkbar? Zu André’s Zeit war dieser Platz ohne Zweifel noch wild und einsam; jetzt aber hat sich Tarrytown gegen die Anhöhe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_117.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2017)