Seite:Die Gartenlaube (1867) 115.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

was aber nicht hinderte, daß die Herren seine gediegene Unterhaltung suchten und die Frauen, denen er übrigens wenig Aufmerksamkeit widmete, ihn interessant fanden, indem sie für seine noble Haltung, sein ausdrucksvolles Gesicht schwärmten. Und so war er bald, ohne es selbst zu wissen, einer der Hauptmittelpunkte der Gesellschaft.

Von einigen Freunden hatte er sich eines Abends zu einem Besuch des Schauspielhauses verleiten lassen, wo mit Emilie Galotti eine Reihe von Vorstellungen eröffnet werden sollte, zu denen die Hofschauspieler aus der Residenz des kleinen Landes nach dem vielbesuchten Badeort herübergekommen waren. – Während der Pause, die dem Beginn des Stücks voranging, musterte er den Theaterzettel, um die Namen der Darsteller kennen zu lernen, wenn auch nur mit halbem Interesse, denn er wußte, daß er hier keinen Koryphäen der Kunst begegnen würde. Mit einem Male aber blieben seine Blicke überrascht an einer Zeile hängen, welche als Inhaberin der Titelrolle Fräulein M. Wolde aufführte. War es möglich, sollte – konnte der Name die Schauspielerin bedeuten, zu der er selbst einst in näherer Beziehung gestanden hatte? Mit Ungeduld wartete er auf Emilia’s erstes Auftreten und beugte sich unwillkürlich aus seiner Loge vor, als sie erschien: es war wirklich Melanie. Er hatte sie seit jener heimlichen Abreise, die fast einer Flucht glich, nicht wiedergesehen, und obwohl ihn dieselbe anfangs erschütterte, so sagte er sich doch bald, daß es für beide Theile besser sein möchte, ein Wiedersehen zu vermeiden; denn was konnte er ihr noch sein, was ihr nur sagen, das sie zu trösten vermochte? Unter der Hand unterließ er jedoch nicht, Nachforschungen nach ihr anzustellen, und fühlte sich beruhigt, als er nach einiger Zeit erfuhr, sie sei bei einem süddeutschen Stadttheater angestellt und dort als tüchtige Schauspielerin beliebt. Sie selbst ließ ihm kein Lebenszeichen zukommen und so erfuhr er von ihren weiteren Schicksalen nichts, bis der Zufall hier diese unerwartete Begegnung herbeiführte.

Mit großem Interesse wohnte er Melanie’s Leistung bei und der Kritiker in ihm fühlte sich befriedigt durch den großen Fortschritt, den sie in ihrer Kunst gemacht hatte. Ihr Spiel war ohne Frage reifer, vollendeter als damals, wo er sie zuletzt als Prinzessin Eboli gesehen; ihre Auffassung erschien ihm edler, und mit aufrichtiger Freude sagte er sich, daß vielleicht ihre ganze Persönlichkeit eine ähnliche Umwandlung erfahren habe. In der letzten Scene, wo sie den Vater zwang, ihr den Dolch in’s Herz zu stoßen, das sich wohl stark genug fühlte, zu sterben, nicht aber, der Liebe des Prinzen zu widerstehen, war ihr Spiel von erschütternder Wahrheit und zugleich so hinreißendem Feuer, daß sie sich den einstimmigen Hervorruf des Publicums errang, dessen Beifall sie vom ersten Augenblick an begleitet hatte. Als sie sich dankend verneigte und ihre dunklen Augen über das Publicum schweifen ließ, wurden ihre Blicke für einen Moment starr, denn sie hatten Feldern’s Loge getroffen; die Schminke ließ aber nicht erkennen, daß ihre Wangen bleich wurden, und ebenso verrieth kein weiteres Zeichen ihre innere Bewegung. Feldern wußte indessen, daß sie ihn erkannt, und es wäre ihm als ungerechtfertigte Härte erschienen, wenn er sie ignorirt hätte. Schon am folgenden Tage, als er erfahren hatte, wo sie wohnte, ging er zu ihr. Wenn er aber bei der leidenschaftlichen Natur der Schauspielerin gefürchtet hatte, daß sie ihm bei dem Wiedersehen eine Scene bereiten würde, so hatte er sich getäuscht. Melanie empfing ihn zu seiner Ueberraschung in vollkommener Haltung und schien sich über das Zusammentreffen mit dem alten Freunde herzlich zu freuen. Sie überging es leicht, daß sie sich vor Jahren ohne Abschied von ihm getrennt hatte, und ebenso erwähnte sie mit keiner Silbe der Veranlassung, welche einen Abbruch der früheren Beziehungen zwischen ihnen herbeigeführt hatte. Feldern war dies sehr lieb; es wäre ihm unsäglich schwer gewesen, mit der Schauspielerin von Alma zu sprechen, und er empfand es mit einer Art von Dankbarkeit, daß sie selbst Alles, was die Unterhaltung peinlich machen konnte, vermied. Dafür wurde sein warmes Interesse wieder rege, als sie ihm die Einzelnheiten ihres bisherigen Lebens enthüllte, und mit herzlicher Freude erkannte er, daß ihre Schicksale sie allmählich zu einer äußerlich angenehmen Lebensstellung geführt hatten. Noch mehr aber freute er sich der Ruhe, mit der sie jetzt das Verhältniß zu ihm aufzufassen schien, und als er ihr beim Abschiede die Hand reichte und sie den Wunsch aussprach, daß es nicht bei dieser einen Begegnung bleiben möge, glaubte er ihr ohne Bedenken eine Wiederholung seines Besuches zusichern zu dürfen. Hätte er jedoch gesehen, wie Melanie nach seiner Entfernung in leidenschaftliches Weinen ausbrach und sich dann wieder der ganzen Heftigkeit ihrer Natur überließ – er würde nicht gewagt haben, zum zweiten Male ihre Schwelle zu überschreiten.

Das bunte Leben des Badeorts hatte außer den Curgästen eine Menge andere Besucher herbeigezogen, die sich auf kürzere oder längere Zeit von der Gesellschaft, nach Umständen auch von dem Reiz der Spielbank fesseln ließen. Unter den letzteren war der Baron Alfred von Wertach, Officier in **schen Diensten, aus einer hocharistokratischen, der Büsching’schen nahe verwandten Familie. Er hatte vor Zeiten zu den Bewunderern seiner schönen Cousine gehört, und wäre Alma ihm nur im Geringsten entgegengekommen, so hätte seine Neigung ohne Zweifel zu einer Bewerbung geführt. Sie hatte aber eine entschiedene Abneigung gegen den Cousin, dessen hochfahrendes, rücksichtsloses Wesen sie verletzte, und ließ ihn dieselbe sehr deutlich merken, so daß er sich bald mit innerem Verdruß zurückzog. Mit wahrem Grimm erfüllte es ihn aber, als Alma bald darauf einem bürgerlichen, obscuren Menschen ihre Hand reichte, und er ließ von dieser Zeit an alle Verbindung mit der Familie fallen. Dennoch hatte er zu tief in die schönen Augen der Cousine geblickt, um die Erinnerung daran los werden zu können, und eine Art von eifersüchtigem Haß fühlte er in sich aufflammen, als er hier zum ersten Mal mit Feldern zusammentraf, den er bis dahin nicht persönlich gekannt hatte. Es war daher nicht zu verwundern, daß er jeder näheren Berührung mit ihm auswich, und wenn er sich trotzdem nicht versagen konnte, ihn insgeheim zu beobachten, so hatte Feldern keine Ahnung davon, daß in dem ihm völlig Unbekannten ein Feind auf ihn laure. Auf dem Rückwege nach seiner Garnison machte Wertach einen Abstecher nach der Residenz, wo seine Tante, die Oberforstmeisterin von Büsching lebte, weil er zufällig gehört hatte, daß Alma sich bei derselben aushielt und er es daher passend fand, sich nach langer Zeit einmal wieder der Verwandtschaft zu erinnern.

Zu seinem großen Verdruß fand er Alma nicht daheim und da seine Weiterreise keinen Aufschub litt, durfte er nicht auf ihre Rückkehr warten, sondern mußte sich mit der Gesellschaft der alten Dame begnügen. Vielleicht hatte er nun aber aus der Noth eine Tugend gemacht, denn er ließ sich in eine langdauernde, eifrige Unterhaltung mit ihr ein, die wenigstens einen der beiden Theile auf’s Aeußerste erregte.

„Wie schade, Alma, daß Du nicht zu Hause warst!“ rief die alte Dame ihrer Tochter bei der Heimkehr entgegen, „Du würdest Dich sicher gefreut haben, einen alten Bekannten wiederzusehen, der sehr unglücklich war, Dich nicht zu treffen.“

„Du machst mich neugierig, Mama,“ entgegnete Alma, ohne daß aber ihr Ton dieser Versicherung entsprach. – Die Mutter nannte den Namen Alfred, war jedoch sehr unangenehm berührt, als Alma mit einem verächtlichen Lächeln und den Worten: „Leider bedaure ich sehr wenig, ihn verfehlt zu haben,“ antwortete.

„Du verkennst Deine Freunde, Alma,“ rief sie gereizt. „Er sprach mit der größten Hochachtung, dem wärmsten Attachement von Dir und es rührte mich tief, als er sich gar nicht wieder von dem Anschauen Deines Bildes, das ich ihm zeigen mußte, losreißen konnte. Ich hätte gewünscht, daß in die Seele eines Andern etwas von den Empfindungen, die ihn so bewegten, übergehen könnte.“

„Mama!“ warnte Alma.

„Ja, Alma, ich sage, ich wiederhole es,“ brach die erregte Frau hervor: „Feldern ist unfähig, den Werth seines Besitzes zu würdigen; er verdient –“

„Was, Mama?“ fragte Alma ruhig.

„Daß ihm dieser Besitz genommen wird, denn er ist Deiner unwürdig.“

Alma stand auf: „Wenn ich Dich länger hören soll, Mama,“ sagte sie ernst, „so mäßige Deine Angriffe auf meinen Gatten; ich darf nicht dulden, daß man ihn beleidigt.“

„Nein, Alma, nein! Du sollst und mußt mich hören!“ rief die Mutter. „Weißt Du, daß Feldern Dich betrügt, daß er seine und Deine Ehre verräth, indem er einem anderen Weibe huldigt?“

„Halt’ ein, Mama!“ unterbrach Alma sie kalt und stolz, „und laß Dich warnen vor dem, der gewagt hat, diese Ehre, Feldern’s und meine Ehre, mit einer Lüge anzutasten.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_115.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)