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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

echt christlichen Tugenden mit der würdevollsten Einfachheit verbunden, nicht abstreiten, die ihn im Verein mit vielem Unglück zu einer wirkliche Theilnahme erweckenden Erscheinung machen.

Pius der Neunte besitzt eine kräftige Constitution, seine Gestalt reicht über die Mittelgröße, er hat eine breite Brust, kleine, volle Hände und sein Gang ist langsam, aber selbst bei den feierlichsten Gelegenheiten einfach und ungezwungen. Der mächtige Kopf mit den regelmäßigen, harmonischen Gesichtszügen läßt auf seltene Fähigkeiten schließen; die hohe, breite Stirn ist von reichem, silberweißem Haar umkränzt. Beim ersten Anblick bringt das Antlitz des Kirchenfürsten durch den Ausdruck von freundlicher Güte einen überwältigenden Eindruck hervor. Die Züge sind überaus einnehmend und haben durchaus nichts Gewöhnliches oder gar Abstoßendes an sich. Die Nase ist nicht groß, aber adlerartig und ideal geformt; der Schnitt des Mundes, der sich mehr nach dem vorstehenden Kinn zuneigt, ist eigenthümlich, da man inmitten der Unterlippe gleichsam einen vertieften Einschnitt bemerkt. Die ganze rechte Seite des Körpers ist etwas schwächer als die linke: die rechte Wange ist weniger voll, das rechte Auge mehr verschleiert durch das Augenlid, das rechte Ohr hat einen Einschnitt, was jedenfalls einem Unfalle in der Kindheit zuzuschreiben ist. Das ganze Gesicht wird wundersam beleuchtet durch den Glanz und den leutseligen Blick der großen schwarzen Augen.

Jeden Tag steht der Papst des Morgens halb sieben Uhr auf, im Sommer wohl noch etwas früher. Er ist gewöhnt, sich in vielen Dingen selbst zu bedienen, und rasirt sich daher auch selbst. Ueberhaupt hat er gar keine aristokratischen Gewohnheiten beigehalten, als den Geschmack für eine außerordentliche Reinlichkeit. Um halb acht Uhr liest er die Messe in seinem Oratorium, dann wohnt er einer von einem der Hauspriester gelesenen Messe bei, so daß um halb neun Uhr seine priesterlichen Pflichten beendigt sind. Nachdem er die Seele durch Gebet gestärkt hat, ist sein Geist frei und gesammelt für die Arbeiten des Tages. Er verläßt die Capelle und nimmt ein leichtes Frühstück ein, das in Biscuits und einer Mischung von Kaffee und Chocolade besteht. Jetzt erhalten der Majordomus, der Oberstkämmerer und die Geheim-Secretäre ihre Anweisungen über die Audienzen und Verwaltungsangelegenheiten. Dann erscheinen auf den Seitengalerien des Vaticans die Beamten und Bittsteller und bald darauf kommen die Staatsminister, Cardinäle, einige Klostervorsteher, sowie Gesandte oder Fremde, die dem Papst vorgestellt zu sein wünschen, zur Audienz. Der Papst empfängt Alle ohne Ausnahme in seinem Arbeitscabinet, welches mit der strengsten Einfachheit möblirt ist. Die ganze Einrichtung besteht in einem großen Tisch, auf dem sich ein Crucifix und ein Schreibzeug befindet, einem Armstuhl, auf dem der Papst selber sitzt, und einem andern, der für den Gast bestimmt ist.

Um drei Uhr ist die Empfangszeit zu Ende und der heilige Vater begiebt sich in den Speisesaal im rechten Flügel, der die Aussicht auf den Monte Cavallo hat. Dieser Saal ist sehr groß und enthält blos einen mit rothem Sammet bedeckten Tisch nebst einem Armstuhl, welche auf einem erhöhten Tritt stehen und von einem Baldachin mit dem päpstlichen Wappen überragt werden. In Rom speist der Papst, dem Herkommen gemäß, stets allein, nur auf dem Lande, z. B. in Frascati oder Albano, empfängt er einige Cardinäle und Prälaten bei Tisch. Der Haushalt der letzten Päpste war schon immer sehr einfach und ihre Tafel höchst frugal; unter Gregor dem Sechszehnten kostete dieselbe täglich drei römische Thaler und Pius der Neunte, welcher für seinen Tisch als Erzbischof und Cardinal täglich blos einen Thaler ausgab, ist dieser Gewohnheit auch als Papst treu geblieben, natürlich nur, wenn er allein speist. Nach der Mahlzeit zieht er sich in sein Schlafzimmer zurück, wo er sich eine kurze Siesta vergönnt; um vier Uhr steht der Wagen bereit, der ihn auf’s Land führt, wo er gewöhnlich eine Stunde lang spazieren geht, um dann um sechs Uhr bereits wieder im Vatican einzutreffen. Jetzt setzt er sich nieder zur Arbeit, die er nicht vor halb elf Uhr unterbricht; nach einem Gebet und einer Betrachtung in seinem Oratorium zieht er sich dann in sein Schlafgemach zurück, während sein Hausminister eingeführt wird, der jeden Abend beim Schlafengehen des Papstes zugegen sein muß. Er unterhält ihn dabei mit Neuigkeiten und Auskünften über innere Angelegenheiten; wenn Pius der Neunte nicht mehr antwortet, schließt der Minister die Bettvorhänge und geht, nachdem er sich zuvor noch überzeugt hat, daß der Diener des Papstes, welcher in dem Zimmer neben dem Schlafcabinet schlafen muß, auch wirklich zugegen ist.

Bei den früheren Päpsten war es Gebrauch, im Sommer bei großer Hitze stets Sorbet, Gefrorenes und andere Erfrischungen in Fülle bereit zu halten, und die Ueberraschung Pius’ des Neunten war groß, als er einst kurz nach seiner Erhebung zum Papst eine Orangenlimonade verlangte und die Diener mit einer ganzen Masse verschiedener Erfrischungen und Backwerk erscheinen sah. Nachdem er dies Alles zurückgeschickt, ließ er sich ein Messer und eine Orange geben, deren Saft er selbst in ein Glas drückte, während er strenge befahl, ihm ferner nichts Anderes zu bringen, wenn man ihn nicht erzürnen wolle. Diese Einfachheit und Enthaltsamkeit beobachtet Pius der Neunte in Allem, was seine Person betrifft. Seine Leibwäsche war noch lange Zeit dieselbe, welche. er in Imola als Bischof besaß; nach fünfzehnmonatlicher Regierung besaß er nichts Neues als die Soutane, welche er sich gleich nach seiner Ernennung zum Papste anfertigen ließ, und dieser Rock aus weißem, feinem Cashmir zeigte bei der außerordentlichen Reinlichkeit eines Besitzers keine andere Flecken als die Spuren einiger Körnchen Schnupftabak, wovon der heilige Vater reichlichen Gebrauch macht. Wenn alle katholischen Geistlichen diesem ihrem Oberhaupt an Milde, Einfachheit und Sittenstrenge glichen, so stände es besser um die katholische Kirche, und um die gesammte Welt!




Ein chilenischer Messerkampf. In der Nähe von Pichuncari in Chile wird auch Gold gewaschen. Wie in Californien sind die Goldgräber (Mineros) äußerst roh und haben noch die barbarische Form des chilenischen Zweikampfs auf Messer beibehalten. Auf seinen Reisen sollte August Kahl, von dem eben Reisen durch Chile erschienen sind, Zeuge eines solchen Kampfes werden, dessen Abscheulichkeit dadurch gesteigert wurde, daß Vater und Mutter des einen Duellanten zugegen war. Wohl fünfzig Mineros, unter denen der Herausforderer sich befand, waren in den Hof ihrer Hütte eingedrungen. Der Sohn, ein Hirt (Vaquero), mußte sich stellen und Kahl selbst blieb mit seinem Begleiter, um die Familie schützen zu helfen, wenn der Minero unterläge und seine Gefährten Rache zu nehmen versuchten.

Der Kampf sollte beginnen: im weiten Halbkreis umstanden die Mineros die beiden bis auf die Unterkleider entblößten Kämpfer. Ein vier Ellen langer, lederner Riemen, dessen Enden um die Hüften der beiden Gegner geschlungen waren, verband diese. Keiner sollte der Wuth des Andern entfliehen. In ihren Händen blitzte das scharfgeschliffene spitze Messer.

Sobald sich die Männer zurückgezogen, die ihnen den Riemen um die Hüfte befestigt, stürzten die beiden Kämpfer mit hocherhobenem Messer auf einander zu, ohne irgend ein Signal abzuwarten. Die Wucht des ersten Stoßes riß Beide zu Boden. Wie zwei Verzweifelte rangen sie dort, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben. Unmöglich konnte man erkennen, wer oben, wer unten lag, so rasch folgte Bewegung auf Bewegung, Stoß auf Stoß. Zuweilen erkannte man das Blitzen eines Messers, das zum Stoße erhoben war, aber blitzschnell wurde es von der anderen Klinge aufgefangen. Es währte nicht lange, bis sich eine Blutlache unter den Kämpfenden bildete, langsam bahnte sich der Blutstrom durch den Sand seinen Weg. Nach einigen Minuten hörte das Ringen plötzlich auf; beide Kämpfer, scheinbar von dieser furchtbaren Anstrengung ermattet, starrten einander an; einen scheußlichen Anblick boten diese Körper, von Kopf bis zu Fuß mit Blut und Staub bedeckt. Die Umstehenden traten näher, um sie auseinander zu bringen, aber nur einen Moment hatte diese Ruhe der beiden Elenden gedauert. Das gräßliche Ringen hatte wieder begonnen. Die Mineros schienen jetzt an dem Blutschauspiel genug zu haben, andrerseits mochten sie auch wohl von dem herzzerreißenden, krampfhaften Geschrei der Mutter, die fortwährend nach ihrem Sohn rief und den ehernen Cirkel, der den Kampfplatz umgab, vergebens zu durchbrechen suchte, gerührt sein, genug, sie eilten jetzt, um die Streitenden zu trennen, aber zu spät, – wieder sahen wir ein Messer aufblitzen, – hoch zum Stoße ausholen, aber keine Klinge wehrte es ab, und tief bohrte es sich in die Brust eines der Unglücklichen. Ein heller, rother Blutstrahl schoß empor. Schaudernd wandte ich mich ab, der Kopf schwindelte mir, kaum erreichte ich die Hütte, wo ich mich kraftlos auf einen Sessel niederließ.

Eine Gestalt, durch Schmutz und Blut ganz unkenntlich, suchte sich zu erheben, aber es gelang ihr nur durch die Hülfe eines Mannes, in welchem ich den alten Vaquero erkannte. Der Verwundete war sein Sohn. Sein Feind lag auf dem Boden ausgestreckt, seine Freunde unterstützten ihn, aber er sollte nicht wieder aufstehen. Sein Röcheln wurde allmählich schwächer, seine Glieder reckten sich im letzten Todeskampf, und bald lag an der Stelle, die wenige Momente vorher ein lebendes, denkendes Wesen einnahm, eine starre, unkenntliche Leiche. Die Mineros, anfangs kleinlaut und still, brachen jetzt in laute Verwünschungen aus. Aber wir waren inzwischen nicht unthätig gewesen. Der junge Vaquero sowie seine ohnmächtige Mutter waren bereits in die Hütte geschleppt und die Thüren gut verbarricadirt.

Vergebens donnerten die Kerle an dieselbe; die festen Eichenbohlen trotzten ihren vereinten Kräften. Auch ein über ihre Köpfe gerichteter Schuß, den ich aus dem kleinen Fenster abfeuerte, that seine Wirkung. Sie mochten wohl einsehen, daß sie nicht viel Nutzen von einem Angriff auf die feste und von Feuerwaffen vertheidigte Hütte haben würden, banden den Leichnam ihres erschlagenen Cameraden auf dessen Pferd, saßen auf und jagten unter wilden Drohungen und Geschrei davon.

Dem Verwundeten wurde jetzt das Gesicht gewaschen und noch dann hatte ich Mühe, in dieser bleichen hinfälligen Gestalt den noch vor wenigen Augenblicken so frischen und kernigen Sohn des Vaquero zu erkennen. Er hatte im linken Arm eine tiefe Wunde und eine andere leichtere in der Schulter. Sie wurde gereinigt und mit den Blättern des blutstillenden, heilenden „Sauco“ belegt. Noch in derselben Nacht sollte er mit seinem Vater nach den nördlicheren Districten reisen, um der gerichtlichen Nachsuchung, die unzweifelhaft erfolgen mußte, zu entgehen.




Kleiner Briefkasten.


A. K. in St–t. Die Novelle von Edmund Hoefer:Die Herrin von Dernot“, kommt unmittelbar nach der jetzt begonnenen Erzählung von F. L. Reimar zum Abdruck.




Inhalt: Getrennt. Novelle von F. L. Reimar. – Eine goldene Hochzeit mit der Wissenschaft. Mit Portrait. – Strafpredigt gegen rücksichtslose Leute. Nr. 2. Für Die im Theater und Concert. Von Bock. – Bewundert von drei Generationen. Von Fr. Szarvady in Paris. – Der Schanzenkranz um Dresden. Mit Abbildung. – Land und Leute. Nr. 24. Im Krugbäckerland. I. – Blätter und Blüthen: Pius des Neunten Leben und Gewohnheiten. – Ein chilenischer Messerkampf.




Die Deutschen Blätter, Literarisch-politische Feuilleton-Beilage zur Gartenlaube, Nr. 6 enthalten: Wen wählen wir? Ein Wort zur Wahl für den Reichstag des norddeutschen Bundes. Von Emil Rittershaus. – Das Gothaer Fürstenbuch. – Umschau: Eine Verherrlichung des Nachdrucks. – Die westliche Seite der Städte. – Das Bettlerwesen in Rom. – Ein origineller Schulmeisterbrief. – Der deutsche Handel und die beabsichtigte Kriegsflotte. – Die Modesclaverei unserer Damen. – Naivetät am grünen Tische. – Das Ende der Mormonenwirthschaft. – Der Carneval in Wien. – Berichtigung.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_112.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2017)