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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

und Bewunderung durch seine theils schneeweißen, theils rindfleischrothen Thonschichten, und wie ich weiter wanderte, sah ich, daß der ganze Boden rings umher dieselbe Beschaffenheit zeigt. Der Weg lief durch ein Wäldchen, und als ich wieder in’s Freie trat, hatte ich die ehemalige nassauische Grenze passirt und damit das Krug- oder Kannenbäckerland erreicht, welches sich am südwestlichen Abhange des Westerwaldes ausbreitet, den größten Theil der Aemter Selters und Montabaur einnimmt, mehrere Quadratmeilen umfaßt und durch eine besondere Industrie weit und breit berühmt ist.

Hier wohnen nämlich in zwölf meist großen Dörfern über zweihundert Thonwaarenfabrikanten, sogenannte Krug-, Kannen-, Weißwaaren- und Pfeifenbäcker, die alljährlich an 260,000 Centner Waaren im Durchschnittswerthe von 1,600,000 Gulden anfertigen und diese über Europa und nach Amerika versenden. Dort zur Rechten lag unten im Thale Grenzhausen, wie man mir sagte, das bedeutendste unter den zwölf Dörfern, und das heutige Ziel meiner Reise. Aus einer Menge von Schloten in den blauen Winterhimmel hohe, schwarze Dampfsäulen entsendend, die oben zusammenflossen und niedersinkend das ganze Dorf umwallten, schien es in Feuersgefahr und ich erwartete jeden Augenblick die rothen Flammen hervorbrechen zu sehen. Rings umher auf den kahlen Feldern erhoben sich zahlreiche Pyramiden, von zusammengestellten langen Stangen erbaut, über deren Bedeutung ich im Unklaren blieb, bis ich hinterher erführ, daß es Hopfenstangen seien. Alle andern Feldfrüchte werden im Krugbäckerland nur für den eigenen Bedarf angebaut, Hopfen dagegen wird in bedeutenden Quantitäten ausgeführt und kommt merkwürdigerweise von Köln und Mainz wieder herein.

Man hatte mich an einen Herrn W. Blum den Zweiten gewiesen, der als Großhändler und Fabrikant zu den ersten und wohlhabendsten Industriellen des Landstrichs gehört. Ich fand in ihm einen schlichten, hageren, aber wohlerhaltenen Sechsziger und einen äußerst scharfen Kopf, der mir über seine Heimath die beste Auskunft gab und dabei auch seine Lebensgeschichte berührte.

Er war noch vor dreißig Jahren ein armer Krugbäcker gewesen, welcher für seine Waaren nur mühsam Absatz fand. Mit diesen pflegten seine Handwerksgenossen den Rhein auf- und abwärts zu den Messen der nächsten Städte zu fahren und, wenn sie Glück hatten und Alles verkaufen konnten, zu Fuß wieder heimzukehren. Blum wagte sich mit einer Ladung von Kannen und Krügen nach Amsterdam, fand jedoch keine Käufer, worauf er unverzagt weiter ging und über die See nach Ostfriesland und Oldenburg schiffte. Das Wagniß gelang; er schlug den ganzen Vorrath los und erhielt weitere Bestellungen, die er nach seiner Heimkehr rasch besorgte und spedirte. Fortan verfolgte er diese Reisen und dehnte sie immer weiter aus; die Aufträge vermehrten sich derart, daß er sie allein nicht mehr ausführen konnte, sondern Anderen mit übertragen mußte. Endlich gab er die eigene Fabrikation ganz auf und betrieb das Geschäft rein kaufmännisch, indem er großartige Lieferungen von Thonwaaren übernahm, mit deren Anfertigung er die Krug- und Kannenbäcker rings umher beschäftigte. Gegenwärtig handelt er mit diesen und ähnlichen Artikeln bis Petersburg und nach Amerika; daneben betreibt er eine Knochenmühle und Erdfarben- (Ocker-) Fabrik für Tüncher und Anstreicher. Von seinen Mitbürgern verehrt und geschätzt, saß er 1848 bis 1851 in der Kammer und ist zur Zeit Mitglied der Limburger Handelskammer. Sein Beispiel ist nicht ohne Nachfolge geblieben. Jetzt reisen viele der größeren Kannenbäcker entweder selbst, oder halten besondere Reisende für ihr Geschäft.

Die Thonindustrie im Krugbäckerlande reicht bis in’s vierzehnte Jahrhundert zurück. Anfangs war sie nur Häfnerei, d. h. es wurde blos gemeines irdenes Topfgeschirr angefertigt, bis man sich seit dem sechszehnten Jahrhundert ausschließlich auf Steinzeug warf. Die Krug- und Kannenbäcker waren zu Zünften verbunden, die der Entwickelung des Gewerbes enge Schranken zogen. So wurde die Gattung der Waaren, die jeder zu backen bekam, durch’s Loos bestimmt, die Zahl der Gebäcke, über die kein Meister hinausgehen durfte, von der Zunft festgesetzt. Das fertige Gebäck ward von den Zunftvorstehern besichtigt und das Mangelhafte ausgeschieden. Der Preis aber für die Waare wurde nach Anhören der Zunft von der Landesregierung festgesetzt. Trotz dieser hemmenden Schranken stand im sechszehnten und zu Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts die Kannenbäckerei in großem Flor, weil damals das gemeine Steinzeug die Stelle des Porcellans vertrat und, wie dieses heute, als Luxusgegenstand diente. Eine schöne Sammlung von Gefäßen aus jener Zeit, die sich durch Güte, Accuratesse und geschmackvolle Verzierungen auszeichnen, befindet sich auf Burg Stolzenfels. Mit dem Jahre 1816 hörte der Zunftzwang auf und es traten die Krug- und Kannenbäcker zu Innungen zusammen, welche in den verschiedensten Dörfern gemeinsame Thongrubenfelder als Eigenthum oder in Belehnung besitzen.

Als ich Herrn Blum verlassen hatte, führte Herr Müller, der evangelische Pfarrer des Orts, ein kleiner noch junger und flinker Mann, mich mit großem Eifer von Haus zu Haus und damit von Werkstatt zu Werkstatt, denn das Dorf zählt unter zwölfhundert Bewohnern gegen vierzig Thonwaarenfabrikanten nebst ihren Gehülfen, Lehrlingen und Familien.

Einige fertigen nur Krüge, welche theils an die Mineralwasserbrunnen gehen, theils nach den Ostseehäfen kommen, wo sie mit Genèvre gefüllt und dann in alle Welttheile, besonders nach Amerika versandt werden. Die Zahl der Krugbäcker im ganzen District beträgt über hundert, welche fast mit ebenso vielen Gesellen arbeiten und jährlich an zehn Millionen Krüge fabriciren. Die Krugbäcker, von denen nur vier in Grenzhausen wohnen, sind unter ihren Collegen die Plebejer. Ihre Waare, welche nur geringe Kunstfertigkeit, aber verhältnißmäßig große Auslagen an Thon, Salz und Holz erfordert, wird äußerst schlecht bezahlt – tausend Krüge mit sechsunddreißig Gulden, wovon fast zwei Drittel baare Auslagen sind – und muß öfters um Spottpreise verschleudert werden; namentlich hat der amerikanische Krieg sie sehr niedergedrückt. Die Krugbäcker essen häufig „vorgegessenes Brod“, d. h. sie leben von Vorschüssen, und der Verdienst ist schon verzehrt, ehe die Waare abgeliefert wird.

Die Kannenbäcker, deren Zahl im ganzen District etwa zweiundzwanzig beträgt, fertigen nur sogenanntes Maßgut, steinerne Bierkannen, wie sie in Süddeutschland, vorzüglich in Baiern, massenhaft in Gebrauch sind. Sie werden nach dem Gemäß des Landes gemacht, woher sie bestellt sind. Nach Hessen, Frankfurt etc. gehen bauchige Bierkrüge von einem halben bis zu einem Maß, welche in den Wirthschaften dem Gast nebst Trinkglas vorgesetzt werden; über ganz Deutschland birnförmige Krüge bis zu sechs Maß haltend, die in den Wirthschaften zum Heraufholen des Getränks aus dem Keller, in den Haushaltungen zur Aufbewahrung des Trinkwassers, Essigs etc. verwendet werden. Man sucht die Kannen so weiß wie möglich zu backen und verziert sie mit Malereien von Smalte. Seit einer Reihe von Jahren werden auch in Metallformen gepreßte Kännchen mit erhabenen Bildern fabricirt, die oft sehr schön gerathen und meist den Gambrinus, Scenen aus Wilhelm Tell, des Jägers Tod etc. vorstellen.

Die vielen Haushaltungsgefäße, welche die größere Masse des Steinzeugs bilden, werden von den Fabrikanten gefertigt, die ihr Product Weißwaare nennen, gegen achtzig im Ganzen. Dazu gehören die Milch- und Einmachtöpfe vom kleinsten bis zum Gehalt von zehn Maß, Küchengefäße und Schüsseln jeder Façon und Größe; ferner Wichstöpfe, Gefäße für Apothekerwaaren und Chemikalien, Ballons für Säuren, Wulf’sche Flaschen-Retorten, endlich Fässer.

„Diese Fässer,“ sagte Pfarrer Müller, „können noch eine große Zukunft haben. Es ist ein Lieblingsproject von mir, steinerne Lagerfässer für Wein herstellen und einführen zu lassen; in ihnen würde der Wein weder zehren noch absterben, mithin, wenn er in’s Faß gefüllt ist, durchaus keine Nachbehandlung mehr nöthig haben.“

Die Weißwaaren- und Kannenbäckerei bewegt sich in günstigern Verhältnissen. Unter diesen Fabrikanten finden sich viele wohlhabende Leute: gar manche mögen wohl einen Besitz von zehn bis zwanzig Tausend Gulden haben.

Der Thon, aus welchem das hiesige Steinzeug gemacht wird, findet sich fast in allen Gemarkungen des Krugbäckerlandes, gewöhnlich acht bis vierzig Fuß unter der Erde und sieben bis dreißig Fuß mächtig. Als Thongräber ernähren sich wohl über hundert Männer. Man verarbeitet rothen, gelben, blauen und weißen Thon; die drei ersten Sorten zu Krügen, besonders die blaue, weil sie die fetteste ist; die weiße zu Kannen und Weißwaaren. Der Krugbäcker verarbeitet den Thon am liebsten so frisch, wie er aus der Erde kommt; die andern Fabrikanten lassen ihn erst unter luftigen Schuppen trocknen oder „edel“ werden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_110.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2017)