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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Mimi war bald eine Stadtberühmtheit geworden und der Stolz der Bewohner von Amiens. Später, 1801, wurde ihr durch eine einflußreiche Gönnerin, die das begabte Kind auf der Bühne gesehen hatte, eine Freistelle im Conservatorium in Paris und ein Gehalt von zwölfhundert Franken ausgewirkt.

So wanderte denn Fräulein Georges mit ihrer Mutter nach Paris. Das Théâtre français war bei ihrem ersten Auftreten überfüllt, denn die Nachricht hatte sich verbreitet von einem neuen Künstlerstern, und von einer unvergleichlichen Schönheit, allein hinreichend der jungen Anfängerin alle Herzen zu gewinnen.

Schon damals waren alle Berichte voll von der außerordentlichen Schönheit der Künstlerin. Man höre aber erst, wie sie nachmals der Maler in Worten, der Dichter Théophile Gautier, in ihrer Reife und Vollendung beschreibt: „Fräulein Georges gleicht zum Verwechseln einer Medaille von Syrakus oder einer Isis auf einem äginetischen Basrelief. Die mit unvergleichlicher Reinheit und Feinheit gezeichnete Wölbung der Brauen breitet sich über ein Paar schwarzer Augen aus voll Flammen und tragischen Blitzen. Die schmale, gerade Nase, von einem schiefliegenden, leidenschaftlich anschwellenden Nasenloche durchschnitten, schmiegt sich an die Stirn in einer Linie von prächtiger Einfachheit. Der Mund ist mächtig, an beiden Winkeln gewölbt, stolz wegwerfend, wie jener der Rachegöttin, die der Stunde harrt, wo sie ihren Löwen mit den ehernen Klauen entfesselt. Dennoch entblüht diesem Munde ein reizendes Lächeln voll kaiserlicher Anmuth, und wenn er zarte Neigungen aussprechen will, würde man nicht glauben, daß ihm soeben der antike Fluch oder der moderne Bann entfuhr. Das Kinn voll Kraft und Entschlossenheit rundet sich mit Festigkeit empor und endigt in einem majestätischen Umrisse dieses Profil, das mehr einer Göttin, als einer Frau angehört. Wie alle schönen Weiber des Heidenkreises, hat Fräulein Georges eine volle, breite, an den Schläfen ausgebauchte Stirn, aber sie ist wenig hoch, ziemlich ähnlich jener der Venus von Milo, eine eigenwillige, wollüstige, mächtige Stirn. Eine bemerkenswerthe Eigenheit des Halses von Fräulein Georges ist es, daß er, statt innerlich dem Nacken zu sich abzurunden, einen durchwegs ausgebauchten Umriß bildet, welcher ohne alle Krümmung von den Schultern bis zum Kopfe verläuft. Das ist das untrügliche Zeichen eines athletischen Temperamentes, wie es beim farnesischen Hercules seinen Gipfelpunkt erreicht hat. Der Ansatz der Arme hat etwas Furchtbares durch die Kraft der Muskel und die Gewalt des Umfangs. Ein Armband von Fräulein Georges würde einer Frau von mittelmäßigem Leibe als Gürtel dienen können. Aber diese Arme sind sehr weiß, sehr rein und laufen in ein Gelenk aus von kindlicher Zartheit, in winzige Händchen, besät von Liebesgrübchen, wahre königliche Hände, geschaffen, den Scepter zu tragen und den Dolch des Aeschylos und Euripides zu schwingen.“

Wenn die Besten zu dieser dithyrambischen Höhe sich verstiegen, was Wunder, wenn gemeine Sterbliche vom Rausche der Bewunderung zu ungewohnt leidenschaftlichen Kundgebungen hingerissen wurden? Mit dem ersten Augenblicke ihres Auftretens begann jene Reihe von siegreichen Schlachten, von Prüfungen jeder Art, von Wanderungen und abenteuerlichen Fahrten durch das Leben und die Kunst, welche die merkwürdige Laufbahn dieser Schauspielerin ausfüllten. Schon bei ihrem zweiten Erscheinen als Amenaide in Tancred brach der Krieg zwischen den Georgiens und den Carcassiens aus. Mit dem letzteren Namen wurden die Verehrer der durch ungewöhnliche Magerkeit ausgezeichneten Schauspielerin Duchesnois verspottet, da Carcasse im Französischen Gerippe bedeutet. Es war ein Kampf, der in den Journalen und in Flugschriften mit der Feder, im Parterre mit den Fäusten und außerhalb des Theaters mit dem Degen ausgekämpft wurde. Es ging oft heiß dabei her, und als die Georges unmittelbar nach ihrer Nebenbuhlerin in der Phädra auftrat, arbeitete die Pfeife der Carcassiens so gewaltig, daß man im vierten Acte die Schauspielerin ohnmächtig vom Schlachtfelde fortbringen mußte.

Nur ein wirkliches Talent kann Stürmen, wie diese, widerstehen, Schönheit allein kann nicht zum Siege in solchen Kämpfen führen. Aus jener Schlacht ging die Georges um einen Zoll größer hervor. Diese Triumphe auf dem Theater änderten indeß wenig in ihrer Lage, sie blieb Jahre lang in ihrer kleinen Wohnung des Hotel Peru; vertraute Freunde sahen wohl die große Tragödin im einfachen Nachtkleide vor einem Linsengericht sitzen. Aber auch das wirkliche Peru sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ein polnischer Fürst, Sapieha, ein Mann von ungewöhnlichem Reichthume, ein Bewunderer der Künstlerin, beschenkte diese mit fürstlicher Freigebigkeit und richtete ihr eine königliche Wohnung ein. Alexander Dumas, der sich nicht gern eine Gelegenheit entschlüpfen ließ, einen Scandal zu erzählen, betheuert, daß die Huldigung des polnischen Fürsten nur der Schauspielerin galt und im Uebrigen stets eine uneigennützige, platonische geblieben ist. Aber Anbeter mit mehr Ansprüchen stellten sich ein; Lucian, der Bruder des ersten Consuls, lag zu den Füßen der schönen Bühnenkönigin. Seine Bewerbung machte Eindruck, sie wäre vielleicht auch nicht ohne Erfolg geblieben, hätte der verliebte Bruder des Helden von Arcole nicht gegen diesen Gott des Tages selbst zu kämpfen gehabt.

Eines Abends erschien ein Bote, ein gewöhnlicher Diener des ersten Consuls – damals gab es noch keine gräflichen Liebesherolde, keine Bacciochis, derlei Sendungen zu erfüllen – um Fräulein Georges nach St. Cloud zu bescheiden. Die aus dieser Zusammenkunft folgenden zärtlichen Beziehungen zu Bonaparte waren von Dauer und der Kaiser Napoleon zeigte sich den gewaltigen Reizen dieser imperialen Schönheit gegenüber nicht unempfindlicher, als früher der erste Consul. Josephine blieb der Künstlerin trotzdem gewogen; sie machte ihr einen mit echtem Golde gestickten königlichen Mantel zum Geschenk, gleichsam als wollte sie die Blöße bedecken, die sich ihr Gemahl gab, vielleicht auch um der nicht zu großen Freigebigkeit des kaiserlichen Helden zu Hülfe zu kommen. Auch Hortense Beauharnais, die Mutter Napoleon des Dritten, war von Anfang her eine Beschützerin der Georges. Dankbar blieb diese ihrem Cultus für die Napoleoniden auch nach der Tragödie von Waterloo treu.

Als Zeichen der Zeit sei hier Folgendes erzählt. Die Begegnung zweier Berühmtheiten von dem Kaliber der Georges und Bonaparte’s konnte in einer Stadt wie Paris kein Geheimniß bleiben. Kurz nach dem ersten Besuche der Schauspielerin in St. Cloud kam der Consul in’s Théâtre français, um einer Vorstellung von Corneille’s Cinna beizuwohnen. Als Fräulein Georges, welche die Rolle der Emilie spielte, zu der Stelle kam: „Si j’ai séduit Cinna, j’en séduirai bien d’autres,“ (Habe ich Cinna in Fesseln geschlagen, so werde ich wohl noch Andere fesseln) brachen die Zuschauer in lebhaften Beifall aus, indem alle Blicke nach der Loge des Consuls sich richteten.

Mit jedem Tage stieg die Georges in der Gunst der Pariser höher, eine jede ihrer Schöpfungen bezeichnet eine neue Eroberung auf dem Gebiete der Kunst. Sogar Artaxerxes, die alberne Tragödie von Delieu, wurde, Dank sei es ihrer Darstellung, bei der ersten Vorstellung als ein Meisterwerk begrüßt. Am Abend der zweiten Vorstellung trat der Regisseur vor das Publicum und machte die Mittheilung, Fräulein Georges sei spurlos aus Paris verschwunden. Eine andere Schauspielerin mußte die Rolle der Flüchtigen aus dem Buche vorlesen. Die Flucht wird verschieden erklärt. Die Einen sagen, die Schauspielerin hätte durch Mangel an Verschwiegenheit beleidigt und sei dem Zorne des Kaisers ausgewichen. Andere behaupten, sie habe sich vom Tänzer Duprat entführen lassen. Wenigstens meldeten die Blätter damals das gleichzeitige Verschwinden des Tänzers und erzählten, derselbe sei in Frauenkleidern über die Grenze entkommen. Beide wurden vergeblich verfolgt. Die Georges taucht zuerst in Wien wieder auf (1808) und erscheint bald darauf in Petersburg, wohin sie glänzende Anerbietungen gerufen hatten. Sie gab zuerst acht Vorstellungen bei Hofe und trat hierauf im großen Theater auf.

Ihr Erfolg in der russischen Hauptstadt war nicht geringer als in Frankreich. Die französische Schauspielerin wurde mit Geschenken und Ehrenbezeigungen überhäuft; Alles huldigte ihr, vom Kaiser bis zum letzten Edelmann. Alexander zeichnete sie in jeder Weise aus. Eines Tages begegnete er der Künstlerin auf einer schmalen Straße, und indem er ihrem prächtigen Viergespann höflich aus dem Wege fahren wollte, stürzte er mit seinem Wagen in einen Graben. Die Georges stieß einen Schrei des Entsetzens aus; da stand der Czar, der sich nicht verletzt hatte, bereits an ihrem Wagenschlage und sagte ihr lächelnd: „Also Sie haben mich tödten wollen, das ist eine Verschwörung; doch seien Sie ruhig, ich werde dem Kaiser nichts davon sagen.“

Trotz Ruhm und Vermögen sehnte sich Fräulein Georges wieder nach ihrer Heimath zurück. Die Ereignisse des Jahres 1812 duldeten sie vollends nicht mehr in Rußland. Als gute Französin und treue Anhängerin des Kaisers wollte sie das Frohlocken der Russen über den mißglückten Feldzug Napoleon’s des Ersten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_105.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2017)