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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

und Kobolden eine der schönsten Gegenden des Rheinthales, die sich um den Königsstuhl herum gruppirt, bewundern und genießen. Dicht vor uns wälzt der Rheinstrom seine grünlichen Wellen langsam und majestätisch durch das Thal; auf dem jenseitigen Ufer schaut von einem hohen Felsen die Marksburg herab, und zu deren Füßen lacht das Städtchen Braubach hervor. Nicht weit davon nistet behaglich Oberlahnstein zwischen blühenden oder fruchttragenden Obstbäumen in einem stillen Thale, das von der Lahn und dem Rhein umspült wird. Daraus hervor hebt sich die Burg Lahneck, der vierhundert Fuß hohe Allerheiligenberg mit einer Capelle, und am Einflusse der Lahn das alte romantische Bauwerk der Johanniskirche. Aus dem Rheine selbst streckt sich die Insel Oberwerth mit dem Zauberschlößchen eines Landhauses empor; rechts grünt in bläulicher Umduftung der Lützelforst, auf der linken Seite erhebt sich das majestätische Schloß Stolzenfels, und vom Westen her duften die schönsten Wiesenthäler zwischen waldbekränzten Höhen in malerischer Vielgestaltigkeit heran auf die Stätte, von welcher die Säulenhallen des Königsstuhls emporragen, stets bereit, das neue Oberhaupt eines neuen vereinigten und freien Deutschlands, dessen Wähler und die Vertreter eines glücklichen Volks zu begrüßen.

Wie gering auch manche Hoffnungen sein mögen, daß aus dem jetzigen deutschen Parlamente ein solches majestätisches Haupt, die Persönlichkeit dieser Einheit und Freiheit, hervortreten werde, so wollen wir doch nicht verzweifeln, sondern freudig hoffen und arbeiten, um einem solchen glücklichen Ereignisse die Stätte zu bereiten und den Königsstuhl zu schmücken, auf dem vielleicht bald der Kaiser Barbarossa, wenn nicht mit Haut und Haar, so doch im Geiste und der Wirklichkeit der neuen Zeit Platz nehmen und den vereinigten Fürsten und Völkern den Schwur leisten mag, daß er die deutsche Einheit und Freiheit gegen alle „Dispensation, Relaxation, und Abolition“ schützen und wahren und in rechtsgetreuer Uebereinstimmung mit den Vertretern des Volkes zum Heile aller deutschen Stämme und Parteien zu immer schönerer Blüthe und Frucht stärken wolle.




Pariser Bilder und Geschichten.
Seltsamer Beruf.


Vor einigen Jahren überfiel mich im Odeontheater plötzlich heftiges Unwohlsein, ich mußte nach Hause fahren. Die drei Treppen zu meinem Zimmer schienen mir fast unersteiglich; ich legte mich, kaum oben angekommen, in mein Bett und versank in jenen unbehaglichen Zustand, welcher in der Regel der Vorbote nervöser Fieber ist. Halb träumend mochte ich mehrere Stunden allein gewesen sein, als ich eine sehr angenehme Männerstimme sagen hörte: „Wie geht es Ihnen, mein Herr? Ich werde Ihnen einen Arzt holen.“

Der liebenswürdige deutsche Arzt, Dr. Otterburg, kam; nach einigen Wochen war ich wieder völlig hergestellt. Als ich im Hause nach dem Herrn fragte, der mir hülfreich erschienen war, erfuhr ich, daß derselbe den Namen Albanus führe, nur zwei Monate mein Hausgenosse gewesen sei und daß man seine jetzige Wohnung nicht wisse. Herr Albanus hätte, als mein Zimmernachbar, mich seufzen gehört, daraus geschlossen, daß ich sehr krank sei, und den Arzt gerufen. Da ich mich in sicheren Häusern des Nachts niemals einschließe, hatte er ohne Mühe zu mir kommen können.

Gern hätte ich dem Herrn für seine Güte gedankt, allein, so oft ich ausging und mich nach ihm umsah, niemals begegnete er mir. Wie krank ich mich auch gefühlt hatte, Albanus’ Erscheinung hatte mir einen tiefen Eindruck hinterlassen, und seiner hohen Gestalt, seiner schönen Stimme, sowie seiner großen, stahlgrauen Augen erinnerte ich mich sehr wohl.

Einmal, als ich dem Bau des Ausstellungsgebäudes zuschaute, fiel mir ein Blousenmann auf, welcher dem vorüberreitenden Kaiser ein „Vive l’Empereur!“ zurief, in das alle Arbeiter einstimmten. Gestalt und Augen erinnerten mich an Albanus, doch unmöglich konnten sich die Verhältnisse des Mannes so schnell geändert haben, daß er jetzt eine Blouse tragen mußte.

Im März vorigen Jahres besuchte ich in der Gemäldegalerie des Louvre meinen Freund, den Maler Gilbert. Vor einem großen Historienbilde stand ein modern gekleideter Herr neben einem kleinen Mädchen.

„Haben Sie jemals ein reizenderes Kind erblickt, Eugen?“ flüsterte Gilbert mir zu; „ich wünschte mir schon oft, es säße mir einmal.“

„In Wahrheit, ein schönes Wesen! In sechs Jahren wird es Aufsehen erregen.“

Die Stimme des Begleiters der Kleinen war mir aufgefallen; sie, sowie Gestalt und Augen – obgleich letztere durch die Brille bedeckt – mahnten mich an Albanus. Ich schritt grüßend auf ihn zu; er blickte mich gleichgültig fragend an, als habe er mich niemals gesehen.

„Sie erinnern sich meiner wohl nicht mehr, mein Herr? Als Sie in der Rue Richelieu wohnten –“

„Verzeihen Sie, mein Herr, ich habe niemals in der Rue Richelieu gewohnt und entsinne mich nicht, jemals in Paris oder wo anders die Ehre gehabt zu haben, Ihnen zu begegnen.“

Ich murmelte eine Entschuldigung und ging wieder zu Gilbert.

„Kennen Sie diesen Herrn, Eugen?“

„Nein, ich irrte mich, eine Aehnlichkeit – wissen Sie, wer er ist?“

„Er kommt oft mit der schönen Kleinen hierher, welche großes Interesse an Gemälden zu haben scheint. Ich habe einige Male an der Table d’hôte im Hotel Mirabeau ihm gegenüber gespeist. Dort hörte ich ihn von Anderen Baron nennen.“

Einige Tage später besuchte mich ein Vetter aus Deutschland, welcher bisher stets in einem schlesischen Städtchen gelebt hatte; Paris war die erste Großstadt, welche er sah. Ich machte seinen Führer, und da das schönste Wetter uns begleitete, waren wir sehr heiter. In lebhaftem Gespräch wandelten wir eines Morgens im Luxembourg-Garten umher. Ueberall war es schon grün und der Duft der Frühlingsblumen, die hier in reichster Fülle zu sehen sind, stimmte uns freudig.

Eben standen wir auf der Terrasse, ich betrachtete die Statue der Anna von Bretagne, als ich meinen Vetter lebhafter, als es seine Weise ist, ausrufen hörte: „Ha, welch’ schönes Kind!“

Ich sah mich um und erblickte dasselbe Mädchen, das ich schon im Louvre bewundert hatte, leicht und anmuthig am Arme ihres Vaters uns entgegen kommen.

„Wollen wir heimkehren, Julie?“ fragte der Baron neckend in französischer Sprache.

Das Mädchen schüttelte den Lockenkopf und erwiderte so recht in der Art eines verzogenen Kindes: „Nein, Papa, noch lange nicht.“

Jetzt wußte ich es ganz gewiß, Julie’s Vater war kein Anderer, als mein Herr Albanus. Da er mich aber kürzlich nicht hatte kennen wollen, so ging ich fremd an ihm vorüber, im Gespräch mit meinem Vetter, der unaufhörlich fragte und dabei seine Bewunderung über Paris aussprach.

Spioniren ist nicht meine Weise, beobachten aber muß der Schriftsteller, denn kein aus Büchern geschöpftes Wissen kommt den Erfahrungen gleich, welche das Leben uns bringt, wenn wir nur zu leben gelernt haben. Wie Alles in der Welt, will auch das Leben gelernt sein. Also beobachtete sich das reizende Mädchen und den stattlichen Mann und sah jetzt, daß ein Herr rasch auf ihn zuschritt; der Letztere war kein Anderer, als der Präfect der Seine, Herr Haußmann. Beide Herren sprachen mit einander halblaut; natürlich hielten wir, mein Vetter und ich, uns in anständiger Entfernung von den Redenden.

Um meinem Verwandten so viel wie möglich von Paris zu zeigen, führte ich ihn an diesem Tage in ein Hotel zum Speisen, welches er noch nicht kannte, wo meist Engländer, Deutsche, Amerikaner,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_093.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2017)