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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

1826 ein Bild dieses Höfchens seines Vaterhauses, mit dem noch erhaltenen Brunnen (Regenpumpe) an der westlichen Mauer, das den hölzernen Schupf an der Südseite zeigt, in dessen niedrigen Dachraum eine kleine Leiter hinaufsteigt. Auf der ersten Seite des Briefbogens (das Original ist im Besitze des ehemaligen Königs Georg des Fünften von Hannover) finden sich folgende Strophen an Klinger (auch in Goethe’s Werken aufgenommen) von Goethe’s Hand:

„An diesem Brunnen hast auch Du gespielt,
Im engen Raum die Weite vorgefühlt;
Den Wanderstab in’s fernste Lebensland
Nahmst Du getrost aus frommer Mutterhand,
Und magst Du gern’ erlosch’nes Bild erneu’n,
Am hohen Ziel des ersten Schritts erfreun.“

Auf der dritten Seite hinter dem Bilde stehen die Zeilen:

Eine Schwelle hieß in’s Leben
Uns verschied’ne Wege geh’n;
War es doch zu edlem Streben,
Drum auf heitres Wiedersehn!“

Heinrich Merck.

Nach gründlichen Untersuchungen, ob wir gleich auch das Wort „eine Schwelle“ im Allgemeinen aus Frankfurt überhaupt beziehen können, ist Friedrich Maximilian Klinger am 17. Februar 1752 in dem vor dem Umbaue vom Hofe aus zugänglichen Nebenhäuschen geboren und Goethe’s Vaterhaus ist demnach auch Klinger’s Geburtshaus. Sein Vater war ein armer Holzhacker und Stadtsoldat und seine Mutter nährte sich nach dessen Tode erst als Waschfrau, dann später durch einen kleinen Feuersteinladen.

Der berühmte Dichter von „Sturm und Drang“, nachdem er bereits russischer Generallieutenant in Petersburg geworden und Gemahl der durch Rang und Schönheit ausgezeichneten natürlichen Tochter der Kaiserin Katharina der Zweiten, Alexandra Alexeff, besuchte in glänzender Militairuniform mit allen seinen Orden die gute Mutter in ihrem Stübchen in der engen Rittergasse (die seit einigen Jahren auf Anordnung des Senats „Klingergasse“ umgetauft worden), die er in zwanzig langen Jahren nicht gesehen hatte und leider nicht bewegen konnte, ihm nach Petersburg zu folgen.

Thaddäus von Bulgarin, der in seinen Memoiren (1856) ebenfalls behauptet, daß Klinger in dem Goethe’schen Nebenhäuschen geboren sei, führt uns das Bild Klinger’s lebendig in den Worten vor: „In Gesellschaft, die ihm zusagte, und in freundschaftlichen Gesprächen war Klinger, wenn überhaupt bei guter Laune, außerordentlich angenehm und interessant; aber im Dienste und seinen Untergebenen gegenüber kalt wie der steinerne Gast im Don Juan. Klinger hatte bei hohem Wuchse und regelmäßigen Gesichtszügen eine starre Physiognomie; nie hat ihn Jemand lächeln sehen.“

Aus dem Höfchen traten wir wieder auf die Straße. Die Freunde warfen noch schweigend einen Scheideblick auf die heilige Dichterstätte.

„Von der Wiege zum Grabe!“ bat nach längerem Schweigen Halliwell. „Unser letzter Gang sei zum Grabe der Mutter.“

Auf dem alten, längst nicht mehr benutzten Kirchhofe, der an die Peterskirche stößt und an dessen Wänden Denkmäler und Wappenschilder anzeigen, wo die alten Patriciergeschlechter Frankfurts gruppenweise ruhen, hat beim östlichen Eingang rechts die Frau Rath am 15. September 1808 ihre letzte Ruhestätte gefunden, an der Seite des ihr vor sechsundzwanzig Jahren im Tode vorausgegangenen Gatten, nachdem sie achtundsiebenzig Jahre gelebt und den vollen Weltruhm ihres Sohnes, wenn auch fern von ihm, in ihrem treuen Mutterherzen mit durchempfunden hatte.

Der schönste Zug bei der ganzen hundertjährigen Geburtstagsfeier ihres großen Sohnes war die Bezeichnung dieser heiligen Stätte durch einen neuen einfachen, das ganze Grab deckenden Sandstein mit der einfachen Aufschrift:

Grab der Frau Rath Goethe.
Geboren am 19. Februar 1731.
Gestorben am 13. September 1808.

An dem Fuße des Denksteins die Aufschrift:

„den 28. August 1849.“

Ja, die Frau Rath war der Schutzgeist ihres Sohnes, so lange er sich in Frankfurt aufhielt. Sie war es eigentlich, welche ihn, da sie trotz einer guten Frankfurterin fühlte, er würde an der Seite des nüchternen Vaters seine höhere Bestimmung verfehlen, antrieb, der Einladung seines jungen fürstlichen Freundes nach Weimar zu folgen. Und sie blieb innig mit dem Sohne verbunden ihr Leben lang. Im März 1807 besuchte der Geheime Rath von Goethe mit Frau und Sohn sie zum letzten Mal in Frankfurt, und ihr einziger Enkel August sah Ostern 1808, als er im neunzehnten Lebensjahre nach Heidelberg als Student ging, nochmals die liebe Großmutter und speiste mit ihr beim Fürst-Primas zu Mittag. Der Sohn aber hielt ihr bei Mittheilung eines ihrer Briefe an Zelter die schönste Lobrede in den Worten: „Darin, wie in jeder Zeile, spricht sich der Charakter einer Frau aus, die in alttestamentlicher Gottesfurcht ein tüchtiges Leben voll Zuversicht auf den unwandelbaren Volks- und Familiengott zubrachte und, als sie ihren Tod selbst ankündigte, ihr Leichenbegängniß so pünktlich anordnete, daß die Weinsorten und die Größe der Bretzeln, womit die Begleiter erquickt werden sollen, genau bestimmt war.“

Wir reichten uns zum Abschied die Hände. Paul Nicard, der immer ernster geworden, sprach beim Scheiden die bedeutungsvollen Worte Elisabeth Goethe’s an Bettina Brentano: „Der Mensch wird begraben in geweihter Erd’; so soll man auch große und seltene Begebenheiten begraben in einem schönen Sarg der Erinnerung, an den ein Jeder hintreten kann, das Andenken zu feiern. Das hat schon der Wolfgang gesagt, als er den Werther geschrieben!“

H. K.




Hinter der Mainlinie.
Kosmopolitische Weltfahrten und Erinnerungen.
Nr. 4. Aus der „Sternkammer“ in Wiesbaden.


Das kleine Nassau ist nicht nur reich an „Sieben wonnigen W’s“ – „Wasser und Wiese und Wald; Wild, Wein und Weizen und Wolle“ – es erzeugt auch einen ausgezeichneten Menschenschlag, schlanke kräftige Männer- und blühende schwellende Frauengestalten. Dazu anmuthige sittige Frauen, echt deutsche Hausfrauen und Mütter; und verständige patriotische Männer, die ihr engeres Vaterländchen warm lieben und ein großes gemeinsames Vaterland heiß ersehnen. Und die Zahl von zähen energischen Patrioten ist unverhältnißmäßig groß, denn die Nassauischen Verfassungskämpfe datiren nicht erst seit 1848, sondern schon von den Befreiungskriegen ab; der mehr als fünfzigjährige Widerstand gegen die Miß- und Uebergriffe einer verblendeten Regierung hat, wie es unter anhaltendem Druck, unter wirklichen Leiden stets zu geschehen pflegt, die Herzen und Geister geläutert und gestählt; der frische Muth und die gläubige Ausdauer in diesem Kampfe hat sich hier von Vater auf Sohn vererbt, und das ganze Ländchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_088.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2017)