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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Das versteht sich!“ erwiderte die Hauserin und ging. „B’hüt Gott derweil, Lisel – komm’ gut heim!“

Sie machte einige Schritte gegen das Haus und gewahrte jetzt erst, daß der früher frostharte Schnee unter ihr einsank. „Schau,“ dachte sie, „der Schnee will ableinen (schmelzen) – könnt’ die Alte am End’ doch Recht haben, daß sich die Kälten brechen will … Wenn nur der Schwager heim käm’! Wo er sich wieder verplauscht haben wird! Ich will nur das Essen vom Feuer stellen, sonst brat’ Alles ein! Der Vestl hat sich auch noch nicht seh’n lassen – aber der rührt eh’ nichts an, bevor der Vetter daheim ist …“

Kopfschüttelnd und wie suchend ging sie um das Haus herum, die Gräd’ entlang, welche gegen den Grasgarten und dessen Obstbäume hinlief, durch das vorspringende Dach vor Wind geschützt und vom Schnee frei gehalten. Sie spähte unter den dunklen Baumgruppen durch die Dämmerung herum und ihr vorsichtiges Stillstehen zeigte bald, daß sie gefunden, wonach sie gesucht.

Unter den Bäumen, an einer von Hecken eingeschlossenen Stelle, stand Sylvester und streute Brodkrumen und allerlei Sämereien auf den Schnee.

„Da bist Du ja!“ sagte sie, „hab’ mir doch gar nit einbilden können, wo Du steckst. Thust heut’ noch den Vögeln aufstreuen, wo sie doch alle schon lange schlafen …“

„Sie werden doch früher wach, als Unsereins,“ erwiderte Sylvester, ohne sich umzuwenden, und fuhr in seiner Beschäftigung fort[WS 1], „es ist, daß sie morgen ihr Futter schon bereit finden …“

„Ich muß mich nur über Dich wundern,“ begann die Base, „was Du davon hast! Ist Dir doch sonst nicht eing’fallen, darum zu sorgen, ob die Finken und die Meisen und die Gimpeln was zu fressen haben im Winter – unser Herrgott hat ihnen die große Tafel gedeckt, wo sie alleweil ein paar Bröseln finden, und es fällt kein Vogel vom Baum, ohne sein’ Willen – Sonst hast doch wenigstens ein halb Dutzend Schlaghäuseln aufg’stellt und hast sie gefangen; hat’s doch oft in der Stuben und in Deiner Kammer ausgeschaut, wie bei einem Vogelhändler …“

Sylvester wandte sich mit rasch abwehrender Geberde, er schien etwas erwidern zu wollen und doch im Augenblick sich anders zu bedenken. „Ich habe mir’s überlegt,“ sagte er, langsam dem Hause zuschreitend, „warum soll ich den Thierl’n ihre Freiheit nehmen, in der sie so lustig sind? Ich kann mir’s einbilden, wie das thut, wenn man eingesperrt ist und kann nimmer hinaus, wie man’s gewohnt gewesen ist …“

Die Frau schritt bedächtig hinter ihm. „So, so?“ murmelte sie. „Hast Dir’s anders überlegt?“ Und unwillkürlich mußte sie des Wortes der alten Lise gedenken, wie das Eis weich werden könne über Nacht, wenn es der warme flauderische Wind anweht. „Was hab’ ich Dir nur sagen wollen?“ fuhr sie, wie ablenkend, fort. „Ja – richtig! Schon zwei Tag’ hab’ ich den Mader gespürt … man sieht die Spur ganz deutlich über den Zaun nach dem Hühnerstall zu – Du solltest aufpassen und ihn zusammenschießen, eh’ er uns ein Dutzend Hendeln abkragelt …“

„Ich will’s dem Hies sagen,“ erwiderte Sylvester bedächtig, „er soll sich auf die Pass’ legen …“

„Der Hies? Warum thust Du’s nit selbst?“

„Weil …“ rief er und hielt inne; die Antwort schien ihm Ueberwindung zu kosten. „Weil ich nicht kann … meine Büchs’ ist nicht im Stand … es ist ’was zerbrochen dran!“

Während des Gesprächs waren sie im Hause angekommen; der Bursche trat, als wollte er einer Fortsetzung ausweichen, in die Küche, wo auf dem Heerde ein erlöschendes Feuer glomm; er setzte sich in die Ecke, nahm ein Scheit und den mächtigen Schnitzer dazu und begann so emsig Spähne zu schneiden, als thue es noth, noch eilig sein Tagewerk fertig zu bringen. Die Base machte sich am Heerde zu schaffen, blinzelte aber immer nach ihm hin und konnte sich wieder nicht enthalten, vor sich hinzubrummen oder nach dem landüblichen Ausdruck „ein bissel laut zu denken“! „Ja, ja,“ meinte sie, „zerbrochen kann was sein – aber nit am Gewehr …“

Einige Secunden war es still – dann trat sie sachte hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter „Laß ein gescheidtes Wort mit Dir reden, Vestl,“ sagte sie. „Du gefallst mir gar nit mehr …“

„Warum?“ fragte er kurz und ohne aufzublicken. „Thu’ ich ’was Unrecht’s?“

„Unrecht’s! Was nit gar! Du bist ein braver Bursch’, Du halt’st den Vetter in Ehren, denn Du thust, was er verlangt hat! Du hast keine Büchs’ mehr angerührt seit der Sichelhenk, bist bei keinem Jagen mehr gewesen, bei keinem Schiesset … Du hast kein Wirthshaus mehr g’seh’n, kein’ Kegelstatt und kein’ Tanz … Du arbeit’st den ganzen Tag und arbeit’st für ihrer Drei …“

Sylvester hielt mit Schnitzen inne und sah sie an. „Also bin ein ordentlicher Mensch, ein richtiger Bauer? Red’ Basel, ich möcht’s von Dir hören, daß ich ein richtiger Bauer bin.“

„Das bist, Vestl,“ bestätigte sie eifrig. „Das müßt’ Dir Dein Feind nachsagen … Du bist überall Der Erste, wo’s Zugreifen heißt, und der Letzte, der die Händ’ in Schooß legt … und doch bist der alte Vestl nimmer! Der Bub’, der den Kopf sonst so hoch ’tragen hat und daher’gangen ist, als wenn ihn der Boden brennen thät! Du bist stat und red’st nix und deut’st nix und wann’s Feierabend ist, kannst im Zwielicht dasitzen und vor Dich hinschau’n, ganze halbe Stunden lang … Was hast, Vestl? Darf die alte Basel, die Mutterstell’ vertreten hat an Dir, nit wissen, was Dich druckt?“

„Mich?“ fragte er abgewandt und scheu wie zuvor. „Wüßt’ nit, was mich drucken sollt’.“

„Red’ nit die Unwahrheit!“ fuhr die Frau wieder fort, „es nützt Dich doch nichts. Wenn Du Dich aber so anstellst, dann will ich, wenn ich auch nur eine alte Frau bin, Dir sagen, was vorgeht in Dein’ jungen Gemüth! Du bist harb (unwillig) auf Dich selbst und bist zu stolz, es Dir selber einzugestehen …“

Er stieß ein kurzes Lachen aus, das ziemlich gezwungen klang.

„Dein hölzernes Gelachter macht mich nit irr’, Vestl! Ich weiß doch, was ich weiß, harb bist auf Dich selber und das von wegen nichts Andrem, als von wegen der Brautschau …“

Sylvester lachte nicht mehr.

„Ich hab’ Dir’s gleich im Anfang gesagt, es ist ein Frevel, was Du Dir von dem Musikanten hast aufschwatzen lassen. Aber Du in Dein’ leichten Sinn hast es nit für möglich gehalten, daß Dein übermüthig’s Herz sich auch rühren kann … Drum hat Dir unser Herrgott gezeigt, daß er kein’ Spaß mit sich treiben laßt; er hat Dir gezeigt, was er kann – er hat Dir gezeigt, was er für Dich bestimmt hat gehabt und aufgehoben, und hat Dir’s wieder genommen. Du hättest können einen Schatz heben, aber Du hast ihn beschrieen und nichts ist Dir übrig ’blieben, als der Verdruß über dich selber …“

„Es ist nit wahr, Basl … es ist nit das, was mich aus einander bringt – wenn ich es doch eingesteh’n muß … es ist das Gered’, das dumme Gered’, das überall herumgeht. Der Muckl, die Schwatz-Mirl, hat Alles ausgeplauscht; Jedes weiß davon und ich kann mich nirgends mehr seh’n lassen. Ich fürcht’, es thät mich wer fragen oder spötteln oder gar Trutzliedeln singen auf mich und das gäb’ ein Unglück … denn ich thät’s nit leiden!“

„Ja, ja,“ sagte die Hauserin nickend, „es ist schon was an dem, was Du sagst, aber das Wahre, die Hauptsach’ ist’s doch nit. Es nutzt Dich nichts, wenn Du vor mir Verstecken spielst, ich seh’ Dir in’s Herz, als wenn Du ein Fensterl unterm Brustfleck hätt’st … Nit, daß die Leut’ davon reden; daß das Dirn’l Dich abgetrumpft hat, das ist, was Du nit verwinden kannst. Spreiz’ Dich, so viel Du willst, ich weiß doch, die Clar’l hat Dir’s angethan und wenn sie Ja gesagt hätte, Du thät’st die Leute wohl reden lassen, mein’ ich alleweil …“

„Nein, Basel,“ rief der Bursche, der immer erregter zugehört, und warf den Schnitzer weg, „Du bist doch auf dem Holzweg … Ja, sie hat mir gefallen, ich will’s nit leugnen, das Herz ist mir auf’gangen und ich hab’ gemeint, ich seh’ einen Engel stehen, vorn an der Evangeliseiten, aber das ist lang vorbei, verbissen und verwunden und verscherzt, sie hat mir die Leviten gelesen, daß mir die Augen auf’gangen sind sperrangelweit! Du sagst, ich wär’ übermüthig? Sie ist’s, Basel, Niemand als sie, wenn sie glaubt, sie darf einem richtigen Burschen und Bauern sein ehrlich’s Wort vor die Füß’ werfen, wie man kein’ Bettelmann einen Pfennig hinwirft! Und Du sagst selber, ich bin ein richtiger Bauernbursch!“

„Alles wahr, aber verdenken kann ich’s dem Madel doch nit,“ erwiderte die Frau, „g’rad viel kann sich ein Madel nit darauf einbilden, wann ihr ein Mannsbild einen Antrag macht,

Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_066.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)