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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Aeußerst interessant ist die Wahrnehmung, in wie hohem Grade die Sinne der Beamten in der Ausführung ihres Berufes geschärft werden. Da bei dem Arbeiten der Apparate die Angabe der Zeichen durch den Apparat stets in einem gewissen Rhythmus erfolgt, so vermögen einige der geübtesten Telegraphisten eine ankommende Depesche nach dem Gehör zu lesen, noch ehe die Zeichen auf das Papier gedrückt ihnen zukommen. Allerdings ist dies nur in der dem Beamten geläufigen Sprache möglich; fremde Sprachen telegraphirt der Nichtkenner mechanisch nach, indem er die ihm zukommenden Zeichen nachdruckt und wiedergiebt. Aus diesem Grunde geschieht oder geschah es häufig, daß die Depeschen ungenau reproducirt wurden. Es besteht nämlich die telegraphische Zeichenschrift aus Strichen und Punkten. Je nachdem die Striche weiter von einander entfernt oder näher gerückt, mit Punkten versetzt oder ohne solche sind, bilden sie die Buchstaben oder die dafür geltenden Zeichen. Da nun eine vollständige Genauigkeit, namentlich bei einer nicht festen Kenntniß der Sprache, unmöglich zu erreichen war, mußten Irrungen entstehen, indem die Striche oft näher zusammengeschoben, oft mehr von einander entfernt wurden und der Sinn der Depesche nicht klar vorlag. Es galt also eine Vorrichtung zu construiren, welche die Striche, Punkte und deren Entfernungen von einander mit mathematischer Genauigkeit auf dem Papierstreifen wiedergab.

Diese Aufgabe hat der von Siemens und Halske geschaffene Typenapparat gelöst. Die Morse’schen Zeichen werden hier wie beim Drucker gesetzt. In einen Metallstreifen geklemmt, der durch den Apparat läuft, pressen sie sich, mit blauer Farbe übertüncht, welche ihnen ebenfalls durch das Werk zugeführt wird, auf dem Streifen mit größter Schärfe und Genauigkeit ab. Um jedes zu frühe Durchgleiten oder jeden, den allerkleinsten nicht hingehörenden Zwischenraum zu vermeiden, ist über dem Metallstreifen ein Hebel angebracht, welcher in unsichtbaren Bewegungen – die Schnelligkeit läßt sie nicht bemerken – die Typencolonne aufhält und sie demnach nicht eher weiter läßt, als bis sie gehörig abgedruckt ist und durch diesen unsichtbaren Halt ihre Zwischenräume genau inne hält.

Am auffälligsten für den Laien und, wenn der Ausdruck erlaubt ist, am „blendendsten“ ist die Arbeit, welche der Apparat von Hughes liefert. Dieser Apparat ist im letzten großen Gemache, getrennt von dem Hauptstationssaal, aufgestellt. Der Apparat druckt nämlich vollständig Wort für Wort die Depesche ab, so wie sie aufgegeben wurde. Das hat allerdings für den Zuschauer etwas Ungeheuerliches, fast Uebernatürliches. Die Zeichen, welche dem Laien nicht verständlich sind, machen eben deshalb nicht den mächtigen Eindruck, aber das, was Jeder von dem Papierstreifen, der sich aus der mystischen Maschine hervorarbeitet, ablesen kann, was schwarz auf weiß von hundert Meilen her zu uns herüberkommt, das regt die Sinne mächtig an.

Was wirkt, was bewegt, was strömt in jenen Drähten zusammen! Welch’ ungeheure Resultate sind bis heute erreicht worden auf dem Gebiete der Telegraphie! Und doch steht man erst am Anfange: diese Kräfte haben erst begonnen, ihre Dienste zu leihen; wohin wird es in zehn – zwanzig Jahren gekommen sein!

Denn schon jetzt stellte sich, je weiter die Telegraphie ihre Netze spinnt, das Bedürfniß nach einer allgemeinen Schriftsprache heraus – sie ist bereits vorhanden. Man vermag heute durch die sechszig Elementarzeichen der Telegraphenschrift den Gedankenaustausch in vielen Sprachen zu bewerkstelligen. Der Telegraphist übermittelt die Depeschen, ohne Kenntniß der Sprache selbst zu besitzen. Wenn der deutsche Telegraphist ein in seiner Muttersprache geschriebenes Telegramm befördert und ein deutsches „A“ angiebt, dann giebt der fremde Beamte das empfangene Zeichen so wieder, wie es in seiner Sprache geschrieben wird, ohne daran zu denken, daß das autographische Zeichen ganz anders aussieht.

Neben diesen allgemeinen Schlüsseln für die Alphabete, Interpunctionen etc. läuft die universelle Chiffernschrift. Sie ist allerdings noch nicht allgemein verbreitet; man befördert z. B. in Preußen keine Chifferntelegramme, doch wird diese Vereinfachung nicht allzu lange auf sich warten lassen. Einzelne kaufmännische Chifferntelegramme sind schon jetzt gebräuchlich. So z. B. das Wort fob, welches als Bezeichnung für die Weisung free on board (frei an Bord) gilt.

Sicher wird man durch die Telegraphie auch dahin gelangen, eine allgemein geltende Zeitrechnung einzuführen und einen Punkt der Erde als Ausgang für die Zeiten aller Orte zu bestimmen, die Zeit einer Drehung der Erde um ihre Achse statt in zwei Mal zwölf Stunden in vierundzwanzig Stunden eintheilen und es jedem einzelnen Orte überlassen, sich seine Tageszeiten, in Uebereinstimmung mit seiner geographischen Lage, aus den vierundzwanzig Stunden herauszunehmen. Gewiß wird eine Verständigung möglich sein, denn im Kleinen ist der Anfang schon gemacht. In der Centralstation zu Berlin befindet sich unter einer Glocke eine sehr interessante und wichtige Vorrichtung. Durch einen Druck auf den Knopf des Apparates wird ein Zeichen nach sämmtlichen Stationen hingegeben, welche mit der Berliner Central-Telegraphenstation verbunden sind.

Dieses Zeichen wird im Sommer fünf Minuten vor sieben, im Winter fünf Minuten vor acht Uhr gegeben. Die Central-Telegraphenstation, welche mit der Berliner Sternwarte telegraphisch verbunden ist, erhält von dieser die Nachricht und die genaue Bestimmung der Zeit. Nach Empfang derselben wird fünf Minuten vor sieben oder acht Uhr nach allen Stationen hin das Zeichen gegeben, um die Uhren darnach zu regeln. Sind die fünf Minuten verflossen, so giebt die Centralstation das zweite Zeichen: „Voll sieben oder acht Uhr“ durch den Druck auf ihren Apparat, und nun fangen sämmtliche Telegraphen an zu arbeiten, die Galvanoskope klappern, die Schlüssel der Apparate bewegen sich und die geheimnißvolle Kraft beginnt unsichtbar ihr Tagewerk zu vollführen.

Allgemeine Schriftsprache – Uebereinstimmung der Zeit! Das ist der Beginn zur Verschmelzung aller Völker, und wenn erst in die fernen Steppen Asiens, nach China und Japan hinein die metallnen Arme laufen, welche den Nationen sich entgegen strecken, dann hat allerdings die Civilisation Riesenschritte gethan und der Begriff der Allgegenwart ist ziemlich verwirklicht. Es laufen jetzt bereits sechszigtausend Meilen Draht der Telegraphie über und unter der Erde hin und das Wort eilt an ihnen mit der Schnelligkeit des Gedankens entlang, ja – schon sind durch den pneumatischen Apparat die Keime zur blitzschnellen Beförderung der Pakete, Sendungen und Personen gelegt. Die Centralstation zu Berlin hat den pneumatischen Apparat, der sie mit der Berliner Börse verbindet, in ihrem Erdgeschosse angebracht. Die Wirkung desselben ist genau übereinstimmend mit jenen pneumatischen Paketbeförderungsapparaten in London, von denen die Gartenlaube schon früher (Jahrg. 1864, Nr. 13)[WS 1] erzählt hat.

Für den sinnigen Besucher unserer Telegraphen-Etablissements giebt es hier reichen Stoff zum Nachdenken. Besonders wichtig ist die Beobachtung und Wahrnehmung, wie aus den anscheinend unbedeutendsten, vielleicht von uns Allen gering geschätzten Stoffen sich die Kraft entwickelt, welche dazu bestimmt scheint, auf der Erde eine Neugestaltung der Verhältnisse zu bewirken. Die harmlosesten Dinge wirken in ihrer Verbindung Ungeheures und das Unscheinbarste wird ein wichtiger Factor. So sieht man z. B. an dem wunderbaren Apparate von Hughes ein fortwährend sich drehendes, in rasender Eile um seine Achse sausendes Gewicht, welches die synchronistische Bewegung des Schreibrades in dem Apparate regelt. Es ist nämlich das Geheimniß des Apparates, daß die Schreibräder, welche also beispielsweise in Paris und Berlin gleichzeitig wirken, auch genau dieselbe Umdrehung an beiden Punkten ohne die geringste Abweichung ausführen, daß sie auf’s Haar gleichgestellt sind – diese Gleichmäßigkeit regeln die Gewichte. Da aber die Schwungkraft, welche den kleinen Körper umhertreibt, eine ungeheure ist, so war kein Metall, selbst der stärkste Stahl nicht, haltbar genug, es zersprang oder nutzte sich bald ab. Endlich hat eine neuere Zusammensetzung den Anforderungen entsprochen. Das Gewicht hält die Schwingungen aus und die Masse, aus welcher es besteht, ist dieselbe, die wir zu Armbändern, Broschen, Schreibfederhaltern, Ringen etc. benützen: das Aluminium.

Die fortwährende Arbeit im Stationssaale; die Stille, welche nur durch das Ticken der in Thätigkeit gesetzten Maschinen unterbrochen wird; das Bewußtsein, inmitten eines Ortes sich zu befinden, von welchem aus die wundersamsten, geheimnißvollsten Kräfte der Natur ihre Gewalten nach allen Gegenden der Erde mit unfaßlicher Schnelligkeit senden, während eben so viele Gewalt wieder an diesem Orte aus weiter Ferne her zusammenströmt; die durch unsichtbare Finger in Bewegung gesetzten Zeiger, Nadeln

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nr. 3
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_062.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)