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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

in niederländischer Weise von Junker und später die schönen Bilder von Seekatz aus Darmstadt. Das südliche zweifenstrige Zimmer vornheraus war die Stube der Frau Rath, in welcher der „grüne Sessel“ stand, auf dem die Mutter Abends, wenn sie erzählte, zu sitzen pflegte und der darum der „Märchensessel“ genannt wurde. Es war die gediegene, wohlhäbige Einrichtung eines hochgebildeten und angesehenen Bürgers, „eine schöne anmuthige Wohnung, in welcher werthvolle Kunstgegenstände mit Geschmack die Zimmer verzierten“. Das hintere Zimmer, welches an die Stube der Frau Rath sich anschließt, mit zwei Fenstern in den Hof, war das Schlafzimmer der Eltern, derselbe Raum, in welchem Wolfgang zuerst das Licht der Welt erblickte.

Hier gebar am 28. August 1749 genau um die Mittagsstunde die kaum achtzehnjährige Katharina Elisabetha, des kaiserlichen Raths und Stadtschultheißen Johann Wolfgang Textor

Bettina Brentano, „das Kind“.

blühende Tochter, welche mit ihrem Sohne nach ihren eigenen Worten „nicht so weit auseinander war“, ihrem Gatten, der von Kaiser Karl dem Siebenten zum wirklichen Rath ernannt worden, das erste Kind, den Sohn Johann Wolfgang, der in einer „übergroßen von Nußbaum mit Elfenbein und Ebenholz eingelegten Wiege“ geschaukelt wurde, die man noch lange nachher in einem Dachkämmerchen aufbewahrte. Ihm folgten noch fünf andere Geschwister, zwei Knaben und drei Mädchen, von denen nur die älteste, seine geliebte Schwester Cornelia (geboren am 7. Decbr. 1750) am Leben blieb, die anderen aber alle in frühester Kindheit starben. Das Wochenbett der Frau Rath, in welchem sie den zur Welt brachte, als dessen Mutter sie fort und fort genannt werden wird, hatte blaugewürfelte Vorhänge. Drei Tage bedachte sich der Erwartete, bevor er an das Licht der Welt kam, und machte der Mutter schwere Stunden. Aus Zorn, daß ihn die Noth aus dem eingeborenen Wohnorte trieb, und durch die Mißhandlung der Hebamme kam er ganz schwarz und ohne Lebenszeichen auf die Welt. Sie legten ihn in einen sogenannten Fleischarden und bäheten ihm die Herzgrube mit Wein, ganz an seinem Leben verzweifelnd. Die Großmutter aber stand hinter dem Bette und als er zuerst die Augen aufschlug, rief sie hervor: „Räthin, er lebt!“ So erzählte die glückliche Mutter in ihrem fünfundsiebenzigsten Jahre „dem Kinde“ Bettina, und fügte hinzu:. „Da erwachte mein mütterliches Herz und lebte seitdem in fortwährender Begeisterung bis zu dieser Stunde.“

„Wie verschieden sind doch die Portraits, die man von Goethe besitzt!“ sagte mein englischer Freund. „Welche Wandlungen des Antlitzes bei allem Grundtypus in diesen Bildnissen! Bald sind sie idealisirt; unter diesen die Büste, welche Trippel 1786 in Rom modellirte und die uns ein wahres antik-ideales Apolloantlitz vorführt. Wie treten uns dagegen die beiden im höchsten Lebensalter gemalten Portraits von Stieler in München und von Jagemann in Weimar (letzteres im achtzigsten Lebensjahre) in ihrer einfachen Natürlichkeit menschlich entgegen! Welches halten Sie für das ähnlichste Jugendportrait Goethe’s?“

„Das Originalgemälde, welches Georg Melchior Kraus, Director des freien Zeicheninstitutes in Weimar, mit dem Goethe seit seinem Aufenthalt in Ems in freundlicher Berührung stand, in treuer, natürlicher Auffassung ein Jahr nach seinem Eintritt in Weimar dort in des Dichters siebenundzwanzigsten Lebensjahre malte, wofür auch die beiden Umstände sprechen, daß sich das Originalgemälde bei dem Tode der Frau Rath Goethe 1808 in deren Nachlaß vorfand und Nicolai danach einen Stich von Chodowiecki schon in der ‚Allgemeinen deutschen Bibliothek‘ im ersten Stück des neunzehnten Bandes 1776 mittheilte. Ich ziehe dieses eben wegen seiner realistischen Wahrheit dem bekannten,

Goethe’s Schwester.

eleganter aufgefaßten Oelgemälde von May vor, welches den Dichter im neunundzwanzigsten Lebensjahre vorstellt. Auffallend im hohen Grade ist die Aehnlichkeit der Großmutter Goethe’s mütterlicher Seits, der Frau Anna Margaretha Textor, gebornen Lindheimer, mit ihrem Enkel in seinem hohen Alter, wenn man ihr Bild mit denen Goethe’s von Jagemann und Stieler vergleicht.“

Die Züge des ernsten, rechtskundigen Vaters, der schon am 27. Mai 1782 starb, von dem der Dichter selbst sagt: „Vom Vater hab’ ich die Statur, des Lebens ernstes Führen,“ machen sich in den Gesichtsformen Goethe’s entschieden geltend. Lavater bezeichnete des Vaters Bild in seinen physiognomischen Fragmenten sehr richtig mit den Worten: „Hierzu ein sinnlich ähnliches Bild des vortrefflich geschickreichen, Alles wohlordnenden, bedächtlich und klug anstellenden, aber auf keinen Funken dichterischen Genies Anspruch machenden Vaters des großen Mannes.“ Er hatte seinem Sohne eine feste Grundlage des Wissens und scharfer, positiver Forschung durch seine Erziehung gegeben. Das dichterische Genie und den unverwüstlichen Frohsinn hatte Goethe von der nur achtzehn Jahre älteren Mutter ererbt, was auch der Dichter in jenen bekannten beiden Verszeilen so realistisch bestimmt ausspricht. Ich habe „vom Mütterchen die Frohnatur, und Lust zu fabuliren.“ Die unvergängliche Heiterkeit und Frische prägt sich auch so entschieden in dem Antlitz der Mutter aus, deren Oelbild die Schwiegertochter, Frau Ottilie von Goethe, einer Frankfurter Freundin der Frau Rath später verehrte. Auf dieser breiten Stirn, welche die etwas kokette Haube umschließt, thront ewiger Sonnenschein. Ihr Gesichtsausdruck war der des Dichters; jedes Wort, das ihr aus dem Munde ging oder das sie der Schrift anvertraute, dringt so ursprünglich, frisch und ergötzlich aus ihrem reichen lieben Gemüthe hervor.

Wie spricht sie über sich selbst von der Leber weg, diese herrliche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_045.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)