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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

früheren Theile und Einzelheiten, nur das in „Wahrheit und Dichtung“ so viel erwähnte Geräms, durch das man unmittelbar mit der Straße und der freien Luft in Verbindung kam, verschwand. Das erste und zweite Stockwerk erhielten anstatt der früheren fünf jedes sieben Fenster, während der Grundstock, mit der Thür genau in der Mitte, jeder Seits nur drei Fenster hatte. Vom Dache erhebt sich ein bedeutendes Zwerghaus, dessen Giebel noch zwei Stockwerke zeigt; im unteren die berühmte Dichter-Mansarde mit drei Fenstern.

Das große Zimmer im Erdgeschoß neben der Hausthür links, mit drei Fenstern gegen die Straße, war das „gewöhnliche Speisezimmer“. Hier deckte Wolfgang als Knabe, der Hausfrau und Magd zur Hand gehend, gelegentlich selber den Tisch; hier naschten die leichtfertigen Kinder die Süßigkeiten, mit welchen der französische Königslieutenant Graf Thorane sie zur Feier des

Goethe’s Vater.

Siegs der Franzosen am Abende des Tags der Schlacht bei Bergen (13. Ostermonat 1759) für ihre Handküsse und Freudenbezeigungen belohnte. Hier ereignete sich der ergötzliche Vorfall, daß der arme Chirurgus, der am Samstag Abend im Winter den Vater bei Licht rasirte, über das „wilde, verzweifelnde Gespräch zwischen Satan und Adramelech“ – welches die für Klopstock’s „Messias“ begeisterten Geschwister, Wolfgang in der Rolle des Satan und Cornelia in der des Adramelech, erst heimlich vortrugen, dann aber laut „mit fürchterlicher Stimme“ die Worte: „O wie bin ich zermalmt!“ herausdonnerten – so erschrak, daß er dem Vater das Seifenbecken in die Brust goß.

In dem Erdgeschosse war auch die neue Küche mit der Speisekammer und dem Vorzimmerchen an der Stelle der ehemaligen geräumigen Wohnstube der guten Großmutter. Den Schlüssel zu der ihm noch geheimnißvollen Speisekammer fand an einem Sonntag Morgen Wolfgang stecken, öffnete das ihm bis dahin verschlossene Heiligthum, entdeckte in der Nähe so vieler lang gewünschter Glückseligkeit, gedörrter Aepfel und Zwetschen, das dort aufbewahrt gewesene Puppenspiel der guten Großmutter und rettete die geschriebene Komödie von David und Goliath hinauf auf seine Dachkammer. Bald erschlossen sich dem Knaben bei der Mutter Entdeckung die Geheimnisse des Puppenspiels, die er von nun an mit Altersgenossen selbst zu üben suchte, bald auch von Erwachsenen ausüben sah.

Die drei vorderen Zimmer des ersten Stockes, zu denen man auf einer breiten prächtigen Treppe gelangt, waren die „schönen Zimmer“, die der Herr Rath als Prachtzimmer seines wohlbestellten Hauses nach und nach einrichtete. Das mittlere mit vier Fenstern war das Gemach, welches sich im Schneemonate 1759 der Königslieutenant Graf Thorane als „Staats- und Empfangszimmer“ herstellte. Auf dem zu dem Zimmer führenden Vorplatze ereignete sich auch der Zusammenstoß des Herrn Rath mit dem Grafen Thorane, welcher für das ganze Haus so leicht hätte verhängnißvoll werden können. Der für die deutsche Sache begeisterte Herr Rath war am Abende des Tags der Schlacht bei Bergen durch den Anblick der „verwundeten und gefangenen Landsleute“ ganz aus der „gewöhnlichen Fassung“ gekommen und mußte, indem er vom zweiten Stock in das Erdgeschoß zum Essen herabstieg, unmittelbar an des Grafen Zimmer vorbei. Der Vorsaal stand so voller Leute, daß der Graf, um Mehreres auf einmal abzuthun, sich entschloß herauszutreten, und dies geschah leider in dem Augenblicke, als der Vater herabkam. Der Graf ging ihm heiter entgegen, begrüßte ihn und sagte:

„Ihr werdet uns und Euch Glück wünschen, daß diese gefährliche Sache so glücklich abgelaufen ist.“

„Keineswegs,“ versetzte der Vater mit Ingrimm, „ich wollte,

Die Frau Rath.

sie hätten Euch zum Teufel gejagt, und wenn ich hätte mitfahren sollen!“

Der Graf hielt einen Augenblick inne, dann aber fuhr er mit Wuth auf. „Dieses sollt Ihr büßen!“ rief er. „Ihr sollt nicht umsonst der gerechten Sache und mir eine solche Beleidigung zugefügt haben!“

Wie das von dem in Wuth gerathenen Königslieutenant drohende Gewitter durch des Hausfreundes Rath Schneider kluge Vermittelung glücklich abgeleitet wurde, hat uns Goethe gleichfalls in Wahrheit und Dichtung ausführlich erzählt.

Von dem obern Vorplatz, von dem Goethe sagt, daß er recht gut hätte ein Zimmer sein können, wo auch „die Kinder stets die gute Jahreszeit zubrachten“, konnte man die Aussicht über die Gärten bequem genießen. Dieser zweite Stock war vom Hausherrn und der Hausfrau bewohnt. Der Erstere hatte in dem nördlichsten der drei nach vorn gerichteten Zimmer seine Arbeits- und Studirstube eingerichtet und das „Guckfenster“ in der Brandmauer anbringen lassen, welches den heranwachsenden Wolfgang mehr als einmal veranlaßte, Morgens bei der Heimkehr von nächtlichen Schwärmereien einen Umweg zu nehmen, um, gegen die Blicke des wachsamen, strengen Vaters aus den oberen Zimmern durch die Ueberhänge des Hauses geschützt, von der Südseite her die Hausthür zu erreichen. In diesem Zimmer, wo auch die väterliche Büchersammlung, in Franz- und Halbfranzbänden, in Ordnung aufgestellt war, erhielt Wolfgang des Vaters Unterricht und mußte unter seinen Augen arbeiten. Das schöne dreifenstrige Mittelzimmer, zum Empfange bestimmt, war das „Gemäldezimmer“ genannt und der Kunst geweiht. Da hingen an den Wänden in schwarzen, mit goldenen Stäbchen verzierten Rahmen die Oelbilder der Frankfurter Maler, ländliche Gemälde von Hirth, Feuersbrünste in Rembrandt’s Manier von Trautmann, Rheingegenden von Schütz, Blumen- und Fruchtstücke, wie Stillleben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_044.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)