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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

auf Clar’l getauft bin, und was ist das Andre, was Du noch wissen willst, Du neugieriger Mensch?“

„ … Ich?“

„Du! Hast nit gesagt: ‚und ob?‘ – und drüber bist stecken ’blieben.“

„Ja so, weiß schon,“ sagte er stockend, denn eine Reihe bunter Gedanken zuckte ihm blitzschnell durch die Seele. War er denn nicht ausgegangen zur Brautschau? Und war ihm hier nicht ein Mädchen begegnet, das Alles an sich trug, was Aug’ und Gemüth zu fesseln vermochte, und fühlte er sich nicht zu ihr hingezogen, wie noch nie? Was hinderte ihn, der erwarteten Frage einen gewichtigen entscheidenden Inhalt zu geben? Aber, so sehr das Herz ihn drängte, das Wort wollte nicht von der Zunge; er hatte es ja gelobt, hatte sich selbst und seinem Cameraden das Wort gegeben, die Wahl dem Zufall, dem Orakel zu überlassen, das sich offenbaren sollte am Altare des Höchsten; er mußte sich selber treu bleiben, durfte eine feierliche Zusage nicht brechen, da er bisher es so gehalten, daß eine Rede von ihm so sicher gewesen, wie die vollendete That.

Noch zögerte er, da machte eine überraschende Wahrnehmung seinem Schwanken ein rasches unerwartetes Ende. Sein bald schüchtern sich hebender, bald wieder zu Boden gesenkter Blick traf auf den Rocksaum des Mädchens, es war keine Täuschung! Dort, an der einen Seite war der rothe Wollbesatz schadhaft und zerfranzt: ein Stückchen schien losgerissen und, kein Zweifel, er hielt das Fehlende in der Hand.

„Hast Dich bald lang genug besonnen?“ fragte sie lachend, während aus seinem Antlitz die sonnige Freundlichkeit hinter finstern Wolken und Schatten des Unmuths verschwand.

„Brauch’ mich nit lang zu besinnen!“ rief er in so verändertem barschem Ton, daß sie verwundert aufblickte und einen Schritt zurück trat. „Ich hab’ Dich nur fragen wollen, ob das rothe Fleckel da Dir g’hört?“

„Kann wohl sein …“ kicherte sie noch verwunderter, „ich bin an ein’ Dorngesträuch hängen ’blieben! Du willst wohl Nest’l bau’n, weil Du Flocken eintragst?“

„Na, aber fragen will ich Dich, ob Du’s gewesen bist, der droben auf dem Bühel die Schlingen und Sprenkel aufgezogen und das Netz aufgemacht hat? Und wer Dir etwann das erlaubt hat?“

„Erlaubt?“ fragte sie und maß den Redenden mit einem Blicke, der dem entschlossenen Ernste des seinigen nichts nachgab. „Braucht’s da eine Erlaubniß dazu? Bist es etwa Du, der das Netz und die Schlingen aufg’richt’ hat für die armen Vögel?“

„Ist das etwann was Unrechts?“

„Das fragst? Du thust mir leid, wann Du das nit in Dir selber g’spürst … Im Tirol drinn’, wo ich jetzt her komm’, da haben s’ den leidigen Brauch, daß s’ im Herbst Alles zusammenfangen, was Federn und Flügel hat … ich hab’ mich g’nug gekränkt drüber und Du wolltest das auch bei uns aufbringen, in unsern lustigen Bergen, in dem frischen grünen Wald, den unser Herrgott extra dazu gemacht hat, daß die lieben G’schöpferln drinn singen und fludern (flattern) und ihre Freud’ haben … Scham’ Dich, Bue! Siehst wie ein richtiger Bursch aus und tragst ein richtig’s Bauerng’wand und willst ’n Jager in’s Handwerk pfuschen? …“

„Das wird Dich nit viel angeh’n,“ sagte Sylvester in um so unwilligerem Tone, als er sich von der unerwarteten Erwiderung getroffen fühlte, auch ohne es sich zu gestehen, „die Netz’ und die Sprenkel gehören mein; was sich drinn’ gefangen hat, auch – auf das hat Niemand ein Recht!“

„Kann schon sein …“ sagte das Mädchen, indem es die Arme über der Brust zusammenlegte und dem Burschen ruhig in die glimmenden Augen sah. „Ich bin zu Morgens hinaus, in aller Fruh, eh’ noch die Sonn’ heraus gewesen ist, da bin ich hinauf auf den Bühel … es ist mein Brauch so gewesen vor Jahren, wie ich noch daheim gewesen bin … da ist es so still gewesen, so halb licht und so feierlich, wie in einer Kirch’, eh’ die Lichter an’zündt werden zum Hochamt und eh’ die Orgel anfangt zu geh’n … mir ist um’s Herz gewesen, wie Einem ist, wenn man gewiß nichts Unrechtes thun will und es gut im Sinn hat, da bin ich vor das Netz hin ’kommen und hab’ die lieben Vogeln g’sehn, die Zeiseln und die Amseln und die Rothkröpfeln, wie sie sich abgematt’ haben und abgeängstigt in der Gefangenschaft. Da haben s’ mir leid ’than, die schön’ Thierl’n, sie sind so vergnügt in ihrer Freiheit und singen so schön, und da hab’ ich mir denkt, daß sie jetzt vielleicht verkauft und in kleine Häuseln eing’sperrt und gemartert werden sollen und geplagt … und wie unser Herrgott wieder so viel Reichthum hat wachsen lassen und so viel Segen und wie’s in all’ dem Ueberfluß nit zusammen geh’n kann auf die Hand voll Körneln, die das kleine Vogelvolk braucht … da hab’ ich nit gefragt, wer die Netz aufgestellt hat und die Schlingen, ich hab s’ aufgemacht und hab’ die Gefangenen los ’lassen … und hab’ ihnen zug’schaut, wie’s in die Höh’ gestiegen sind und haben sich gefreut und geflattert und gesungen, ein Jedes nach seiner Weis’, und da hab’ ich gewußt, daß ich nichts Unrechts gethan hab’, und wenn ich auch zehnmal kein Recht gehabt hab’ dazu, und wenn Du’s nit glaubst, Du bäurischer Staudenjäger, und wenn Du das Herz hast, so geh’ hinein nach Miesbach auf’s Landgericht und verklag’ mich, die Kohlenbrenner-Clarl laßt sich finden …“

Sie hatte mit erhöhtem Tone gesprochen, das Auge glänzte und über die Wange goß sich stärkere Röthe; als sie geendet, wandte sie sich rasch, im nächsten Augenblick war sie in der Thür verschwunden und Sylvester hörte den Riegel vorklappen. Einen Moment stand er noch unschlüssig, die Standrede, die ihm gehalten worden, hatte ihn verblüfft; er hatte mehrmal angesetzt, sie zu unterbrechen, aber es war ihm nichts Kluges eingefallen; er mußte sich ja selbst gestehen, daß er etwas Aehnliches empfunden, als er dem letzten Gefangenen die Freiheit gegeben hatte. Langsam drückte er das Hütel auf den Krauskopf und rief mit etwas gezwungenem Lachen, indem er sich ebenfalls rasch und wie gänzlich gleichgültig abdrehte: „Dank’ schön, Madel – versponnen bist nit – der Dich einmal heirath’, darf für’s Hauskreuz nit sorgen …“ Trotz dieser Worte aber blieb der Gedanke, daß die schöne Zänkerin heirathen, daß sie schon längst einem Burschen versprochen sein könne, wie der zurückgebliebene Stachel eines Wespenstiches in seinem Gemüthe haften, und während er dem Zaunstiege zuschritt, kam es ihm vor, als müßte es ganz anmuthig sein, einen so lieben Mund durch einen Kuß zu unterbrechen – noch nie in seinem Leben war ihm eingefallen, sich als Mann und Eheherr irgend einem Mädchen an die Seite zu denken; bei dieser, die ihn scheltend fortwies, ertappte er sich selbst über diesem Gedanken. Derselbe aber war ebenso schnell wie erstanden, auch wieder entschwunden; dafür kam es ihm vor, als hätten sich die Faden und Maschen eines unsichtbaren Netzes um ihn gelagert, und er sah sich selbst wieder als das Seitenstück des gefangenen Gimpels trübselig und desperat in der hintersten Ecke sitzen.

Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte; schon hatte er den Stieg hinter sich, beim nächsten Schritt war er im Walde – aber während desselben hielt er dennoch inne und sah nach der Kohlenhütte zurück … Er wandte sich zwar ebenso schnell wieder ab, aber der Blick hatte doch genügt, ihm zu zeigen, daß auch das Mädchen von innen hinter den Scheiben stand und ihm nachlugte …

Sylvester wußte kaum, wie er die nun von vollem Morgenscheine übergossene Berghalde erreichte; unter ihm sah er Giebel und Dach des heimathlichen Hauses aus den Obstbaumwipfeln hervor blicken und an den Befehl erinnern, der über sein ganzes Leben entschied – von drüben her, über den See klang Glockengeläute, das erste Zeichen zum Gottesdienst in der Pfarrkirche, eine mächtige, fast vorwurfsvolle Mahnung an das muthwillige Gelübde; ein Band, das ihn trotz seiner Schwäche doch unauflöslich festhielt und das schon gerächt war, als er sich anschickte, es zu erfüllen … Gestern, als er in Erregung und Unmuth sein Wort gegeben, war er noch ein Anderer gewesen; heute hatte er ein neues Herz in sich entdeckt und war entschlossen, seine Regung im Aufkeimen zu ersticken. Je näher er dem Dorfe kam, desto langsamer ward sein Schritt, desto schwerer die Last auf seinem Herzen … er wußte kaum selbst, wie er dahin gekommen, als er an dem Fallgitter des Kirchhofs stand, wo die jungen Burschen der Gemeinde vor dem Hochamt sich zusammenfanden. –

Auch der lustige Muckel hatte sich schon mit Tagesgrauen auf die Wanderung gemacht, die unzertrennliche Clarinette unterm Arm – mußte sie doch, wie ihr Träger, die Sünden und Vergehungen der Werktagswoche dadurch wieder gut machen, daß sie am Sonntage auf dem Kirchenchor mitblies zur größeren Verherrlichung des Festes und des Feiertages. Ihn hatte der Entschluß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_035.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)