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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

prüfte die Flügel, ob sie nicht gelitten in der Haft und noch im Stande waren, ihn den Genossen nachzutragen.

„Wie er singt!“ sagte Sylvester und blickte zu ihm empor. „Es ist, als wenn er sich ordentlich bedanken wollt’ …“

Beim Aufblicken gewahrte er die Rauchsäule über den Wipfeln.

„Aber was ist denn das?“ fragte er sich staunend. „Da raucht’s ja! Das kommt aus dem Gewänd’ da hinten heraus … ist der Kohlenbrenner wieder da? Das hab’ ich ja gar nit gewußt … O, da brauch’ ich nimmer lang’ zu fragen, wer meine Schlingen aufgemacht und meine Sprenkel ausgenommen hat! Gewiß hat er wieder einen Buben bei sich, so einen Schlingel, dem nichts lieber ist, als den ganzen Tag im Wald herumrennen …“

So schön er im Zuge war, er verstummte doch mit einem Male; er hatte heute einen eigenen Unstern mit Allem, was ihm begegnete und was er dachte. Konnte er den Köhlerbuben schelten, er, dem selber nichts lieber war, als im Walde herumzurennen den lieben langen Tag?

„Sehen muß ich doch, ob ich mich irr’,“ begann er wieder und schritt den Waldpfad nach der Schlucht hinab. „Dahinter kommen muß ich, wer mir meine Vögel ausgelassen hat, und muß ein deutsches Wörtel reden mit ihm! Am Boden sieht man nichts, der Moosgrund ist zu lind, man kann nit erkennen, was es für ein Fuß gewesen ist, der ihn nieder’treten hat …“

Während er sich nach einer Spur bückte, kam er einer Weißdornstaude zu nah und ein weitvorragender schlanker Zweig faßte mit einer seiner Stacheln nach seinem Aermel; er machte sich los und griff doch augenblicklich wieder nach dem Zweig, der Busch mochte sich als eine Art Wächter des engen Waldpfades betrachten, er schien jeden Vorübergehenden anzuhalten und ein Pfand von ihm zu nehmen … an einem andern Stachel hing eine rothe Wollenflocke, irgend einem Wanderer entrissen.

Sylvester nahm die rothe Flocke und war mit wenig Sätzen in der Niederung; jetzt durfte er von der Ecke aus nur noch ein paar Schritte machen, dann konnte er den ganzen schmalen Grund übersehen, aber er schritt nicht vorwärts; an der Felsecke war der Weg zur Abwehr des Weidviehs mit einem Zaun aus übereinander gelegten Stangen vermacht; auf diesen lehnte er sich mit beiden aufgestützten Armen und betrachtete verwundert das anmuthige Bild, das sich unerwartet in der Schlucht vor ihm aufgethan.

So eng der Raum war zwischen den Gebüschen des Hügels und den grauen, verwitterten Flächen der Felswand, hatte doch ein genügsamer Streifen saftgrünen Bodens sich dazwischen zu drängen gewußt; am Ende desselben, unter einem Paar gewaltiger Ahornbäume, stand etwas, was einer Hütte gleich, wie das einfachste, erste Bedürfniß sie erfindet und schafft. Vor derselben wanderten pickend einige Hühner umher; vom Giebel sahen, zum Fluge bereit, neugierige Tauben herab, und seitwärts auf schwarzem, ebenem Grunde lag ein mächtiger Kohlenmeiler, oben und nach allen Seiten mit gebräunten Rasenschichten bedeckt, aus den Ritzen stieg dichter Qualm, um sich darüber in reiner Luft zur Säule zu vereinigen. Auf dem Bänkchen an der Thür, hinter den stolzirenden Hühnern und flatternden Tauben, saß ein Mädchen, die Cither vor sich auf dem Schooße; eben war sie herausgetreten und hatte den geflügelten Hausgenossen Futter gestreut; jetzt schickte sie sich an, ihnen Musik zu machen zum Frühimbiß. Die Drahtsaiten klimperten hell wie Vogelgezwitscher, und hell wie Gesang eines andern Vogels tönte die Stimme des Mädchens darein. Die Spielende war im einfachsten Morgengewand, das keinen Beschauer erwartet; Busentuch, Hemdärmel und Schürze waren blendend weiß, nur der dunkle Rock war rothgesäumt und hob dadurch noch mehr die lichte Helle der Strümpfe mit buntem Zwickeleinsatz.

Sie sang:

„Die Kohl’n san verdeckt und
Pfeilg’rad steigt der Rauch,
Was ein richtiger Rauch ist,
Ja, der hat halt sein’ Brauch!“

Sie begann einen angenehmen Jodler als Nachgesang, dann wiederholte sie das kleine Vorspiel und wollte eben ein zweites „Gesätzel“ anfangen, als sie innehaltend verwundert aufblickte, denn vom Zaunstiege her begann eine andere, eine männlichen Stimme in gleicher Weise einfallend zu singen:

„Die Kohl’n san verdeckt und
I hab’s glei’ derkennt,
Wo der Rauch davo’ geht,
Das is eppes (etwas) das brenn!“

Das Mädchen hatte mit lachendem Wohlgefallen zugehört; jetzt nickte sie lächelnd und sang zur Erwiderung:

„Und wenn eppes brennt, so
Geh wegga (weg) fein glei’ (gleich)
Du machst Dich leicht schwarz und
Verbrennst Di dabei!“

Der Bursche zögerte nicht mit der Erwiderung, aber nicht mehr vom Zaune aus, mit einem kecken Satz hatte er sich hinübergeschwungen und eilte über den Rasen, dem Hause zu. Er sang:

„Und wenn eppes brennt, da
Lauf’ ich fredig (freudig, mit Absicht) erst zue,
Wer das Rußigwerd’n fürcht’, ist
Ka richtiger Bue!“

„Das lass’ ich mir einmal gefallen,“ fuhr er redend fort und trat vor die Citherspielerin, „wenn man so ang’sungen wird in aller Früh! Wie kommst denn um die Zeit schon in Wald?“

„Um das muß ich Dich fragen,“ erwiderte lachend das Mädchen, „ich bin da daheim. Du bist es, der zugereis’t kommt!“

„Daheim? Na, ich geh’ doch den Weg zur rechten Zeit und hab’ Dich niemals nit g’seh’n und die Hütten ist ja versperrt gewesen, schier so’lang ich’s weiß … Es sind nit viel mehr als acht Tag’, daß ich erst vorbei ’kommen bin!“

„Justament, so lang’ wird’s sein, daß der Vater wieder da her’zogen ist, er hat eine große Lieferung übernommen, von Kohlen, für den Eisenhammer draußen in der Ebnet … ich weiß nit, wie er heißt; da ist er da her’zogen und hat sich die verlassene Hütten wieder eingericht’t und seinen Kohlhaufen angezünd’t …“

„Also wär’ der Kohlenbrenner, der Veit, Dein Vater?“

„Wenn’st nichts dawider hast, ja, und Du bist wohl aufgestellt und mußt die Gegend durchstreifen und die Leut’ ausfratscheln?“

„Nein, Dirndel, aber mich verwundert’s, daß ich Dich niemals geseh’n hab’, wenn’s so wär’, müßt’ ich Dich auch kennen, so gut wie Dein’ Vater mit seiner Kohlen-Kürben …“

Das Mädchen sah ihn mit einem raschen, eigenthümlich forschenden Blick an. „Ja,“ sagte sie lachend, „einbilden darf ich mir justament nichts, daß mich Alt und Jung so vergessen hat, aber ich bin ein paar Jahrl’n fortgewesen und war dazumal noch ein ganz kleines Ding … Die Mutter ist so letz (krank) worden in die letzten Wochen her; d’rum hat’s nach mir g’schickt, aber wie ich gestern ’kommen bin, hat sich’s schon wieder ’bessert g’habt; sie ist wieder ganz krappig (rührig) und ist heut’ in aller Früh’ mit’m Vater nach Miesbach hinein marschirt … Weißt jetzt genug? Oder hast noch mehr auszukundschaften?“

„Ja,“ sagte er zögernd, „es geht jetzt in Einer Arbeit hin; ich kenn’ doch den Gesang und Schlag schier von einem jeden Vogel im Wald, aber so hat mir noch keiner gefallen, wie der Deinige! Da möcht’ ich doch gern’ wissen, wie der Vogel heißt und ob …“

Er stockte und was er sprach, enthielt keine Unwahrheit: es war ihm zu Muthe wie noch niemals im Leben; seit er vollends vor ihr stand, kam es ihm vor, als sei er bis dahin blind gewesen und habe nun zum ersten Male in ein lachendes Mädchenauge geblickt, als wäre das Herz in seiner Brust bis dahin eingezwängt gewesen, unfähig sich zu regen, und habe nun erst den freien warmen natürlichen Schlag gefunden. Auch das Mädchen war nicht ohne Befangenheit; die Lustigkeit des ersten Begegnens war etwas verflogen und als sie die frischen feurigen Augen des hübschen Burschen so unmittelbar auf sich gerichtet fühlte, war es, als ob ihr etwas in die Kehle gekommen und ihr die Stimme zusammenpresse.

„Ich mein’, es wird Zeit sein, daß ich geh’ …“ sagte sie, indem sie die Cither bei Seite legte und sich erhob, „ich hab’ noch zu thun im Haus …“ Trotz der eigenen Beklommenheit entging ihr aber die des Besuchers nicht und mit einem gutmüthigen Spottlächeln fand sie den Ton der frühern Heiterkeit nahezu wieder. Sylvester hielt den Hut in der einen Hand, in der andern drehte er die rothe Wollflocke zum Klümpchen zusammen.

„Meinen Namen willst wissen?“ fragte sie. „Na, wenn’s Dich glücklich macht, kann ich Dir’s ja wohl eingesteh’n, daß ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_034.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)