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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 3.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.




Die Brautschau.
Ein Bild aus den oberbairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


„Der Tag fangt sich schon gut an, das muß ich sagen!“ rief Sylvester unwillig und stieg in der Erregung schneller bergan. Ein munteres Bergbächlein kam in schmaler grüner Rasenrinne ihm plaudernd entgegen; auf einer flachern Stelle bildete es eine kleine Wasseransammlung, in welcher gelbe Schmalzblumen ihre vollen goldenen Köpfe schaukelten und die Wasserlinse ihre grünen fetten Blattscheiben auseinander breitete. Dazwischen spazierte und hüpfte ein Paar langgeschweifter, schwarz- und weißgefleckter Vögel zierlich hin und wieder.

Es war ein Bachstelzen-Paar und der Volksglaube will, wer ein solches Paar spielend beisammen erblicke, dem sei es ein fröhlich vorbedeutend Zeichen, daß er binnen Jahr und Tag Hochzeit gemacht haben werde.

„Scht … scht …“ rief der Bursche und scheuchte die Vögel auf, „wollt ihr mir wohl aus dem Wege gehen, ihr Schelmen! Was versteht ihr davon, ob ich noch länger ein freies, lediges Leben führen darf oder mich einbandeln und einhäuseln lassen muß! Ist denn der ganze Wald, und was drinn’ ist, heut verkehrt, weil mich Alles an mein unglückseliges Schicksal mahnen muß, oder bin ich’s, daß mir die Gedanken keine Ruh’ lassen … ich will hinaufgeh’n auf mein’ Vogelheerd und nachschau’n, was sich g’fangen hat, das bringt mich auf andere Gedanken, und das hab ich ja nit verred’t, das heißt ja nit auf die Jagd gehen …“

Er wich vom ausgetretenen Waldpfad und schlug sich in’s Dickicht zur Seite. Freistehend, wie eine vorgeschobene Warte, hob sich unmittelbar an dem Gewänd, in welchem der eigentliche Berg anzusteigen begann, ein runder stattlicher Hügel empor; reich bebuscht und mit mächtigen Buchen und Eichen besetzt, deren Kronen einander nicht irrten, so daß es gar ein anmuthig liebes Plätzchen für das Gevögel des Waldes bildete, zum Nisten in den grünen Niederungen und zu fröhlichem Spiel und Aufenthalt in den dichten und doch so luftigen Wipfeln. Hinter dem Hügel wand sich eine enge, feuchte Schlucht herum, ein Zeichen, daß er nur ein mächtig Bergstück war, welches einmal von der Felswand herabgestürzt und nun von ein paar Jahrhundert überras’t, überbuscht und überwaldet war.

Als Sylvester den Bühel hinanstieg, war ihm die Stille verwunderlich, die ihn empfing; es war doch schon um die Zeit, wo die wenigen Herbstsänger des Waldes ihr Morgenliedchen hören lassen, auch hatten die Züge der verschiedenen Wandervögel schon begonnen und belebten sonst den Hügel – es mußte etwas Ungewöhnliches vorgegangen sein, das Gast und Hausherrn verscheucht hatte.

Ueber die entvölkerten Baumkronen hinaus wölkte sich, wie ein willkommenes Brandopfer, eine kerzengerade Rauchsäule empor, sie kam aus der Schlucht am Felsgewänd.

Das Befremden des Burschen erklärte sich aber bald und ging rasch in immer stärkeren Unwillen über; er suchte die Schlingen auf, die er für die streichenden Krammetsvögel geknüpft und an die er rothe Beeren als Lockspeise gehängt hatte; die Schnüre und Drähte waren wohl vorhanden, aber eine fremde Hand hatte sie alle aufgezogen und losgeknüpft, der Fang war vereitelt. Das Blut stieg dem Suchenden zu Kopf; er rannte vorwärts, der kleinen, von Gesträuch dicht umrahmten Blöße zu, wo unter einem Büschel kräftiger Tannen der eigentliche Vogelheerd mit der wohlversteckten Streu- und Blätterhütte und das Gestell angebracht war, auf welches der Auf (Eule) gesetzt wurde, um seine gefiederten Feinde heranzulocken und dafür, daß sie ihrem Hasse Luft zu machen suchten, in’s eigene Verderben, in’s Netz des Vogelstellers, zu bringen. Auch das Netz war zugeklappt, aber leer, nur in der allerverschlungensten Maschenecke flatterte und piepte etwas Lebendiges.

Sylvester sprang zornig hinzu, einen derben Fluch zwischen den verbissenen Zähnen. „Wer hat mir das angethan?“ rief er, „wenn ich den kennte, dem wollt’ ich einen Denkzettel geben, daß er ihn eine gute Weil’ mit herumtragen sollt’! Der beste Fang ist verdorben, jetzt ist Alles verscheucht und kommt so bald nit wieder! Nach dem Gefieder, das herumliegt, muß hübsch viel eingegangen sein und nichts ist mehr da, als da im Eck’ hinten ein elendiges Zaunschlupferl oder was es ist …“

Er entwirrte das Netz; ein Gimpel saß darin, so verschüchtert und verzweifelt ergeben, daß er sich gar nicht mehr regte und der dicke auf die rothe Brust herabgesenkte Schnabel aussah, wie eine mächtige Nase in einem runden, zinnoberfarbigen Angesicht. Beim Anblick des Gefangenen, der sich ruhig ergreifen ließ, milderte sich Sylvester’s Unmuth sehr. Andere Gedanken fuhren ihm wieder durch den Sinn, die glücklichen entkommenen Vögel in ihrer Freiheit waren ein Bild seines bisherigen ungebundenen, fröhlichen Lebens, in dem Gimpel sah er sich selbst, mürrisch, verstimmt, in ein unentrinnbares Netz verwickelt. „Flieg’,“ sagte er und gab den Vogel frei, „sollst es auch nit schlechter haben, als die Andern, es ist ja nit deine Schuld, daß du ein Gimpel bist!“

Mit einem jubelnden Triller, der sonst in seiner Kehle nicht heimisch ist, begrüßte der Entfliehende die Freiheit; laut schmetternd setzte er sich gerade über Sylvester auf einen Zweig und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_033.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)