Seite:Die Gartenlaube (1867) 029.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.


eine Heilung ohne Operation zu erwarten stand. Wirklich schienen die ersten Tage alle Hoffnungen zu erfüllen. Doch nur allzubald zeigten sich andere Symptome, die das Schlimmste befürchten ließen. Der Kräfteverlust des Kranken nahm zu und die allmählich sich loslösenden Knochensplitter fingen an die Nerven zu bedrücken. Immer heftiger wurde das Fieber und kaum konnte man noch irgend welche Hoffnung hegen. Das waren traurige Tage für die arme Mutter, die in Reichenberg weilte, um dem Vielgeliebten näher zu sein, da das Verbot der Aerzte sie von der Pflege ausschloß und ihr auch nicht den Aufenthalt in Königinhof selbst gestattete. Immer bedrohlicher wurden die Anzeichen, kein Schlummer kam dem Aermsten in die Augen; alle Schlaf- und Linderungsmittel hatten einen kaum merklichen Erfolg und wilde Nervenzuckungen bekundeten die Leiden des Fürsten. Trotz all’ dieser Qualen kam nicht ein Laut der Klage über seine Lippen.

So mußte man endlich befürchten, daß der durch die intensiven Schmerzen hervorgerufene Kraftverlust den Tod herbeiführen könnte, und man beschloß daher zuerst die Entfernung der Knochensplitter zu versuchen oder, wenn dies mißlänge, noch jetzt die Amputation zu wagen. Zum Entzücken Aller gelang die erstere Operation vollständig. Die Zuckungen, ja sogar schon die Erscheinung des Kinnbackenkrampfs, die sich zu zeigen begann, wurden milder, Schlaf senkte sich wieder in seine Augen und immer günstiger lauteten die Bulletins, die täglich der Telegraph in alle Richtungen sandte. Nach und nach nahm auch die Kraft wieder zu und bald war ein jeder der behandelnden Aerzte der Ueberzeugung, daß in kurzer Zeit alle Gefahr geschwunden sein würde. Auch der armen Mutter wurde nun gestattet, nach Königinhof überzusiedeln, wenngleich sie den Sohn noch nicht sehen durfte. Als aber endlich fast jede unmittelbare Gefahr verschwunden war, durchbrach die Mutterliebe auch diese Schranke; sie eilte nun selbst den Sohn zu pflegen. Auch der Erbprinz Leopold traf jetzt ein, um dem Bruder, der, wie sein König von ihm berichtete, so „enorm brav“ gekämpft hatte, den Orden pour le mérite zu überbringen. Das waren aber auch die letzten Sonnenblicke für die Familie, diese wenigen Tage in der ersten Woche des Augustmonats, wo sie in wechselndem Gesprächsaustausch einer fröhlichen Genesung entgegensahen. Wo aber Niemand etwas geahnt, da schlich der todbringende Feind heran. Noch heute ist die Ansicht darüber getheilt, ob die Krankheit, welcher der Prinz endlich erlag, die Diphtheritis, im Volksmund schwarze Bräune genannt, sich in Folge einer langen Eiterung entwickeln konnte, oder ob blos

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_029.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)