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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Damit blies sie rasch nach der Laterne, daß sie erlosch, und war im Dunkel verschwunden, aus dem ihr munteres Lachen noch zurück klang. Der Brunnhofer stand einen Augenblick wie versteinert und sah ihr in die Finsterniß nach. „Stern-Sacra!“ brummte er, „das ist einmal ein gewitztes Leut – und ein sauberes dazu!“

Bedächtig tappte er dem Hause zu, aber bald beschleunigten sich seine Schritte, denn auf der dunklen Straße kam es jetzt rasch und laut heran; das polternde Gerassel eines schnell fahrenden Wagens, der laute Hufschlag galoppirender Pferde ward hörbar, dazwischen lautes Jauchzen und mitunter sonderbar quiekende oder gellende Töne, als würde irgendwo in der Entfernung zum Tanze gespielt und der Wind trüge manchmal einen der grellsten Pfiffe unverweht herüber. „Hoho,“ murmelte der Alte, indem er hastig dem Hofe zueilte, „da ist er endlich einmal, der Loder, der nichtsnutzige! Was für ein Spectakel! Man meint hell-licht, die Höllfahrt ist los oder das wilde Gejaid kommt daher! Na wart, Bübel, Du kommst mir justament recht!“ Und als hätte er nicht sein vollen Sechszig auf dem Rücken, war er mit ein paar großen rüstigen Schritten am Thor und kam eben recht, denn der Wagen sauste schon die Anhöhe heran.

Die Schwägerin hatte im Hause das Getöse auch vernommen; sie war herbeigeeilt und stand schon unter der Thür, einen Bündel lodernder Kienspähne in der hocherhobenen Hand – es war ein ungemein lebendiges heiteres Nachtbild, das der wankende mit dunklen Rauchschatten wechselnde Flammenschein mit rothem Lichte übergoß. Ein stattliches Paar Fuchspferde mit weißen flatternden Mähnen sprengte so leicht und lustig heran, als wäre der nachpolternde, aus schweren Stangen und Leitern gefügte Getreidewagen nur ein Spielzeug für sie und nicht eine Last. Zuvorderst auf dem Wagen, hochaufgerichtet wie ein griechischer Wagenlenker, stand ein Bauernbursche, voll Kraft, Behendigkeit und Ebenmaß in der ganzen stattlichen Gestalt, Frohsinn, sprudelnde, überquellende Lust in dem leicht gerötheten Angesicht. Das Hütchen mit Hahnenfeder und Gemsbart war flott auf’s rechte Ohr gerückt; in der einen Hand hielt er die Zügel, in der andern die hochgeschwungene Peitsche, mit ihrem Knallen und immer erneutem Zuruf das muthige Gespann zu immer stärkerem Laufe antreibend. Hinter ihm, auf dem schmalen Bretersitze, von dem stoßenden Wagen arg gerüttelt und hin und her geworfen, aber in nicht minder fröhlicher Laune als der Fuhrmann, saß als Passagier ein kleiner dicker Mensch mit dünnem, stark gelichtetem Scheitelhaar und einem fetten Gesicht, aus welchem ein paar lustige Augen zwinkerten. Der Hut war ihm in der Hitze des Fahrens vom Kopf geflogen und kugelte an den Wagenstangen herum; der Dicke kam nicht dazu, ihn aufzuheben, mit beiden Händen hielt er eine Clarinette am Munde und blies mit vollen Pausbacken daraus los. Alles Rütteln, Stoßen und Werfen irrte ihn nicht: je mehr der Fuhrmann jauchzte und knallte, je toller pfiff er darauf los, mochten auch die Töne, die er hervorbrachte, Allem eher gleichen, als dem, was sie sein sollten – ein lustiger ländlerischer Tanz.

Jetzt kam der Wagen an den Eingang; es galt eine scharfe Ecke zu umfahren und die Wartenden sahen schon, theils mit Aerger, theils mit Sorge, wie der Wagen bei der gefährlichen Wendung an den Thorpfosten anfahren, umstürzen und Alles in Trümmer gehen werde – aber der kundige Fuhrmann lenkte so gewandt, daß die Räder auf dem Umkreis eines Tellers sich wandten, im nämlichen Augenblicke standen die Füchse wie festgemauert und im nächsten war der Lenker jauchzend mit Einem Satze vom Wagen gesprungen, hatte dem herbeigeeilten Schafbuben Zügel und Peitsche zugeworfen und stand mit lachenden Augen, mit offenem, von übermüthiger Jugendlust leuchtendem Angesicht vor dem Vetter, beide Hände zu Gruß und Einschlag ihm entgegen streckend.

„Grüß’ Gott, Vettermann,“ rief er lustig, „da bin ich wieder! Und gut is’ gangen! Ich hab’ das ’Treid Alles verkauft – und bring’ eine ganze Heu-Kürben mit, voll Kronenthaler!“

Der alte Brunnhofer hatte mehrmals angesetzt, seine Strafpredigt zu beginnen, hatte aber über dem Lärmen und Spectakel der Ankunft nicht dazu kommen können; wider Willen und so sehr er sich dagegen sträubte, war auch sein Zorn milder geworden, denn in das Aufwallen desselben mischte sich wie stillende Oeltropfen in unruhige Fluth die Regung eines geheimen Wohlgefallens; er konnte sich nicht erwehren, die gewinnende Erscheinung des Burschen, sein entschlossenes, kraftgeübtes Auftreten, seine Gewandtheit und Sicherheit mit einer Art widerstrebender, Befriedigung zu gewahren.

Jetzt verflog dieses Gefühl und der Unmuth kam wieder.

Mit finstrer Miene trat er ein paar Schritte zurück, um dem angebotenen Handschlag auszuweichen, und sagte mit aufquellender Bitterkeit: „So – hast doch einmal den Weg heimg’funden? Sind die Fuchsen nit steif worden und kreuzlahm? Hast nit die Kronenthaler auch verjubelt im Staudenhäusl?“

Der Bursche hatte solchen Empfang nicht erwartet, er stand betroffen und begann den Hutrand zwischen den Fingern zu drehen. „Weißt es schon, Vetter?“ sagte er lachend, aber das Lachen klang nicht mehr aus so freier Brust, wie noch kurz zuvor das Rufen und Jauchzen. „Bist harb deswegen? Die Fuchsen sind ja nit warm g’wesen, es ist ihnen nichts gescheh’n, weißt ja selber, wie gern ich die Ross’ hab’ – bin ja nur ein Stundl im Staudenhäusl g’wesen – der Klankenetten-Muckl ist drin g’wesen – der hat einen neuen Ländlerischen ausstudirt, der ist gar zu schön und der ist mir in die Füß’ kommen und da hab’ ich …“

„Ja, ja, das ist das Wahre!“ unterbrach ihn der Bauer, weniger zornig, als im Tone ernsten wohlbegründeten Vorwurfs und mit dem Ausdrucke ruhig bewußter Entschlossenheit. „Um einen neuen Ländlerischen vergiß’st Du auf Haus und Hof, und wenn Du nur Deinen Cameraden, den saubern Musikanten, bei Dir hast, kann Dir die ganze Welt g’stohlen werden und Dein Vetter und die ganze Freundschaft dazu!“

„Aber, Vetter …“

„Still sei! Das muß anders werden, die Wirthschaft und das nichtsnutzige Leben leid’ ich nit mehr und jetzt sag’ ich Dir mein letztes Wort … Bis Weihnachten bleibst Du mir zu Haus, wie sich’s für ein’ ordentlichen Burschen g’hört, Du hängst den Corporal an den Nagel und den Jäger dazu und nimmst den Bauern herunter und gehst mir zu keinem Schießen mehr und zu keiner Jagd und bleibst vom Tanzboden weg und wenn s’ alle Ländler aufspielen von der ganzen Welt! Während der Zeit besinnst Dich und schaust Dich um eine Frau um, um einen richtigen Heirathsgegenstand …“

Trotz seiner Verstimmung vermochte Sylvester ein halblautes, unfreiwilliges Lachen nicht zu unterdrücken. „Ich und eine Frau?“ rief er. „Wo soll ich die hernehmen?“

„Woher?“ sagte spöttisch der Alte. „Geh halt hinein zum Hölzelkramer nach Miesbach und schau, ob er kein’ g’schnitzte Docken für Dich hat! Woher er eine Frau nehmen soll! Hat man seiner Lebtag eine solche Red’ gehört! Willst überall vorn d’ran und der Erste sein am Kegelstand und bei der Scheiben und traust Dir nit, ein richtiges Weiberleut zu kriegen? Hast es ja leicht! Brauchst ja nit auf’s Geld zu achten, wann’s eine richtige Person ist, eine brave und nit so schiech, daß man sie auf’n Rübenacker stellen könnt’ zum Hasenschrecken, darfst nur zugreifen! Stern-Sacra, wer den Brunnhof mitbringt in der Taschen, den wird Keine so leicht abfahren lassen, mein’ ich! … Es ist eine beschlossene Sach’ und es bleibt dabei! Auf Heilig Drei König’ muß die Hochzeit sein und wenn’s nit ist, verkauf’ ich den Hof und zieh’ in die Stadt oder ich stoß’ Dein’ Faß den Boden aus und geh’ selber noch einmal auf die Freit’ … Du aber kannst in die weite Welt geh’n und als Bauernknecht herum fahren oder den Schießprügel auf die Achsel nehmen …“

Der Gescholtene stand völlig verblüfft, die Hauserin mit dem sprühenden Spahnbüschel nicht minder; der Clarinetten-Muckl hatte sich still seitwärts geschlichen und saß auf der Gräd neben dem Stein-Ambos, mit verschmitztem Lächeln und immer sein Instrument in den Händen, als wollte er es ansetzen, wieder einen Tanz aufzuspielen oder das Gespräch durch einen Tusch zu unterbrechen.

„Aber, Vetter,“ sagte Sylvester endlich, „so hab’ ich Dich ja noch nie gesehen …“

„Dann siehst’ mich halt zum ersten Mal,“ war die strenge Erwiderung, „und kannst Dir’s merken, denn wenn’s schon eher hätt’ geschehen sollen, so hebt’s (hält es) dafür desto fester und kommt nit zum zweiten Mal! Auf Heiligen-Dreikönig ist Hochzeit oder Du schnürst Dein Bündel auf Lichtmeß …“

„Aber, Schwager …“ wollte die Hauserin begütigend beginnen, doch er ließ sie nicht zu Worte kommen.

„Still seid’s, Alle miteinander,“ rief er noch lauter, „ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_018.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)