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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Siebenzehn Jahre später. Der Knabe war zum Manne erwachsen. Ich hatte seinen steigenden Ruf und Ruhm mit Interesse verfolgt, mich an seinen fortwährend erscheinenden, immer bedeutender herausgearbeiteten Werken mit steigender Theilnahme erfreut, ihn aber während siebenzehn Jahren persönlich nicht wieder gesehen. Jetzt war er der berühmte Dirigent der Leipziger Gewandhausconcerte, die durch seinen Geist auf ihren Höhepunkt gebracht worden waren. Von allen Seiten wurden die Leistungen dieses Orchesters unter Mendelssohn’s Commandostab als das Vortrefflichste gerühmt, was man an exactem, geistvollem, energischem und fein ausgearbeitetem musikalischem Ensemblespiel wahrnehmen könne. Was Wunder, daß ich dieses Genusses einmal theilhaftig zu werden wünschte. Und so setzte ich mich hin, schrieb ein Tonbild für großes Orchester, und wandte mich, als es fertig, brieflich mit der Bitte an Mendelssohn, es im Gewandhaus zur Aufführung bringen zu dürfen. Ich sprach von keiner pecuniären Vergütung dafür und nur den Wunsch aus, mein Werk selbst einstudiren und dirigiren zu dürfen.

Bald darauf erhielt ich einen freundlichen Brief von Mendelssohn, worin er mir meldete, daß man der Aufführung meines Tonbildes mit Vergnügen entgegensehe und es der Direction auch sehr angenehm sein werde, wenn ich es dem Publicum selbst vorführen wolle. Ich erwähne dieses Briefes vorzüglich einer Stelle wegen, die sein edles, liebevolles, zugleich zartes, gegen Künstler vornehmlich immer nach Möglichkeit hülfreiches Gemüth charakterisirt. Er schrieb nämlich: „Es schien mir auch wünschenswerth, daß Ihnen, zu Deckung eines Theils der Reisekosten wenigstens, ein Honorar angeboten würde, obgleich Sie nichts davon erwähnten; unsere Mittel sind freilich sehr beschränkt, indeß dachte ich doch, es möchte Ihnen nicht unwillkommen sein, und auch hierauf höre ich, daß die Herren Directoren eingegangen sind.“ Das war im November 1838.

Bald darauf kam ich mit meinem Opus nach Leipzig. Mendelssohn empfing mich auf’s Freundlichste, Herzlichste, war in den Proben eifrig beiräthig, um die Ausführung so vollkommen wie möglich zu machen, und als er an dem verhängnißvollen Abende zu mir auf das Orchester kam und meine nervöse Stimmung bemerkte, sagte er: „Sie scheinen Angst zu haben?“ – „Ach, sehr starke!“ erwiderte ich. – „Ah, bah!“ sagte er darauf, „das haben Sie nicht nöthig. Ihr Werk ist gut, das wissen und müssen Sie wissen. Wie es das Publicum heute aufnimmt, was kommt darauf an! Wollen wir’s besser verlangen, als es den größten Meistern von jeher so oft gerade mit ihren besten Sachen ergangen ist?“

Die Composition erhielt, wie die Leipziger Kritik schrieb, einen succès d’estime. Ich war auf’s Tiefste niedergeschlagen und sagte von der Zeit an der Composition die Freundschaft auf. Ich erwähne dieses Umstandes auch nur, weil es der Anlaß zu einem freundschaftlichen Verhältniß zu Mendelssohn wurde, der in meiner Musik doch etwas mehr als das Publicum gefunden haben mochte, denn er hat mir von da an stets eine große Theilnahme bewiesen und erhalten.

Zum Beweise theile ich einen späteren Brief von ihm aus dem Jahre 1843 hier vollständig mit. Meines Wunsches, der darin berührt ist, kann ich mich nicht mehr entsinnen. Es liegt auch nichts daran.

     „Lieber Herr Lobe!

Wie gern ich jeden Ihrer Wünsche erfüllen möchte, wissen Sie wohl. Aber ich bin im Augenblick nicht im Stande Ihnen die gewünschten Themas und Durchführungen aufzuschreiben, weil mich eine Menge Arbeiten und Geschäfte gar zu sehr in Anspruch nehmen, und besonders weil ich glaube, daß es von Ihnen selbst gemacht sein muß, wenn es gerade für Ihren Zweck recht passen soll. Ich lege daher diesen Zeilen die Partitur eines Quartetts und die meiner neuen Symphonie bei, und bitte Sie dieselben zum Andenken an mich zu behalten. Vielleicht finden Sie darin, was Sie brauchen; wo nicht, so wird Ihnen eine dortige Musikalienhandlung gewiß die Partituren meiner vier übrigen Quartetten, die jetzt alle bei Breitkopf und Härtel erschienen sind, zur Ansicht leihweise schicken, und wenn sie Umstände machen sollten, so will ich mit Breitkopf und Härtel reden, daß die es thun. Ich hoffe (oder fürchte?) aber, Sie werden an den beiden Sachen, die ich beifolgend schicke, übergenug haben. Die Symphonie hätte ich Ihnen ohnedies über kurz oder lang geschickt, oder bei einer Durchreise selbst gebracht; denn sie ist mir lieb, und Sie wissen, wie viel mir daran gelegen ist, wenn einem Musiker, wie Sie, ein Stück recht ist, das mir selbst recht ist.

Vollenden Sie nur Ihre Oper bald, daran fehlt es doch jetzt an allen Ecken und Enden. Und gebe Gott, daß unsre Verhältnisse sich hier günstig gestalteten, daß wir im Stande wären, Sie hier zu fesseln, ohne die Sorge, daß Sie es später bereuen möchten, uns ein Opfer gebracht zu haben. Ich gebe die Hoffnung nicht verloren, daß dies in den nächsten Jahren wohl noch einmal so weit kommen könnte, aber freilich möchte ich am liebsten, es wäre gleich! Wann es aber auch sei, kein Mensch wird sich mehr darüber freuen und mit mehr Lust auf die Erfüllung einer solchen Aussicht hinarbeiten als Ihr stets aufrichtig

Ihnen ergebner     
Felix Mendelssohn-Bartholdy.“

Von dieser Zeit an habe ich manche glückliche Stunde mit dem geliebten Meister verlebt. Er kam mehrmals nach Weimar, und dann spielte er uns, und einigen ihm besonders genehmen Personen, entweder bei mir oder bei dem damaligen Musiklehrer Montag seine neuesten Compositionen vor. Größere Gesellschaft aber verbat er sich stets bei solchen Gelegenheiten. „Lassen Sie uns heut Abend Musik machen,“ sagte er gewöhnlich, „aber ganz unter uns. Wir müssen im Nothfall die Röcke ausziehen und in Hemdärmeln spielen können.“ Eines Abends kam ich erst nach zehn Uhr aus einer Opernprobe nach Hause. Freudigen Angesichts kam meine Frau mir entgegen mit der Frage: „Wer, denkst Du, ist hier gewesen? Mendelssohn! Er war auf der Durchreise begriffen (wenn mir recht ist, auf seiner Brautfahrt nach Frankfurt) und bedauerte sehr, Dich nicht anzutreffen. ‚Wissen Sie was, liebe Frau Lobe,‘ sagte er, ‚ich werde die paar Stunden, die ich hier auf den Abgang der Post warten muß, bei Ihnen bleiben und, wenn Sie wollen, Ihnen etwas vorspielen.‘ Und darauf setzte er sich an den Flügel und hat wohl zwei Stunden fast ununterbrochen mir allein die schönsten Sachen vorgetragen, und göttlich phantasirt.“ Daß meine Frau diesen Abend nicht vergißt und stolz darauf ist, kann man sich denken. Ein anderes Mal wurde Musik bei Montag gemacht. Mendelssohn spielte sein D-moll-Trio. Dann wurde ein Streichquintett von meiner Composition vorgenommen, dazu spielte er die zweite Viole sehr sicher und gewandt. Wo sich aber Gelegenheit fand, suchte er mir auch auf andere Weise gefällig oder nützlich zu sein. So z. B. hatte er sich über genanntes Quintett sehr günstig gegen meine edle Gönnerin und vielfache Wohlthäterin, die Frau Großherzogin Maria Pawlowna, ausgesprochen, worauf mir „in Folge einer ehrenvollen Anerkennung meines künstlerischen Strebens durch Herrn Dr. Mendelssohn-Bartholdy“, wie es hieß, ein sehr ansehnliches Geschenk von der hohen Frau übermacht wurde.



Sechsundzwanzig Jahre später. Wenigen möchte es bekannt geworden sein, daß der kräftige, gesunde, überaus lebhafte, immer heitere, in allen Beziehungen glückliche und sein Glück erkennende Mann zuweilen von Ahnungen eines frühzeitigen Todes befallen wurde. Als er seinen „Paulus“ in der Weimarischen Stadtkirche aufführte, wir nach einer Probe desselben Beide allein auf seinem Zimmer im „Erbprinz“ saßen und ich – damals ein arger Hypochonder – bemerkte, daß ich von seinen späteren Schöpfungen wenig genießen würde, erwiderte er: „O, mein Lieber, Sie werden mich lange überleben!“

Ich wollte über seine Aeußerung scherzen, er aber fiel mir mit der ganz bestimmten Versicherung in’s Wort: „Ich werde nicht alt!“ – Dann aber, als bereue er diese Aeußerung, nahmen seine Züge den heitersten Ausdruck an; er ging zu Besprechung der eben beendeten Probe über, wobei er vorzüglich die Freundlichkeit und Willigkeit hervorhob, mit der ihm alle Mitwirkenden entgegengekommen wären.

Wie hätte ich in jener Stunde, da der schöne, in Fülle der Gesundheit vor mir sitzende Mann erst ein beginnender Dreißiger war, denken mögen, daß wenige Jahre nachher schon seine Prophezeiung in Erfüllung gehen werde! Ich war 1846 nach Leipzig übergesiedelt, traf ihn frisch, munter, nach allen Seiten hin ununterbrochen thätig, hatte mich mancher geistreichen und belehrenden Unterhaltung mit ihm noch zu erfreuen, eine davon habe ich in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_007.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)