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stört ihn fast, und doch hält es ihn so fest – der Schlußchor seines Requiem liegt ihm eben im Sinn. Neben ihm lehnt Adolf Nourrit, der edelste Pylades eines Gluck’schen Orestes, der je auf der Bühne erschienen, der Abgott der Frauen. Wenn er die berühmte Arie sang:

„Nur einen Wunsch, nur ein Verlangen“,

so zerflossen nicht allein die Damen in Thränen. Seine Stimme war von einem wunderbar weichen Timbre und doch voll Kraft, und sein Vortrag, wenn auch mehr elegisch als dramatisch, immer edel und tief empfunden. Wer hätte damals das tragische Ende des Vielgefeierten geahnt?! Fünfzehn Jahre später stürzte er sich in Neapel, in einem Anfall von Schwermuth, aus einem Fenster des dritten Stocks auf das Straßenpflaster.

Auf der anderen Seite des Kamins haben die Violinspieler Lafont und Baillie Platz genommen. Hinter ihnen taucht das charakteristische Profil des jungen Musikers Berlioz auf; eine Welt von Gedanken verbirgt sich hinter dieser schönen, von dunkelen Haaren beschatteten Stirn. In der Fensternische steht Ary Scheffer, der geniale Maler, mit ernsten Augen die Gruppen überschauend. Es ist etwas in diesem edlen Kopfe, das an sein berühmtes Bild, „der heilige Augustin neben seiner Mutter Monica“, erinnert. Nicht weit von ihm, in dem dunkelsten Winkel, sitzt einsam ein krank aussehender Mann, fast wie zusammengebrochen, die Wange auf die blasse Hand gestützt, den milden seelenvollen Blick wie in endlose Fernen gerichtet. Um den Mund liegt ein unverwischbarer Schmerzenszug, der Ausdruck eines unendlichen Heimwehes, der das seltene Lächeln so rührend erscheinen läßt. Die Stirn ist von hoher Schönheit, klar und licht. Es ist der Verfasser der Briefe aus Paris, der geistvollsten Kritiken und der glühenden Gedächtnißrede auf Jean Paul: Ludwig Börne. Die Musik ist seine Freundin; hat er doch von ihr gesagt: „Musik ist Gebet; ob nun das Kind es herstammele, ob der rohe Mensch in roher Sprache es halte, ob der Gebildete in feurigen geistvollen Worten – der Himmel hört sie mit gleicher Liebe an und giebt Jedem den Widerklang seiner Empfindung als Trost zurück.“

Chopin’s Spiel war ein Wunderbalsam für die Seele Börne’s. Diese feurigen und schwermüthigen Geister mußten sich verstehen und lieben.

An einem Blumentisch voll exotischer Pflanzen, aus deren Grün die Statue einer Polyhymnia hervorlauscht, mitten in einer Gruppe junger Frauen, sah man den verzogenen Liebling der Grazien und Musen, den Dichter des Buches der Lieder, Heinrich Heine. Als sein Nebenbuhler in der Gunst der Damen tritt der liebenswürdige schalkhafte Componist des Barbier von Sevilla, Rossini, auf. Der etwas corpulente Herr war trotz dieser kleinen Schwerfälligkeit noch immer Figaro ci, Figaro là, und die Schönen und Häßlichen schwärmten für ihn. Damals war der fein modellirte Kopf Heine’s unberührt von jener langsam schleichenden Krankheit, die später all’ seine Schönheit so grausam zerstörte, daß nur die Alles ausgleichende Hand des Todes die verzerrten Züge wieder zu glätten vermochte. Die blauen Augen blitzten noch wie die Sterne und die Lippen flüsterten den bezauberndsten gereimten und ungereimten Unsinn, so lange bis sich endlich eine schöne Hand auf den vornehm geschnittenen Mund legte. Diesmal waren es die Lilienfinger der berühmten und reizenden Delphine Gay, die als Schriftstellerin in Paris kaum mehr gefeiert wurde denn als Frau. Heinrich Heine küßte demüthig und feurig zugleich die kleine Hand, die, als Chopin’s Spiel begann, wie ein Rosenblatt leicht und flüchtig seine Lippen streifte. Jetzt hatte er längst den übermüthigen Scherz vergessen. Eine tiefe Melancholie lag auf seiner Stirn, der Kopf war auf die Brust gesunken, die langen Wimpern berührten fast die Wangen, manch’ schönes Auge verfolgte in diesem Moment die fesselnde Profillinie. Vielleicht träumte er Gedichte zu den phantastischen Weisen Chopin’s.

Und dort drüben dieses junge Wesen, dies feenhafte Geschöpf mit den großen südlichen Augen und der Fluth von dunkelm Haar, – diese Frau mit dem Lächeln eines Kindes und den Bewegungen einer Grazie, mit der Maestro Rossini so angelegentlich geflüstert? Wer anders als Marie Malibran, die größte Sängerin aller Zeiten, das geniale warmherzige Weib, der Abgott von Paris. Die Gräfin Merlin, ihre Beschützerin, hatte sie in dem kleinen deutschen Salon eingeführt. Auch andere berühmte und unberühmte Schülerinnen Garcia’s waren da, die Damen Lalande und Favart und allerlei süße Blumengesichter, die das Vorrecht hatten, sich eben nur zu zeigen, um der Bewunderung sicher zu sein.

Ich glaube, daß, wenn der Blick aus Beethoven’s Augen nicht den Musiker in Ferdinand Hiller gleichsam hieb-, stich- und kugelfest gemacht, der junge Mann damals, wie die Studenten sagen, „umgesattelt“ hätte und unter die Literaten gegangen wäre. Das Zeug dazu hatte er wie selten Einer. Hiller selbst gesteht auch in einem seiner Briefe, wie mächtig der Verkehr mit den bedeutendsten und verschiedensten Geistern, wie sie damals in Paris gewissermaßen „aufeinander platzten“, ihn aufgeregt und wie er zuweilen auf arge Gedanken gekommen sei.

„Der Umgang mit den größten Künstlern der Zeit und so vielen andern berühmten Männern,“ schreibt er, „war im höchsten Grade anregend, aber alles das, das ganze Pariser Treiben, auch die Politik, der ich mich leidenschaftlich hingab, und der ganze Strudel des hin- und herwogenden Lebens brachten mich doch, so zu sagen, aus mir selber heraus und störten die Entwicklung meiner musikalischen Anlagen. Ich hatte mehr als einmal Lust, die ganze Musik an den Nagel zu hängen, die mir ohnedies in diesem großartigen geistigen Treiben als etwas sehr Geringes vorkam.“

Wer Hiller’s Briefe kennt und seinen eleganten bei aller deutschen Gedankentiefe echt französischen Plauderstil, wie er in seinen vielen geistvollen Aufsätzen, Kritiken, Plaudereien mit Rossini, Feuilleton-Artikeln zu Tage tritt, der gewinnt den Schriftsteller Hiller nicht minder lieb wie den Musiker und Componisten, und wer ihn jemals über ein ihn begeisterndes Thema reden, oder über das Wesen und die Entwicklung der Musik Vorträge halten hörte, so klar, warm und fließend, der muß ihn auch als Sprecher bewundern.

Ferdinand Hiller hat sehr früh schon – mit zehn Jahren – und stets mit ungemeiner Leichtigkeit componirt, und es ist ein Zeichen, wie tief der Sonnenstrahl der Goethe’schen Freundlichkeit in das junge Herz gedrungen daß er zum Text seines ersten Liedes die „rastlose Liebe“ wählte und unerschrocken den „Schnee“, den „Regen“ in Musik setzte. Mit siebenzehn Jahren trat er in Paris als Lehrer in die institution royale de musique classique et religieuse und ertheilte den Unterricht in der Harmonie daselbst, spielte auch in der Kirche der Sorbonne die Orgel, wenn die Schüler dort Messen sangen. Einige große Concerte, die er im berühmten Conservatorium gab, brachten ihm viel Ruhm und Ehre. Das elegante und künstlerische Publicum, das sich hier versammelte, lernte nun Hiller’sche Compositionen kennen, Symphonien und Clavierstücke. Französische und deutsche Blätter brachten Schilderungen von der warmen Aufnahme, die der junge Deutsche gefunden.

Viel Reizendes entstand in dieser Zeit: Trios, Quartette, Lieder, die verlockende danse des fantômes und die ersten Reverien. Dem berauschenden Pariser Leben folgte ein kurzer Aufenthalt in Frankfurt am Main, dann ein dolce far niente am Comersee, wohin die treue Mutter den Sohn begleitete (den Vater verlor er schon während seines ersten Aufenthaltes in Paris), und dort entstand das Oratorium „die Zerstörung Jerusalems“, dann ein Winter in Mailand, und endlich – ein Liebesfrühling.

Vor gar manchem Jahr erschien im Gewandhausconcerte zu Leipzig eine schöne Frau mit dunklem Haar und Feueraugen und einem Profil, dem man auf Cameen häufig, im Leben aber selten begegnet; sie sang die „Tarantella“ aus Rossini’s Soirées musicales mit brillanter Stimme und lebensvollem Vortrag: es war Frau Antolka Hiller. In demselben Concert spielte Hiller eine seiner reizenden Reverien. Eine liebenswürdige Frau sagte ihm nachher scherzend: „Jetzt weiß man doch endlich, von wem Sie immer so süß und geheimnißvoll geträumt!“

Nichts aber war anmuthiger, als Frau Hiller die Sopranpartie in jenen frischen originellen Quintetten singen zu hören, für Sopran und Männerstimmen, die Hiller in der ersten Zeit seines Eheglücks in Rom componirt. Der Gedanke, eine Frauenstimme in all’ ihrer Weichheit und Klarheit über einem Männerquartett schweben zu lassen, ist so bezaubernd in seiner Wirkung, daß man sich mitten in einen Frühlingstag versetzt fühlt, wo über uns und Allem, was da kreucht und fleugt, singt und brummt, die schmetternde Lerche aufsteigt, gerade in den blauen Himmel hinein.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_818.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)