Seite:Die Gartenlaube (1866) 815.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Entfettungscur vornehmen?“ – Solches ganz zwecklose und ungern gehörte Wahrheitsagen lasse man also sein.

Dagegen halte man das nicht für eine ausgesuchte Grobheit, wenn man Jemanden, natürlich nicht in verletzender Weise, auf Angewohnheiten und leicht zu beseitigende Uebel aufmerksam macht, die ihn bei seiner Umgebung widerwärtig machen können. Ich sagte es z. B. früher Jedem, wenn er aus dem Munde roch und deshalb ein Kuß von Ihm oder Ihr nicht gerade wünschenswerth sei, setzte dann aber auch hinzu, daß sich der üble Mundgeruch durch richtige Pflege der Zähne, besonders durch öfteres Putzen mit Zahnspiritus (auf eine Unze Spiritus eine Drachme Essigäther) beseitigen läßt. Trotz dieser Mundkußlichermachung hat mir mein Rath doch stets nur Undank eingebracht. – Macht man einen Bekannten über sein die Nerven der Tischgenossen in Aufruhr versetzendes Schlürfen, Schmatzen und Matschen beim Essen, oder über das gleich nach der Suppe schon beginnende und bis zum Kaffee fortgesetzte Zähneausstochern, oft mit ohrbeleidigenden Geräuschen, oder auch über sein fortwährendes Pfeifen, Singen und Beingezittere sanfte Vorwürfe, dann ist’s gewöhnlich aus mit der Bekanntschaft. – Nimmt man sich eines Kellners, der doch den Gästen das Essen und Trinken nicht anders bringen kann, als wie er’s aus dem Keller oder der Küche bekommt, aus Humanität an und vertheidigt denselben wegen ungerechter (eigentlich doch nur dem Wirthe zu machender) Vorwürfe, so hat man die unfreundliche Redensart zu gewärtigen: „Das geht Dich nichts an,“ obschon man wegen des fortwährenden Nörgelns entweder über einen zu kleinen Schnitt, oder über schales Bier, über zu wenig Fleisch am Gänseknochen oder zu viel Fett am Schweinscarré, über zu wenig Butter und zu viel Käse oder umgekehrt aus der Haut fahren könnte. – Sprudelt uns unser Vis-à-vis beim ungenirten Niesen oder Husten etwas in die Mockturtlesuppe und setzt man diese mit einigen ärgerlichen, auf Lebensart bezüglichen Redensarten bei Seite, so fühlt sich das sprudelnde Gegenüber auch noch gekränkt. – Rümpft man mit einem „Pfui“ die Nase (so wie es etwa die prüden Leser ob dieser Zeilen thun werden), wenn der Herr Tischnachbar die seinige in unappetitlicher und ostensibler Weise reinigt oder wohl gar vor unsern Augen ihren Inhalt als Massa pilularis verarbeitet, dann ist man ein roher Patron. – Wird man nicht – um auch ein anderes Gebiet zu berühren – für den gröbsten der Grobiane gehalten, wenn man das Gebahren von Männern, die sich in jeder Volksversammlung als sogenannte Liberale oder Demokraten (angeblich vom reinsten Wasser), oder gar als anilinrothe Republikaner aufspielen, in ihrem bürgerlichen Leben aber höchst illiberal und undemokratisch, ja sogar lumpig handeln, die in- und ausländische Fürsten andichten, ansingen, mit Lobhudeleien aller Art, schön eingebundenen Büchern und Dedicationen um einen Ring, eine Dose, einen Titel, einen Orden u. dgl. anbetteln, wenn man dieses Gebahren öffentlich für charakterlos und verächtlich erklärt?

Dies sind vorläufig einige wenige Thatsachen, welche zeigen sollen, wie unangenehm sich der macht, welcher das unangenehme und widerwärtige Benehmen seiner Mitmenschen rügt. Wer in seinen Handlungen rücksichtslos verfährt, sieht in der Regel den, der ihn auf diese Handlungen aufmerksam macht, für rücksichtslos an, während er selbst, naiver Weise, gar nicht fühlt, daß er Tadel verdient. Wollten die Menschen doch nur einmal eine Zeit lang recht genau auf ihr eigenes Thun und Treiben achten und mehr sich als Andere in die Scheere nehmen, dann würden sie sicherlich, vorausgesetzt, daß sie in Eitelkeit und Arroganz nicht geradezu verdummt sind, die Entdeckung machen, daß sie nicht zu den rücksichtsvollsten und humansten Personnagen gehören und daß Ihnen ein zur Seite stehender oder sitzender wahrheitsagender Grobian ganz dienlich wäre.

Beleuchten wir nun zunächst das Anderen nichts weniger als angenehme Gebahren der Menschheit im Trink- und Speisehause, und zwar ganz besonders im Winter. Welche Rücksichtslosigkeiten treten da nicht schon beim Kommen und Gehen der Gäste zu Tage! So werfen Manche die Thür mit einer so rohen Kraft zu, daß die Gläser auf den benachbarten Tischen tanzen und die umsitzenden Damen sich Gänsehaut anschrecken. – Andere reißen die Thür so heftig und weit auf, daß, wer zufällig dahinter steht, dem Zerquetschen ausgesetzt ist. – Noch Andere lassen die Thür hinter sich so weit aufstehen, daß alle in kalte Luft gesetzte Trinker ihrem Zorn im grimmen Aufschreie „Thür zu!“ Luft machen und Der mit den kältesten Beinen aufspringt, um ein Exempel, aber nicht an dem Missethäter, sondern an der armen Thüre in so zuschlagender Weise zu statuiren, daß der Thüransitzende eine halbe Elle vom Stuhl auffliegt. – Es giebt Leute, die beim Kommen und Gehen die Thür ganz zart behandeln, dieselbe aber stets nur anlehnen und so die in der Zuglinie Sitzenden, zumal die mit Glatze oder Rheuma Behafteten, in Verzweiflung bringen. – Auch die artigen Leute, von denen keiner zuerst zur längst geöffneten Thüre hinaus- oder herein will, sowie die Schwätzer, welche selbst inmitten der offenen Thüre noch lange Reden halten, gehören zu den rücksichtslosen Mitgästen. – Und die Moral? Man zeige Humanität auch beim Auf- und Zumachen der Thüren und nehme dabei Rücksicht auf seine Mitmenschen.

Werfen wir jetzt forschende Blicke auf die sich setzende oder sitzende, speisende oder trinkende, rauchende oder schnupfende Menschheit um uns herum und sehen wir, wie’s da zugeht. – Ein so eben erst in Besitz eines Stuhles Gelangter geberdet sich wie ein Verhungernder oder Verdurstender, weil der Marqueur nicht gleich mit einem Töpfchen Bier und der Speisekarte angeflogen kommt. Er trommelt entweder mit dem Stocke auf den rings mit Gästen besetzten Tisch oder schlägt mit dem Deckel auf ein leeres Bierglas so los, daß es dem ruhigen Bürger kalt über den Buckel läuft. Und wenn beim Fortgehen eines solch’ ungestümen, rücksichtslosen Burschen der Zahlkellner nicht sofort bei der Hand ist, dann wiederholt sich die Trommelei. Erwarten, bis der Kellner mit Andern, die auch fort wollen, abgerechnet hat, das können die Meisten nicht, sie meinen, nur für sie sei der Kellner da. –Bringt der Marqueur einem andern Neuangekommenen sofort ein Glas vom frischen Fasse, dann kann’s ihm passiren, daß er für seinen Diensteifer noch die schönsten Grobheiten vor allen Gästen bekommt, denn der gnädige Herr wollen vorher essen und erst nachher trinken, und das soll ihm der Kellner an der Nase ansehen. – Der Eine lamentirt, wenn nicht gleich nach Vertilgung seines Bierrestes ein frischgefülltes Seidel vor ihm steht, der Andere lamentirt, wenn ihm sein geleertes Töpfchen zu schnell gefüllt wiedergebracht wird, denn er argwöhnt dann schales, abgestandenes Bier; ein noch Anderer wehklagt fortwährend darüber, daß er den ganzen Abend immer nur das Letzte vom Fasse bekommt, während sich andere Biernörgler über Bitterkeit, Süßigkeit, Kälte, Wärme, Farbe, Glanz des Bieres nicht zufrieden geben können. Daß zwischen solchen Lamentos rechts und links Einem, der mit Gemüthsruhe seinen Schlaftrunk zu sich nehmen will, das an und für sich schon bittere Bier noch mehr verbittert wird, ist kein Wunder. Und die Moral? Auch die Biernörgelei muß ihre Grenzen haben.

Wenden wir uns nun zur Geißelung der Speisenden; denn auch diese haben Angewohnheiten, die gegen die Nächstenrücksicht oft arg verstoßen. So werden viele durch das nervösmachende Matschen, Schlürfen, quitschende Zähneausstochern u. s. f. den Ohren ihrer Umgebung recht unangenehm. – Andere versündigen sich gegen die Zunge ihrer Mitesser gar nicht selten dadurch, daß sie sich mit demselben Messer, das sie eben erst zum Bearbeiten von Käse, Hering oder Pökling benutzten, Brod oder Butter abschneiden, welche doch auch für die andern Gäste und mit eigenen Messern versehen da sind, daß sie vom Brode wohl gar nur die Rinde ringsum ablösen. Das abwechselnde Hin- und Herfahren mit dem Messer aus dem Munde in das Senfbüchschen oder Salznäpfchen dürfte ebenfalls nicht zur Nachahmung empfohlen werden. Auch ist es nichts weniger als erfreulich, wenn unser Tischnachbar die Citrone über seinem Caviar so ausdrückt (ohne die Hand darüber zu halten), daß ihr Saft rings umher spritzt und unsere oder unser Damen Kleider befleckt. – Wenn der Gourmand oben an der Tafel sich die meisten Bruststücken vom Fasan aneignet und fast alle Austern aus dem Sauerkraute herausfischt, so daß Denen am untern Tafelende nur noch Geknöcheltes mit nacktem Kraute verbleibt, so wundert man sich heutzutage über solch’ eingreifendes Verfahren gar nicht mehr, ebensowenig wie über andere ähnliche Annexionen in Compot und Dessert, denn das Verschen:

„Bescheidenheit, Bescheidenheit, verlaß mich nicht bei Tische
Und gieb, daß ich zu jeder Zeit das beste Stück erwische“,

ist ja zum Wahlspruche für die Table d’hôte geworden. – Daß ein Gesättigter das Geschirr mit seinen Speiseresten von sich hinweg und seinem Nächsten unter die Nase schiebt, das ist ein gar nicht seltenes Tischmanöver. Diesem folgt dann zuweilen die

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_815.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)