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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Rückreise aus Böhmen in einer Dorfkneipe zwischen Pardubitz und Hohenmauth ihr kleines Abenteuer erzählt. Gesicht und Gestalt des Officiers componirte ich möglichst genau nach ihren Schilderungen, weshalb hier Niemand Portraitähnlichkeit verlangen kann. Nun die Geschichte. Der ältere der beiden Soldaten führte das Wort. ‚Wir waren am Tage nach der Schlacht von Königgrätz commandirt‘, sagte er, ‚das Gehölz eines der Hügel zu durchsuchen, von denen aus die Sachsen unseren Truppen viel Schaden zugefügt hatten und von denen sie erst nach tapferer Vertheidigung vertrieben worden sind, nachdem der Kronprinz bereits den rechten Flügel der Oesterreicher zum Weichen gebracht hatte. Da lag mancher brave Junge in seinem Blute, die zerschossenen und zerhauenen Monturen roth bespritzt und gefärbt. Auch an Verwundeten fehlte es nicht, zu denen noch keine ärztliche Hülfe den Weg gefunden hatte. Wir theilten Manchem einen Schluck aus der Feldflasche als augenblickliches Labsal mit, notirten uns auch genau, wo sie lagen, um Meldung darüber machen zu können. Die Wälder dort sind zwar nicht groß an Umfang, aber hochstämmig und von dichtem Gesträuch durchwachsen, wo mancher zum Tode Verwundete, wie das Mensch und Thier im letzten Elend so thun, sich hinverkrochen haben konnte. Als wir durch solches Gestrüpp uns durcharbeiteten, um wieder zu einer hindurchschimmernden Lichtung zu kommen, hörten wir ein anfänglich schwaches Knurren, das aber, je näher wir kamen, immer schärfer wurde. Endlich durchbrachen wir die letzten Zweige des Gesträuchs, und eine kurze Strecke vor uns lag am Abhang hart vor dem Hochwald ein sächsischer Officier, noch den Säbel fest in der Faust, wie er im Kampfe gefallen war. Ueber seine Brust legte, hoch aufgerichtet, ein Hündchen seine Pfoten und wies uns, grimmig knurrend und bellend, die Zähne. Als wir näher kamen, sprang es wie wüthend, doch nicht bis über die Füße seines Herrn hinaus, uns entgegen, eilte aber zum Haupte und auf die Brust zurück, als wir endlich ganz nahe getreten waren.

Sie glauben’s vielleicht kaum, es klingt auch sonderbar, aber es ist doch wahr: mir ausgewettertem Kerl, der in zwei Feldzügen, in Schleswig und hier, an den Anblick vieler Todten, bei denen die Angehörigen jammerten und schrieen, gewöhnt und beinahe ein wenig hart dagegen geworden war, mir war es, als ob ich Respect haben müsse vor dem tapfern Hündchen, das gegen zwei Mann seinen Herrn vertheidigte. Und meinem Cameraden ging’s gerade so. Was war da zu machen? Ich wollte vor Allem wissen, ob der Officier todt oder nur schwer verwundet sei, und doch dauerte mich der brave Hund, Gewalt gegen ihn anzuwenden. So aber ließ er mich nicht nahe genug an den Kopf des Officiers kommen, um nach dem Athem zu lauschen. So oft wir’s versuchten, fuhr er uns gegen die Beine, sprang aber sogleich auf die Brust seines Herrn zurück, wenn wir uns wieder zurückzogen. Die Wunde sahen wir auf der rechten Kopfseite, das Ohr konnten wir vor dick geronnenem Blut nicht erkennen. Wir durchsuchten unsere Brodbeutel und ich gab Alles, was ich vorfand, darunter auch einige Wurstrestchen, meinem Cameraden, der sich nun zu Füßen des Gefallenen stellte und seine für den hungerigen Köter gewiß annehmbaren Herrlichkeiten ihm hinhielt und hinwarf, während ich dem Kopf nahe zu kommen suchte. Aber damit war’s erst recht gefehlt. Das Thier sprang neben und auf seinem Herrn bellend, zähnefletschend und endlich wuthschäumend hin und her, so daß es mich zu dauern anfing und wir von jedem Versuch näherer Untersuchung des Officiers abstanden.

Wir überließen dem tapfern Wächter die Brod- und Wurstbrocken; gern hätten wir ihm auch noch Wasser hingegossen, wenn wir selbst welches gehabt hätten, denn die Zunge hing ihm weit heraus. Wir entfernten uns langsam, immer zurückschauend. Der Hund rührte keinen Bissen an, so lange er uns sah, sondern stand, die Pfoten auf der Brust seines Herrn, fest auf seinem Posten. Um zu thun, was wir unter solchen Umständen vielleicht zur Rettung eines braven Officiers thun konnten, eilten wir, den Vorfall zu melden. Was aus Mann und Hund geworden ist, wissen wir nicht, aber vergessen werde ich den Anblick beider mein Lebtag nicht.‘

So ungefähr lautete die Erzählung meines Preußen, die sein Camerad häufig durch sein Nicken bestätigte. Ich machte den Entwurf zu dieser Illustration sogleich im Beisein der Soldaten, namentlich soweit sie die Lage und Gestalt des Officiers und das Aussehen des Hündchens betrifft, so daß ich wenigstens in dieser Hinsicht ein treues Bild geliefert habe. – In Wiener Blättern wurde von einer ähnlichen Treue berichtet, durch welche ein Hund zweimal der Retter seines Herrn, eines österreichischen Hauptmanns, geworden sei. Ueber den sächsischen Officier, ob er zu den Todten, ob zu den Geretteten gehört, habe ich leider bis heute noch nichts ermitteln können.“ – Soweit unser Künstler. Vielleicht gelingt es durch diese Veröffentlichung, Näheres über das Schicksal des Officiers und seines treuen Vertheidigers zu erfahren. Wir können nur wünschen, daß wir der Erzählung unsers Gewährsmanns ein recht erfreuliches Ende anzufügen haben möchten.




Strafpredigt gegen rücksichtslose Leute.
1. Für Die im Trink- und Speisehause.


Was Du nicht willst, daß man Dir thu,
Das füg’ auch keinem Andern zu.



Das ist die Quintessenz der Humanität, also der Haupttugend eines Menschen, und Jeder sollte beim Umgange mit seinen Mitmenschen fortwährend dieses Humanitätsgesetzes eingedenk sein. Leider leisten nun aber die meisten Menschen im Zufügen von dem, was Andere nicht wollen, ganz Enormes, während sie selbst nichts Unangenehmes zugefügt zu haben wünschen und für sich die zartesten Rücksichten beanspruchen. An Andern bemerken die meisten Menschen fortwährend Rücksichtslosigkeiten, sich selbst halten sie aber für äußerst rücksichtsvoll, zumal wenn sie mit ihren hohlen Redensarten keinen Verstoß gegen die Höflichkeit machen. Am ärgsten treibt es im rücksichtslosen Rücksichten-Fordern das weibliche Geschlecht, und zwar ganz besonders dem Manne gegenüber. Ja, sehr oft sind gerade diejenigen Frauen, die das wenigste Recht dazu hätten, am rücksichtslosesten, unduldsamsten und anspruchsvollsten, am liebsten aber gegen ihres Gleichen.

Nur in einem Falle scheint dieses Humanitätsgesetz eine Ausnahme zu gestatten, nämlich beim sogenannten „Jemandem die Wahrheit sagen“. Allein dies scheint auch nur so und zwar deshalb, weil es den allermeisten (natürlich vorzugsweise den eingebildeten und arroganten) Menschen sehr unangenehm und ärgerlich ist, die Wahrheit, würde sie auch in der zartesten Form gesagt, zu hören. Das sollte aber nicht so sein und eigentlich ist jeder gebildete Mensch geradezu verpflichtet, auch wenn’s ihn noch so unangenehm berührt, im Interesse des allgemeinen Besten, sowie zu seinem eigenen und Anderer Wohle, die Wahrheit ebenso unverblümt zu hören wie zu sagen. Es stände sicherlich um die Menschheit weit besser, wenn Diejenigen stets die Wahrheit zu hören bekämen, welche sie am wenigsten gern hören wollen.

Ganz etwas Anderes ist es, wenn man unaufgefordert Jemandem unangenehme Wahrheiten, ohne allen Zweck oder um ihn zu ärgern oder gar ihm wehe zu thun, zu hören giebt. Bei solchem rein persönlichen Wahrheitsagen, das wohl gar körperliche Gebrechen betrifft, da denke man freilich stets daran, wie uns selbst eine solche Wahrheit thun würde. Auch wundere man sich dann nicht, wenn man sich dadurch den Titel eines Grobians erwirbt. – Wie würde Dir’s z. B., kahlköpfiger Leser, thun, wenn man Deine Perrücke, die Du doch für echtes Haar gehalten zu haben wünschest, in Damengesellschaft zum Stoffe der Unterhaltung wählen wollte? – Oder sollte es etwa nicht Denen unangenehm sein, die noch gar nicht an’s Altern denken, wenn man sie fortwährend an ihre Jahre erinnert, oder sie auf ihre Runzeln, grauen Haare, dünnen Stellen auf dem Kopfe und dergleichen Altersveränderungen mehr aufmerksam macht? – Wie ungern hört man nicht: „Du siehst ja recht elend aus, bist Du unwohl? Fehlt Dir’s wo? Was ist Dir passirt?“ – So fühlt sich der Verfasser auch nicht gerade angenehm berührt, wenn er auf der Straße von Hinzen und Kunzen auf den (allerdings corpulenten) Bauch geklopft wird und hören muß: „Nein, werden Sie dick!“ oder wenn ihn die Müllers und Schulzes mit den Redensarten verfolgen: „Sie müssen nach Carlsbad“; „Wollen Sie denn nicht die Banting’sche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_814.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)