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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

weiden oder an dem ungleichen Kampf der Wüstenthiere und wehrloser Christen ihre raffinirte Grausamkeit zu letzen, wurde als Steinbruch betrachtet, aus dessen Material die römischen Fürsten ihre Paläste aufführten. Die Paläste Barberini und Farnese sind aus den Steinen des Colosseums aufgeführt, und der großartige Bau, von dem trotzdem noch immer die äußere Schale steht, wurde so verstümmelt. Man muß die geschmacklosen Passionsstationen, durch welche diese Ruine zu einem gottesdienstlichen Raume geweiht worden ist, freudig begrüßen, weil sie weiterer Zerstörung Einhalt gethan. Auch die heiligen Väter thaten das Ihrige im Demoliren der alten Herrlichkeit.

Sie alle haben Rom zu dem gemacht, was es jetzt ist; vielleicht immer noch die merkwürdigste Stadt der Welt, ist sie vielleicht auch die gesunkenste. Die Stätten, auf denen sich einst die alte Kaiserstadt ausbreitete, sind jetzt theils verödet, theils mit schmutzigen, unansehnlichen Häusern besetzt; der Kern der Stadt wurde nach der vaticanischen Residenz der Päpste über den Tiber und auf das alte Marsfeld verlegt. Wo einst die stolzesten Bürger der Welt wandelten, treiben sich zerlumpte Bettler umher, Hunger und Elend spricht aus ihren Zügen, und mehr als einer trägt die Spuren des tückischen Malariafiebers, das ihn in der ungesunden Campagna überfallen, die durch Drainirung leicht zum fruchtbaren Ackerlande zu machen wäre, was aber Dank dem päpstlichen Regimente nicht geschieht. Kohlstrünke, die eine Köchin unbekümmert aus dem dritten und vierten Stocke eines Hauses niedergeschleudert und die von hungerigen und mißhandelten Lasteseln benagt werden, liegen da, wo einst der Fußtritt geharnischter Legionen dröhnte. Weinkneipen, Bäcker- und Fleischerläden haben sich in den Resten der alten Foren eingenistet. Im Colosseum, in dessen Mitte man ein einfaches Kreuz aufgerichtet, an keinem Orte wohl passender und siegreicher die Nemesis der Geschichte verkündend, wird unter freiem Himmel von einem Capuziner eine Predigt gehalten, und wieder ist der Ort zum Kampfplatz geworden, denn der schnupfende Gottesmann zieht mit Donnerstimme gegen die Protestanten zu Felde.

Durch den Titusbogen, dem Titus zu Ehren errichtet, als er die Löwenstreiter von Jerusalem nach verzweifeltem Todeskampfe im Triumphe nach Rom führte, rollt, von sechs Büffeln gezogen, ein weißer Marmorblock, auf einem rohen Räderkarren befestigt, der Stadt zu; wie Ungeheuer einer vergangenen Weltperiode, trotten die gewaltigen grünschwarzen Thiere dahin, einen häßlichen Bisamduft verbreitend. Ein eiserner Ring durch die Nase und der Stachelstock des Führers sind die einzigen Lenkungsmittel, der Weg geht abschüssig und es muß gehemmt werden. Von vorn wird deshalb den Büffeln der Stachel in die Schulter gestoßen, daß das Blut nachspritzt. Der Marmor gelangt langsam zur Stadt, aber zu keinem Monument, das dieselbe schmücken wird, wie dereinst, soll er bearbeitet werden, er wandert in das Atelier eines Künstlers, der irgend einen Faun oder eine Bacchantin, die einzigen Gestalten, zu denen sich das epigonenhafte Talent der meisten Bildhauer aufschwingt, daraus fabricirt, und wird hier an irgend einen an Geldüberfluß und Geschmacklosigkeit leidenden Russen oder Engländer losgeschlagen. Im Schatten liegen kräftige, schöne Männergestalten und wissen nichts Besseres zu thun, als zu schlafen. Eine Abtheilung von französischen Soldaten macht ihre militärischen Uebungen und ihr wildes Trommelgerassel klingt wie eine Erinnerung an die kriegerischen Zeiten Roms; die Cigarre im Munde, mit zerrissener und verschabter Uniform, sehen ein paar päpstliche Soldaten zu und scheinen diese Manipulationen nicht zu kennen und zu verachten. In Begleitung eines süßlächelnden, rothstrumpfigen Cardinals steigen seidenrauschende Engländerinnen den palatinischen Hügel hinan, sich die neuausgegrabene Prätorianercaserne in den farnesischen Gärten anzusehen und in’s Album zu zeichnen, aber fürstlicher und edler ist die Haltung des krugtragenden Römermädchens, das mit einem stolzen Blick, ohne das königliche Haupt zu wenden, an ihnen vorübergeht, und der stutzerhafte Brite, der auf einem hohen Klepper in der eigenthümlichen Reitweise seiner Nation dahintrabt, kann sich an Anstand dem schwarzbärtigen Campagnolen nicht vergleichen, der, den grüngefütterten Mantel über die Schulter geschlagen, die Flinte über dem Rücken, die Via Appia hinabreitet.

Plötzlich erfaßt Alle eine starre Aufmerksamkeit; die Soldaten, die nie fehlenden Mönche, die zerlumpten Bettler und Bettelweiber fallen auf die Kniee, die Fremden nehmen den Hut ab und setzen die Lorgnette auf, sechs Nobelgardisten zu Pferd sprengen heran, und ihnen folgt, von sechs prachtvollen Rappen gezogen, die Carosse des Papstes. Der alte schöne Herr im weißen Kleide darin, links und rechts den Segen ertheilend, kehrt von der öden Campagna, in der er Luft geschöpft, in den öden Vatican zurück.

Pius der Neunte hat einen Zauber, der mächtiger ist, als seine Allocutionen und seine Hirtenbriefe: das ist seine persönliche Erscheinung. Dem mild ernsten Blicke seiner prachtvollen schwarzen Augen vermag sich kein Herz zu verschließen, und die sonore Orgelstimme des fünfundsiebenzigjährigen Mannes, durch die der apostolische Segen am Ostertage auf dem ganzen großen Petersplatze vernehmbar wird, ist von unwiderstehlicher Gewalt. Seine Rundreisen durch die Provinzen, seine Ausfahrten machen bei seinem Volke, seine Audienzen bei den Fremden stets entschiedene Propaganda für ihn. Freilich er selbst wird bei diesen Rundreisen und Ausfahrten wenige für ihn erfreuliche Zeugnisse seines geistlichen Regiments erblicken. Denn was ist das auf den mächtigsten Trümmern der Welt erbaute heutige Rom? Ein Sammelplatz meist unthätiger Kleriker und Mönche, ein Schlupfwinkel für allerhand compromittirte Persönlichkeiten, ein Winteraufenthalt für Fremde, ein großes Atelier für deutsche Künstler; und das römische Volk, durch eine Jahrhunderte lang gehegte geistige Nahrungslosigkeit, ist zu einer Gesellschaft von Zimmervermiethern, herumlungernden Stutzern, ihre Schönheit preisgebenden Modellen und Spitzbuben herabgesunken. Und diese letzteren sind nicht etwa nur jene unheimlichen Gestalten, die mit Dolch und Pistole nächtlicher Weile dem einsamen Wanderer auflauern, sie erhalten ihr Vorbild von den höchsten Beamtenkreisen. Sagte doch einmal der Polizeidirector, dessen Neffe bei einer Eisenbahngesellschaft angestellt war und dort bedeutende Unterschleife sich hatte zu Schulden kommen lassen, als man sich deshalb bei ihm, dem Onkel, beschwerte: „Mein Gott, sind wir nicht auch einmal jung gewesen?“ Und die Gesellschaft mußte froh sein, daß jener junge Mann sich von selbst heimlich entfernte, nachdem er an der Casse noch einmal einen genialen Jugendstreich verübt hatte.

Aber wie auch geistliche Unterdrückung und bodenlose Vernachlässigung das Volk heruntergebracht und namentlich eines ihm genommen, die Energie sich zu bessern und zu würdigen Zuständen aufraffen zu wollen; wie man seine zu den heldenhaften Gestalten so wenig passende Feigheit verachten muß, seiner Unzuverlässigkeit und Unsolidität herzlich überdrüssig wird: so erkennt man doch noch die großen und herrlichen Anlagen, mit denen die Römer geziert waren, und jenen fürstlichen Stolz, der noch immer an die alten Beherrscher des Erdkreises erinnert. Freilich der Stolz hat etwas Bettelhaftes bekommen bei einer Bevölkerung, deren ganze Existenz von dem Kommen oder Nichtkommen reicher Fremden abhängt, und es klang fast wie ein Spott, als ein fahrender Zahnarzt, der seine Künste pries, eine Anzahl Betteljungen als Beherrscher der Welt anredete. Es hat etwas Wehmüthigeres noch, als der Zerfall der alten Tempel, den Zerfall dieses großen und herrlichen Volkes zu sehen. Und das Volk weiß das, es klagt über seine gesunkene Größe, freilich ohne sich aus dem thatenlosen Schlenderleben erheben zu können und zu wollen. Es fühlt, daß es selbst ein Bild seiner Ruinen ist, und es war ein Schauspiel von tragischer Gewalt, als vor einigen Jahren, da der Carneval im Corso tobte und statt der feinen Grazie, die der Römer bis zum untersten herab in solchen Volksfestlichkeiten zu wahren versteht, Engländer ihre rohen Späße trieben, eine Anzahl Römer auf dem alten Forum in Trauerkleidern umherwandelte, die alten Zeiten und die alte Größe beweinend.

Sie gehören, diese Römer, zu ihren zerbrochenen Säulen und verödeten Amphitheatern, und es hat sich deshalb um dieselben auch der Theil der Bevölkerung angesiedelt, der in seiner Schönheit und seinem Verfall vor Allem den Stempel der römischen Race trägt. Wehmüthig sieht das Standbild der Minerva, mit dem Rauche der Brände Roms und dem Qualm, der aus dem Ofen des Pastetenbäckers dringt, wie mit einem Trauerflor überzogen, auf sie herab, eine neue Mahnung an den gestürzten Adel Roms. Die Sinnbilder des häuslichen Fleißes, die dem Friese des Nervaforums eingehauen waren, haben auf sie keinen Bezug mehr und mahnen, wie in Rom alles Große und Schöne, an eine vergangene Zeit.

C. V.     




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