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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ich erhoffe nun Antwort von Ihnen, und das Vergnügen, bald hier einen so berühmten Seeofficier zu begrüßen, dessen persönliche Bekanntschaft zu machen ich begierig bin und den Rußland mit Stolz auf seinem Boden willkommen heißen wird. Glauben Sie, theurer Capitän Maury, daß Ihnen alles Gute wünscht Ihr ergebener Constantin, Großadmiral von Rußland.“

Was Maury veranlaßte, auf dies prächtige Document fürstlichen Respectes vor selbstgeschaffener Größe ablehnend zu antworten, ist unbekannt geblieben; gewiß ist, daß dies den Großfürsten nicht abhielt, vier Jahre später tausend Guineen zu einem Ehrengeschenke für Maury zu steuern. Auch Frankreich richtete durch den Prinzen Napoleon eine ähnliche, aber ebenfalls abgelehnte Einladung an Maury, der fortfährt als freier Privatmann von seiner Thätigkeit in London zu leben. Das erwähnte Ehrengeschenk, zu dessen Ansammlung Holland aufgefordert hatte, wurde, dreitausend Guineen an Werth, Maury am 5. Juni dieses Jahres durch den Präsidenten des Institutes von England, Sir John Pakington, bei einer zu seiner Ehre veranstalteten Festlichkeit überreicht. Nicht Epaulette und Ordensstern glänzten hier, aber alle Fächer des Wissens, alle Arten des Ruhmes hatten sich beeifert, ihre Sterne um die Tafel zu gesellen, an der des mittellosen von Amt und Würden vertriebenen Maury bescheidene Gestalt präsidirte. Die Fürsten im Reiche des Wissens und Kennens tagten, um einem Ebenbürtigen, einem jener wahrhaft von Gottes Gnaden der Welt Gegebenen zu zeigen, daß er ihrem Herzen lieb sei, wie ihrem Kopfe werth, ein echter Finder der Pfade der Humanität.




Unbekanntes von einem Allbekannten.
Von August Diezmann.


Die Herren in der Gesellschaft des jungen Herzogs von Weimar führten in der sogenannten „lustigen Zeit“, d. h. in den ersten Jahren nach dem Antritt der Regierung Karl August’s und nach der Ankunft des Dr. Goethe in Weimar, über ihre Fahrten und Abenteuer in und bei Ilmenau, namentlich in dem Dorfe Stützerbach, eine Art Tagebuch, in welchem sie gemeinschaftlich, d. h. Einer nach dem Andern, das gemeinschaftlich Erlebte niederschrieben. Die Schilderungen und Erzählungen, die in jenes seltsame Tagebuch eingetragen wurden, trugen ganz und vollständig den „genialischen“ und burlesken Ton, welcher damals in jener Gesellschaft herrschte und der nicht gar selten bis an die äußerste Grenze der Natürlichkeit und Ungenirtheit ging. Man legte die Worte und Ausdrücke, deren man sich bediente, durchaus nicht auf die Goldwage, und namentlich sollen die Einzeichnungen, die Karl August selbst lieferte, durch witzige und derbe Natürlichkeit sich vor allen andern hervorgethan haben.

Als Goethe des überlustigen Treibens überdrüssig war und auch seinen fürstlichen Freund von demselben abwendig zu machen und zu ernsterm Streben zu veranlassen suchte, deshalb mit ihm die Reise nach der Schweiz und zu Lavater 1779 unternahm, hielt er für nöthig, jenes Tagebuch, die Erinnerung an alle die Thor- und Tollheiten, zu vernichten, damit es nicht etwa in unrechte Hände gerathe, die einen nicht wünschenswerthen Gebrauch davon machen könnten. Jedenfalls ist, so viel Mühe man sich auch gegeben hat, keine Spur von jenem Denkmal einer völlig eigenthümlichen Zeit aufgefunden worden. Goethe selbst giebt ein Bild derselben in seinem prächtigen Gedichte „Ilmenau“; auch wissen wir, daß manche der Herren, selbst der Herzog und Goethe, bisweilen die halbe Nacht hindurch mit den Bauermädchen in der Schenke zu Stützerbach in einem Local tanzten, dessen Decke so niedrig war, daß ein Mann von einiger Länge mit dem Kopfe anstoßen mußte; alles Andere ist unbekannt. Nur die Erinnerung an einen Vorgang hat die Tradition in Ilmenau bis vor mehreren Jahren bewahrt. Der alte Kaufmann Hetzer, ein Freund Goethe’s, erzählte bisweilen davon, so ist die Sache auch mir durch den jetzt ebenfalls verstorbenen Medicinalrath Fitzler bekannt geworden und ich theile sie hier mit, weil man daraus abnehmen kann, welcher Art die übermüthigen Späße waren, die man damals in jenen höchsten Kreisen in Ilmenau und der Umgegend liebte.

Karl August war mit seinen Getreuen und vielen andern Geladenen in Ilmenau angekommen und es sollte eines Tages eine große Jagd veranstaltet werden. Auch war bestimmt worden, daß der Aufbruch sehr früh am Morgen erfolge und daß ein Jeder pünktlich auf dem bezeichneten Sammelplatze sich einfinde. Da die Gesellschaft, wie gesagt, sehr zahlreich war, so hatte es Mühe gekostet, dieselbe in dem damals noch sehr kleinen Ilmenau unterzubringen. Wohl oder übel hatte endlich Jeder der Herren ein Plätzchen gefunden, der Dr. Goethe in der kleinen Mühle ganz in der Nähe. Spät am Abend aber, als Alle sich längst zur Ruhe begeben, kam Knebel, der immer zu einem Schabernack bereit war, auf den Gedanken, dem am andern Tage jedenfalls zu erwartenden Vergnügen noch einen Extraspaß hinzuzufügen und diesen gegen Dr. Goethe zu richten, zur Strafe für die vielfachen Neckereien, die derselbe gegen die Andern fortwährend ausführte. Dieser, der Freund des Herzogs, sollte verhindert werden, am andern Morgen rechtzeitig auf dem Sammelplatz sich einzufinden. Knebel begab sich also zu dem Besitzer der kleinen Mühle, in welcher Goethe wohnte, und trug ihm sein Anliegen vor. Der Müller schüttelte zwar bedenklich den Kopf, wagte aber doch auch nicht, dem ihm unbekannten Herrn vom Hofe etwas abzuschlagen, zumal derselbe alle Verantwortlichkeit für die Folgen übernahm und der Müller aus Erfahrung schon wußte, welcher Ton in der hohen Gesellschaft herrschte. Er versprach also, wie von ihm verlangt wurde, nicht nur den Dr. Goethe nicht zu wecken, sondern auch die Nacht über seine Mühle nicht stehen zu lassen, damit der Schlafende durch das Aufhören des regelmäßigen Geräusches nicht gestört werde; er half auch, die Fensterläden vor dem Stübchen Goethe’s in aller Stille von außen zu schließen und die Thür desselben mit einer großen Anzahl von Getreide- und Mehlsäcken zu verbarricadiren, sodaß dieselbe von innen nicht geöffnet werden könne. Knebel ging nicht von dannen, bis er sich überzeugt hatte, daß alle seine Anordnungen genau nach Vorschrift ausgeführt worden waren.

Goethe schlief während der Zeit vortrefflich; er schlief weiter und – verschlief richtig die Zeit des Aufbruchs, weil er darauf rechnete, daß der Wirth, wie er demselben, befohlen, ihn zu rechter Zeit wecken werde. Alle Andern fanden sich pünktlich auf dem Sammelplatze ein, so daß bald nur der allgemein vermißte Dr. Goethe fehlte. Man wartete auf ihn. Man wartete lange, Goethe kam nicht. Da verlor endlich Karl August die Geduld und schickte einen Jagddiener mit dem Befehl zurück, den Säumigen zu holen und so lange dicht vor der Mühle auf seinem Jagdhorn zu blasen, bis Dr. Goethe auf den Ruf sich melde, und ihn dann mit sich zu bringen. Der Diener eilte, wie ihm befohlen, zurück und begann vor der Mühle zu blasen. Goethe hörte die Horntöne und setzte sich im Bett auf. In diesem Augenblick machte der Bläser draußen eine Pause, um zu sehen, ob der Vermißte sich melde. Goethe aber sah, daß es noch ganz finster war, meinte geträumt zu haben und legte sich wieder nieder.

Da begann der Mann draußen von Neuem seine Weckrufe hören zu lassen. Goethe erkannte, daß er nicht geträumt, sprang aus dem Bette und eilte an das Fenster. Hier überzeugte er sich sofort, daß der Laden geschlossen war, der doch offen gewesen, als er sich zur Ruhe begeben. In heftigem Aerger stieß er den Laden mit Gewalt auf, durch einen Stuhl, wie man sagt, und sah mit eignen Augen, daß es bereits zu tagen anfing. Dann rief er dem Waldhornbläser unten zu, er möge nur kurze Zeit warten, er werde sogleich selbst erscheinen. Er kleidete sich in der That so rasch als möglich an und wollte forteilen, aber als er die Thür zu öffnen versuchte, merkte er, daß sie nicht aufgehe, weil draußen schwere Gegenstände vor derselben lagen. Er kehrte also an das Fenster zurück und rief dem wartenden Jagddiener zu, er möge allein zurückkehren und Sr. Hoheit dem Herzog melden, er könne nicht kommen, wenn er nicht erst befreit werde, denn er werde durch einen mächtigen Zauber im Zimmer festgehalten. Der Diener eilte mit dem erhaltenen Auftrag zurück zu dem ungeduldigen Herzoge, während Goethe neue, aber vergebliche Anstrengungen machte, seine Freiheit zu gewinnen. Noch war er damit beschäftigt, als der Herzog, der den Zusammenhang der Sache wohl ahnen mochte,

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