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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

nichts anderes sein darf, als das Erzeugniß heutiger Vernunft, in der ja schon der unvergängliche Theil des Erbes früherer Vernunft liegt. Denken, nicht Glauben, ist auch in der Religion die Regel. Geltung in ihr kann nur das Erkannte, Gewußte, auf sichern Thatsachen Ruhende haben. Das Vermuthete, Geahnte gehört nicht in die Religion der Gemeinschaft hinein, bleibt Jedem anheimgestellt. Die Thatsachen der Natur und des Menschenwesens sind die Grundlagen der Religion. Es giebt keinen persönlichen Gott außerhalb der Welt, sondern Gott ist in den Dingen selbst; er ist mit der Welt eins. Er blickt uns aus der Blume an und umweht uns im Luftstrom, er rauscht uns in der Welle zu und in dem Baume strebt seine Kraft vor uns empor, in meinem Auge webt und pocht sein Leben, in meinen Gedanken ist er die gesetzgebende, ordnende Macht, in meinem Gewissen redet seine Stimme. Gottes Wort steht am klaren, nächtlichen Himmel und seine Buchstaben sind die schimmernden Sterne, Gottes Wort spricht in den ziehenden Wolken, es redet im Wald und im Felde.

Am schwersten fiel es Uhlich die letzten Consequenzen zu ziehen in der Frage vom Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und an ein Wiedersehen nach dem Tode. Er beschreibt in seinem Sonntagsblatte, wie ihm die Hoffnung, in einem Jenseits seine Entschlafenen wiederzusehen, ein gar freundlicher und tröstlicher Gedanke gewesen sei. Aber sein Entwickelungsgang trieb ihn auch in dieser Frage unaufhaltsam vorwärts und brachte ihn zu der Ueberzeugung, daß alle durch die Orthodoxie verbreiteten Vorstellungen von einem künftigen Leben sich wissenschaftlich nicht begründen lassen. Der menschliche Geist in seiner hohen Kraft und Begabung ist ihm das Wundervollste, das sich in dem großen Reiche der Dinge darstellt, aber auch er entspringt aus dem gleichen Mutterschoße der Welt, dem Thier und Pflanze entspringt, und Niemand hat irgendwo ein Zeichen wahrgenommen, daß er ohne Leib bestehen könne.

Es ist klar, daß, sowie Uhlich’s jetzige Anschauung von Gott und der Welt eine offenbar pantheistische ist, seine Ansicht über den menschlichen Geist als eine materialistische bezeichnet werden kann. Es ist hier nicht die Stelle, ein Urtheil über diese Ansicht zu fällen. Wenn aber die Gegner eine solche Anschauungsweise für das „volle Gegentheil von Sittlichkeit“ erklären, so werden sie sowohl durch Uhlich’s Sittlichkeitslehre, als auch ganz besonders durch seine und seiner Anhänger Sittlichkeit auf’s Glänzendste widerlegt. Die Summe der besten Gedanken, über welche heute die Menschheit verfügt, ist Uhlich’s Religion. Sie ist ihm die Hingebung an diese Gedanken, als die Beherrscherinnen des Gemüths und des Lebens. Seine Predigt strebt zu sein eine Darreichung aus diesem Schatze zur Befriedigung des ewigen Verlangens nach dem Wahren, Guten und Schönen. Sie lehrt die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Liebe, der Menschenwürde. „Was du willst, daß dir die Leute thun sollen, das thu’ ihnen und umgekehrt. Liebe die Menschen und beweise ihnen deine Liebe mit der That, denn das Wahre, Gute, Schöne, wonach deine Seele strebt, mußt du in möglichst weiten Kreisen pflanzen und pflegen, anders kannst du dir selbst nicht genügen; das allgemeine Wohl ist deine Seligkeit, also laß dich von der Liebe regieren. In allen Dingen das Höchste streben ist dein Beruf und dein Glück.“

Uhlich’s sittlicher Standpunkt wird am besten durch folgende von ihm selbst in neuester Zeit geschriebene Worte bezeichnet: „Eins steht fest und bleibt fest stehen, nämlich, daß ich ein guter Mensch sein muß; das ist die unverrückliche Thatsache des innern Lebens; ich sage, daß gerade die sittliche Nothwendigkeit die allerentschiedenste Thatsache ist, ebenso gut Thatsache der Menschennatur, als wir die Thatsachen in der uns umgebenden Natur finden.“ Mit Recht beruft sich Uhlich auf Jesu Ausspruch: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Welcher Prediger der Staatskirche möchte sich rühmen, die Gebote seines Heilands in umfassenderer Weise zu erfüllen als Uhlich? Uhlich predigt die Nächstenliebe nicht nur, er beweist sie durch die That. Wem es vergönnt war, persönlichen Verkehr mit ihm zu pflegen, der kennt seine Aufopferungsfähigkeit, seine große Uneigennützigkeit, seinen durch nichts zu ermüdenden Eifer, jede Noth zu lindern und jedem Bedrängten zu helfen. Mögen Andere predigen: „Segne die, die dir fluchen, und thue denen Gutes, die dir Böses gethan haben,“ Uhlich handelt nach diesem Gebot. Von den Theologen der protestantischen Kirchenzeitung, welche seine Lehre eine „materialistische Erniedrigung der Religion, welche von Gottesfurcht und Sittlichkeit das volle Gegentheil ist“, nennen, erklärte er, daß „diese Männer so wacker für die Freiheit der Religion streiten, wie es nur eben ihr Standpunkt zuläßt.“ Wenn man vor Uhlich’s Scheiden aus der Staatskirche gewagt hat, ihn, den entschiedensten Feind jedes Scheinwesens, der Unehrlichkeit und Heuchelei aus selbstsüchtigen Zwecken zu beschuldigen, so muß dieser der Wahrheit auf’s Schmählichste in’s Gesicht schlagende Vorwurf von dem an Leiden so reichen Leben des Mannes, der für seine Ueberzeugung erst vor Kurzem im Gefängniß gelitten, verstummen. Nur ein edler Mann vermag die Gemüthsruhe und innere Zufriedenheit selbst im Gefängniß zu bewahren, welche aus jeder Seite von Uhlich’s vor Kurzem erschienenem Tagebuche über seine letzte Gefängnißhaft „Drei Wochen im Gefängniß“ hervorleuchtet. –

Als Sohn eines Schneiders in Köthen ist Uhlich also ein Kind des Volks, zu dessen treuesten Führern er gehört. Sein reichbewegtes Leben ist, soweit dasselbe der Oeffentlichkeit angehört, allgemein bekannt. Darum können wir hier auf jede weitere Darstellung desselben verzichten. Seine Kämpfe mit dem Magdeburger Consistorium führten 1846 zu seiner Amtssuspension. Seit dem folgenden Jahre den freien Gemeinden angehörend, hat keiner für ihre weitere Ausbreitung so viel gewirkt als Uhlich, aber auch keiner mehr für sie gelitten, als er, der als Führer immer im Vordertreffen des Kampfes stand.

Wegen Anmaßung geistlicher Amtshandlungen stand Uhlich in einem einzigen Jahre dreißig Mal vor Gericht. Nachdem er, sowie sein College Sachse, zwei Jahre lang in den Gemeinden außerhalb Magdeburgs ungestört gepredigt hatte, wurden sie plötzlich im Frühjahr 1852 auf den Bahnhöfen polizeilich in Empfang genommen, im Wartezimmer bewacht, bis der nächste Zug nach Magdeburg zurückging, und dann heimspedirt. Uhlich ertrug diese widerwärtigen Chicanen mit gewohntem Gleichmuth wie elementare Ereignisse, die man nicht ändern kann. 1854 wurde die Magdeburger Gemeinde gänzlich geschlossen; Uhlich lehrte nun im Stillen unter den Festgebliebenen und deren Jugend weiter, bis ihm die neue Aera eine neue öffentliche Entfaltung seiner Wirksamkeit gestattete.

Uhlich steht jetzt im achtundsechszigsten Lebensjahre, silberweißes Haar bedeckt sein Haupt, Leiden mannigfacher Art schwächen seinen Körper. Aber der Greis erglüht noch von demselben Feuereifer für die Wahrheit, welche den Jüngling beseelte, und ist noch immer einer ihrer muthigsten Streiter. Als ihr Apostel zieht Uhlich noch heute von Ort zu Ort, um die Finsterniß zu bekämpfen und das Licht zu verbreiten. Wo eine neue Gemeinde entstehen will, ruft man ihn; weit über die Grenzen des Vaterlandes hinaus verlangt man seine Mitwirkung; in Belgien, wo sich seit einigen Jahren der freie Gedanke zu regen beginnt, hat er bereits persönlich bei der Constituirung einer freireligiösen Gesellschaft mit geholfen; französische, schweizerische, italienische Gesinnungsgenossen haben Verbindung mit ihm gesucht. In dem Bunde der einhundertundsechszehn deutschen freireligiösen Gemeinden ist Uhlich nebst Baltzer, dem Prediger Albrecht in Ulm und zwei schlesischen Juristen Vorstandsmitglied. In dem von ihm herausgegebenen vielgelesenen „Sonntagsblatt“, das sich seit 1849 unter allen Fährlichkeiten, Postdebitsentziehung, Beschlagnahme während eines ganzen Jahres, Hinausdrängung aus Preußen unter Manteuffel behauptet und sich sein Publicum in ganz Deutschland gewonnen und erhalten hat (die Auflage beträgt gegen viertausend), führt er den Kampf gegen jede Bedrückung der religiösen Freiheit und Verletzung der Rechte der freien Gemeinden mit gewohnter Unerschrockenheit fort und vertritt deren allgemeine Interessen nach allen Richtungen hin.

Diese umfassende Thätigkeit ist jedoch nur ein Theil von Uhlich’s öffentlicher Wirksamkeit. Wer glaubt, daß sich diese auf das freireligiöse Gebiet beschränkt, hat von Uhlich eine durchaus falsche Vorstellung. Wo in Magdeburg ein Kampf für Wahrheit, Freiheit und Recht auszufechten ist, wo sich eine Gelegenheit bietet, Bildung und Aufklärung unter dem Volk zu verbreiten, da eilt Uhlich herbei. Auch in politischer Beziehung, in der man ihm früher, besonders wegen seiner Thätigkeit im Jahre 1848 als Mitglied des linken Centrums der Nationalversammlung, eine etwas übertriebene Neigung zum Vermitteln vorgeworfen hat, gehört er jetzt der entschiedensten Richtung der freisinnigen Partei an. Obgleich seine sich immer gleich bleibende, des agitatorischen Feuers entbehrende Ruhe und eine für die politsche Debatte mitunter zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_782.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)