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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

komischem Zorne schilderte sie uns deren Betragen, wie sie den ganzen Tag auf der Bärenhaut lägen und nichts thäten, als vor dem Spiegel stehen und sich den Schnurrbart drehen, mit dem Lorgnon im Auge Fensterpromenade machen, spielen, tanzen, spazieren reiten und Liebeleien anknüpfen. Das solle aber anders werden. Sobald ihr ein solcher Herr Thunichtgut unter die Augen käme, wolle sie ihm den Kopf zurecht setzen und ihn hinter die Bücher stecken. Freilich, viel G’scheidt’s würden sie nicht mehr lernen, aber sie sollten sich wenigstens wie ernste Männer benehmen und nicht der Jugend ein schlecht Exempel geben. Ihre Kinder – ein Paar allerliebster Jungen mit großen, verständigen Augen – wolle sie anders erziehen. Deren Schwestern und Frauen würden sich ihrer nicht zu schämen haben, wenn die Herren Preußen wieder einmal ins Land kämen.

Aehnliche Ansichten, wenn auch nicht mit der gleichen sittlichen Wärme vorgetragen, habe ich in Oesterreich vielfach von Frauen aller Stände vernommen. Und da alle Erziehung schließlich doch wesentlich in den Händen der Frauen liegt, so läßt sich nach einem Menschenalter in der That etwas von Deutsch-Oesterreich erwarten.

Der Abschied von diesem gastlichen, gebildeten Hause wurde uns ordentlich schwer. Als ich drei Wochen später abermals nach Brünn kam, war mein erster Gang wieder zu meinen freundlichen Wirthen. Ich traf sie bei Tische, den ein eben beförderter Officier mit ihnen theilte, ein ingrimmiger Feind alles Nicht-Preußischen. Er führte die Unterhaltung ganz allein und berührte zu meinem Leidwesen Themata, deren Besprechung nicht wohlthuend wirken konnte. Er fällte in den kräftigsten Ausdrücken absprechende Urtheile über den Kaiser, über den Katholicismus, hielt einen kleinen Vortrag über die Jungfrau Maria und begriff nicht, wie es Menschen geben könne, die solchem Unsinn noch anhingen. Verschiedene Versuche meinerseits, abzulenken, gelangen nicht. Ich sah das Ungewitter heraufziehen. Die Dame erhob sich plötzlich und sagte ganz kurz:

„Mein Herr, in dem Unglück, das uns betroffen, war es mir bisher eine große Freude, unter den Ihrigen Männer zu finden, deren Gespräch uns aufrichtete, deren Benehmen uns ein Vorbild zur Nachahmung war. Bei der Verschiedenheit unserer Ansichten muß ich zu meinem Bedauern für heute auf das Vergnügen eines solchen Zusammenlebens verzichten. Zu welcher Stunde befehlen Sie Ihr Nachtmahl?“

Der Redner stand verdutzt auf, machte eine tiefe Verbeugung und verließ das Zimmer, ohne ein Wort zu sagen.

„Es giebt also Ausnahmen,“ wandte sie sich heftig an mich. „Es mußte ja Ausnahmen geben! Das müßte mich als gute Kaiserliche eigentlich freuen! Doch geschwind von etwas Anderem; erzählen Sie, was Sie vor Wien erlebt, wir wollen uns die Stimmung nicht verderben.“ Dabei lachte sie vergnügt, ließ meinen Versuch, etwas zur Begütigung zu sagen, gar nicht aufkommen, und bald war in lebhaftem Gespräch das kurze tragikomische Intermezzo vergessen.

Abends sah ich sie in größerer Gesellschaft im Augarten.

„Es ist Alles wieder gut,“ rief sie mir lachend zu. „Er hat höflich Abbitte gethan und ist kein garstiger Mensch. Aber heute muß er zur Strafe allein speisen.“




Hinter der Mainlinie.
Kosmopolitische Weltfahrten und Erinnerungen.
3. Zwischen Rhein und Taunus.


Ich stand auf dem Verdeck des kleinen Rheindampfers, der allstündlich zwischen Mainz und Biebrich hin- und herfliegt. Da sah ich aus dem Thore des gegenüberliegenden Castel eine Menge Soldaten in hellen Haufen hervorquellen und die lange Schiffbrücke daherkommen, ohne daß die zur Seite gedrängten Zöllner daran dachten, sie aufzuhalten und einem von ihnen die üblichen zwei Kreuzer Brückengeld abzufordern. Es waren die Cadres des ehemals nassauischen zweiten Infanterie-Regiments, die nur nach Mainz gingen, um hier in preußische Uniformen gesteckt zu werden. An ihrer Spitze schritten preußische und in deren Mitte nassauische Officiere. Diese trugen noch ihre österreichischen Käppis mit vorn überfallenden Roßschweifen, während die Helme jener in der Mittagssonne blitzten. Die Mannschaften stampften mit dumpfem Marschtritt einher, ohne viel rechts oder links zu blicken, und ohne daß man auf ihren schlichten, meist vollen Gesichtern eine Bewegung hätte lesen können, aber das zusammengeströmte Volk, welches zu Seiten und am Ende der Brücke Spalier bildete, empfing sie mit lauten und leisen Bemerkungen.

„Arme Leute!“ sagte neben mir ein feiner, schlanker Jüngling. „Die müssen jetzt auch Commißbrod essen und sich mit einer warmen Mahlzeit täglich begnügen lernen. Die werden sich vergebens nach unsern Fleischtöpfen zurücksehnen und den Leibriemen fester anziehen müssen, damit ihnen nicht mit dem Heimweh auch der Magen davonläuft.“

„Nun,“ entgegnete ihm ein blonder Schnurrbart, der in Haltung und Mienen erkennen ließ, daß er den bunten Rock noch nicht lange ausgezogen. „Nun, darin haben sie schon etwas Uebung. Es sind meine Cameraden,“ fuhr er fort, „ich war als Reservist eingezogen und bin erst kürzlich entlassen. Als wir im Odenwald herumirrten, haben wir Fasten und Hunger brav studirt, wenn es auch gerade nicht Freitags war.“

„Und der Herzog?“ fragte ein Dritter.

„O“ der hat Strapazen und Fasten mit uns redlich getheilt. Von allen regierenden Herren war er der Einzige, der sich bei den Bundestruppen sehen ließ, und er hielt bei seinen Leuten bis an’s Ende aus. Was wahr ist, muß wahr bleiben; unser Herzog war ein so guter Soldat, wie irgend einer von den preußischen Prinzen. Und wenn er auch seine Fehler hatte, ich lasse doch nichts auf ihn kommen, denn er war mein Landesherr, im Feldzug mein General, und er hat mir das Leben gerettet.“

Das Weitere konnte ich nicht mehr vernehmen, das an der Brücke liegende Boot löste die Taue und dampfte gen Biebrich, wo wir nach einer Viertelstunde anlangten.

Unmittelbar am alten grünen Rheinstrom erhebt sich im Renaissancestil das großartige Schloß, in welchem der Herzog während des Sommers zu wohnen pflegte. Hier hatte er die letzten Wochen seiner Herrschaft verlebt und von hier aus am 16. Juli das Manifest erlassen, darin er von seinem Volke Abschied nimmt, indem er, um nicht gleich seinem Verbündeten, dem Kurfürsten von Hessen, in Kriegsgefangenschaft zu gerathen, sich zur Armee begebe, und eine baldige frohe Wiederkunft verheißt. Diese Hoffnung hat ihn wie Andere getrogen und er sitzt jetzt traurig und nur in Gesellschaft weniger Getreuer, die sein Exil mit ihm theilen, auf dem kurhessischen Schlosse Rumpenheim. Schon am andern Tage (17. Juli) erschien die Proclamation des preußischen Generals Vogel v. Falkenstein, welche die Occupation des Herzogthums Nassau aussprach und die ich noch jetzt an einigen Straßenecken sah; daneben das Einverleibungsdecret in die preußische Monarchie vom 3. October. In der am obern Ende der Stadt befindlichen, gleichfalls schönen und großartigen, aus rothen Backsteinen erbauten Caserne, wo sonst die Garde des Herzogs, die dunkeluniformirten Jäger, lagen, hatte sich eben ein Bataillon vom sechsundachtzigsten preußischen Linienregiment einquartiert, aber die davor schildernden Posten blickten so ruhig und sicher, als ob sie in ihrer fernen Heimath an der Oder oder Weichsel ständen.

Nur auf dem aus der Mitte des Schlosses aufsteigenden Rundbau wehte noch immer die ehemalige Landesfahne, orange mit blauer Einfassung. Nach der Abreise ihres Gemahls war die Herzogin Adelheid mit den Kindern hier zurückgeblieben. Die ihr von den Preußen angebotene Ehrenwache hatte sie mit den bitteren Worten zurückgewiesen: „Wenn sie die Anwesenheit der Eroberer auch ertragen müsse, so wolle sie doch wenigstens in ihrem Hause sich solche verbeten haben.“ Augenblicklich verweilte sie mit den beiden jüngsten Kindern auf dem Lustschlosse Königstein im Taunus, doch für die nächsten Tage wurde ihre Herkunft erwartet, indem sie hier den Winter zu verleben gedenkt, und schon

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_768.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)