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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 49.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Auferstanden.
Von Paul Heyse.


In den südlichen Abhängen der Tiroler Berge, in die der Gardasee tief hineintritt, liegt ein altes Felsenschlößchen, kühn an die schroffe Bergwand geklebt, wie ein Mövennest an eine vorspringende Klippe, und so günstig gerade an die Stelle gebaut, wo die Thalschlucht eine Biegung macht und sich verengt, daß eine Handvoll entschlossener Leute mit einigen sicheren Geschützen auch heute noch wohl im Stande wäre, einem von Süden heranziehenden Corps den Paß zu verlegen. Auch tragen die alten bezinnten Umfassungsmauern, die in beträchtlicher Höhe vieleckig aufsteigen, vernarbte Spuren erbitterter Kämpfe, die freilich in der Erinnerung des Landvolkes längst erloschen sind. Nicht einmal der Name des alten Baronengeschlechts, das ehemals hier haus’te, hat sich erhalten. Wer nachfragt in einer der Steinhütten, die sparsam das Thal hinunter zerstreut unter Kastanien- und Nußbäumen liegen – auch Wein und Oel gedeiht an den Südabhängen tiefer zum See hinab – der erfährt nur, daß das einsame Schlößchen droben „das Castell“ genannt werde und einem Marchese gehöre, dessen Namen man nicht kenne, wenigstens nicht kannte in den ersten fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts, in denen sich zutrug, was ich erzählen will. Damals war, wie Jeder weiß, die Lombardei, in deren geographisches Gebiet dieses Thal schon hinabreicht, noch österreichische Provinz und Wenige ließen sich träumen, wie bald diese Perle aus der Krone des Hauses Habsburg herausgebrochen werden sollte. Dennoch sah es gerade in diesen Grenzbezirken mit der Verbrüderung oder gar Verschmelzung der Nachbarstämme übel aus. Ungastliches Mißtrauen war das Glimpflichste, dessen ein deutscher Wanderer in diesen Thälern von dem Landvolk sich zu versehen hatte. Und kein Jahr verging ohne irgend eine geräuschlos blutige That der Tücke und Feindschaft, deren Urheber zu erreichen der Arm der k. k. Justiz meistentheils zu kurz war.

Aus diesem Grunde wollte es zwischen den beiden Männern, die eines schönen Augustnachmittags den verfallnen Fuhrweg zum Castell heranklommen, zu keiner sehr ersprießlichen Unterhaltung kommen. Zwar hatte der stattliche junge Deutsche, dem der welsche Bauernbursche als Führer und Träger diente, die österreichische Hauptmannsuniform wohlweislich in Riva mit einem leichten bürgerlichen Habit und das Käppi mit einem breiten Strohhut vertauscht und sprach überdies die Landessprache so fließend, als sei er mit Wasser aus dem Gardasee getauft worden. Aber in Gang und Haltung konnte er dennoch den kaiserlichen Officier nicht verleugnen, und gerade die Civilkleidung schien seinem verdrossenen Begleiter geheime Absichten zu verrathen, die ihn noch einsilbiger machten. Er gab wenig mehr von sich, als was der junge Reisende schon wußte, daß droben im Castell ein gewisser Marchese wohne, der schon seit drei Jahren ganz menschenfeindlich mit geringer Dienerschaft dort sein Wesen treibe, Niemand bei sich sehe, als alle Sonn- und Feiertage seinen alten Beichtvater aus dem Capuzinerkloster droben im Gebirg, der dann hinabsteige, um in der Capelle des Castells die Messe zu lesen, und daß die Straße, die sie jetzt wanderten, nur von Zeit zu Zeit von einem Ochsenwagen befahren werde, der Mundvorrath für Wochen und Monate hinaufschaffe. Der Reisende forschte nach der Gemüthsart des Marchese, ob er mildthätig sei, wie er seine Diener behandle und dergleichen, erfuhr aber nur, daß er das Wild, das er auf seinen Streifzügen im Gebirg zu schießen pflege, großen Theils an die Bauern schenke, übrigens selten mit einem Begegnenden ein Wort wechsle. Er selbst, der Erzähler, wollte ihn noch nie gesehen haben.

Damit verstummte die Zwiesprach zwischen den Beiden, und der junge Mann schritt gedankenvoll in den tief ausgefahrenen Geleisen bergan, noch einmal Alles bei sich bedenkend, was er zu thun und zu sagen sich vorgenommen hatte. So jung er war, hatte er es oft genug bewiesen, daß es ihm an Muth und männlicher Entschlossenheit nicht gebrach. Und doch konnte er sich, je näher das Ziel seiner Wanderung rückte, einer unbehaglichen Spannung und Aufregung nicht erwehren. Gar zu unheimlich sah das Castell von der Höhe des Weges herab, die wenigen Fenster mit Läden dicht verschlossen, der eine Thurm an der Seite mit seinen Zinnen hoch hineingewachsen in einen breitästigen Kastanienbaum, durch dessen Zweige er argwöhnisch ins Land hinauszulugen schien, und was den seltsamsten Eindruck machte: aus beiden Seiten neben dem Hauptthore, zu dem die alte Zugbrücke steil hinanlief, standen je drei uralte Cypressenbäumchen, an der Windseite kahl und auch sonst struppig genug, die dem fensterlosen Mauerhaufen das Ansehen eines verwitterten Mausoleums gaben und jeden Lebendigen von dieser Schwelle wegzuweisen schienen.

Als nun endlich die letzte Steile erklommen war, dämmerte es bereits und die Nachtvögel fingen an, die Zinnen zu umkreisen. Der Fremde warf die Cigarre weg, die ihm längst ausgegangen war, und that einige kräftige Schläge an der festgefugten Hofthür, die er zweimal wiederholen mußte, ehe im Innern sich etwas zu regen begann. Ein hölzerner Fensterladen vor einer Art Schießscharte neben dem Thor ward geöffnet und ein Kopf kam zum Vorschein, der wenig einladend die späten Besucher angrins’te. Das Gesicht war noch jung, aber durch die Verheerungen der Blattern sehr entstellt, dazu fehlte das eine Auge und ein dicker Büschel schwarzer Haare hing über die von Entzündung geröthete

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_761.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)