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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

an die Seitenwand der Höhle und versperrt so die Thür. Nur offenbare und unwiderstehliche Gewalt vermag die Spinne aus ihrem Hause zu vertreiben, das sie auf das Tapferste zu vertheidigen pflegt. Man kann die Erde unter ihrem Loche ausgraben und das ganze Nest forttragen, ohne daß das Thier es verläßt; auf diese Weise hat man einzelne Exemplare dieser höchst merkwürdigen Bauten aus der Erde ausgehoben und genauerer Beobachtung unterworfen.

Eine vorzügliche Baukünstlerin ist eine in Südaustralien lebende Art von Röhren-Spinnen. Ihre Höhle ist so gleichmäßig rund und glatt, als wäre sie auf einer Töpferdrehschreibe ausgerundet; ihre Thür ein regelmäßiges Halbrund mit einer bis über die Mitte der Oeffnung reichenden Angel. Um den Eingang zu verbergen, ist die ganze Thür ebenso wie die Erde umher mit kleinen Erhöhungen bedeckt, so daß es fast unmöglich wird, die Fugen des Eingangs ausfindig zu machen. Auch die Gestalt der Thür ist merkwürdig. Nach der Angel zu ist sie verhältnißmäßig dünn, auf der anderen Seite dick, solid und schwer, so daß schon ihr eigenes Gewicht genügt, einen festen Verschluß zu sichern. Die Angel selbst ist kein besonderer Theil des Baues, sondern nur eine Fortsetzung der seidenen Röhre, welche die Höhle ausfüttert.

Sehr viele Insecten bauen sich zu gewissen Perioden ihres Lebens in Holz, Sandstein, Erde, in Blätter und Stengel, in Früchte und Blüthen verschiedener Pflanzen ein. So u. v. a. mehrere der bei uns heimischen Ameisenarten, die zum Theil sich sehr umfängliche und verwickelte unterirdische Wohnungen anlegen. Von allen hierher zu zählenden Insecten aber erreicht wohl keines die Baukunst unserer gemeinen Wespe. Jedenfalls ist keiner unserer Leser, der nicht schon ein Wespennest gesehen hätte, aber nur wenige dürften Gelegenheit gehabt haben, dessen Entstehung zu verfolgen.

In den ersten Tagen des Frühlings verläßt die Wespe den Ort, wo sie den Winter verbracht hat, und recognoscirt eifrig die Gegend. Sie fliegt weder hoch noch schnell, sondern gleitet langsam und sorgfältig umher, prüft jeden Erdhang und kriecht in jede Spalte, an der sie vorüberkomme. Endlich findet sie ein Loch, das eine Feldmaus gebohrt hat, oder trifft vielleicht auf die verlassene Höhle eines größern erdbauenden Insects, schlüpft hinein, bleibt eine Weile darin, kommt wieder heraus, schwärmt außen darum herum, geht wieder hinein und scheint ihren Entschluß zu fassen. Sie befindet sich in der That auf der Wohnungsjagd und alle ihre Bewegungen, ihr ganzes Gebahren ähneln sehr dem einer sorgenden Hausmutter, die sich eine neue Wohnung aussucht. Hat sie endlich einen passenden Platz erspäht, so beginnt sie, in einiger Tiefe von der Oberfläche, eine Kammer zu bauen, indem sie den Boden ausbricht und ihn Stück für Stück hinausschafft. Wenn sie derart ein Zimmer nach ihrem Geschmack angelegt hat, fliegt sie davon und begiebt sich nach irgend einem ihr bekannten alten Zaune, der, wenn auch noch nicht verfallen, doch vollkommen dürr und mürbe ist. Auf ihn läßt sie sich nieder und nagt, mit aller Anstrengung ihrer Kräfte arbeitend, die Holzfasern heraus, bis sie ein kleines Bündel davon zusammengebracht hat, das sie mit unsäglicher Mühe zu einer Art von breiähnlicher Masse zerkaut und zusammenknetet. Mit dieser fliegt sie nach ihrem Loche zurück. Und so geht es fort, bis sie von dem Präparat, das, durch eine leimartige Flüssigkeit zusammengeklebt, dem Papiermaché zu vergleichen ist, soviel besitzt, um damit sich an die Auskleidung ihrer Wohnung machen zu können. Dies geschieht nun folgendermaßen. Zuerst wird das Dach ihrer Kammer ausgefüttert, denn die Wespe baut stets von oben nach unten, dann formt sie die Breikugel, die sie aus den Fasern gebildet hat, zu einem Blatte, marschirt rückwärts und walzt es mit ihren Kiefern, ihrer Zunge und ihren Füßen so lange breit, bis es fast so dünn wie Seidenpapier geworden ist. Ein einziges Blatt dieses Papiers würde indeß nur eine sehr gebrechliche und vergängliche Wandverkleidung liefern, welche die Erde nicht vom Herabfallen in das Nest abhalten könnte. Demgemäß ruht das Thier nicht eher, als bis es fünfzehn oder sechszehn Lagen übereinander angebracht und damit die Wand beinahe zwei Zoll dick gemacht hat. Die einzelnen Lagen sind aber nicht mit einander in Berührung gebracht, wie z. B. die verschiedenen Schichten der Pappe, sondern zwischen jeder Lage befinden sich kleine Zwischenräume.

Sobald endlich die Wandverkleidung fertig ist nimmt der Bau der Stadt selbst seinen Anfang, die aus mehreren über einander hängenden Terrassen besteht. Die Biene fügt ihre Waben senkrecht aneinander, die Wespe hängt sie horizontal nebeneinander auf und in einer viel leichteren und eleganteren Weise, als die Bienenwaben aneinander gefügt sind. Jede Terrasse ist wirklich eine schwebende Etage, die mit zwölf bis dreißig etwa einen Zoll langen und einen Viertel Zoll im Durchmesser haltenden Stäbchen aus demselben Material wie das Dach befestigt wird. Jedes Stäbchen hat eine sehr gefällige Form, in der Mitte sich verjüngend, nach oben und unten breiter werdend, jedenfalls um die Tragkraft zu erhöhen, und die Terrasse selbst ist kreisrund und besteht aus einer ungeheuren Anzahl von Zellen, welche aus dem beschriebenen Papiere zusammengesetzt sind und in Gestalt und Größe den Bienenzellen gleich kommen; jede ist ein mathematisch genaues Sechseck und nirgends nur eine Haarbreite unausgefüllten Zwischenraumes. Diese Zellen dienen indeß nicht als Honigtöpfe, wie bei den Bienen, denn, mit Ausnahme einiger ausländischen Arten, bereitet die Wespe keinen Honig, sondern lediglich dem Aufziehen der Brut. Sämmtliche Zellen öffnen sich nach unten, während ihr gemeinschaftlicher Boden eine ebene Fläche herstellt, auf der sich die Insassen der einzelnen Zellen ergehen können. Sobald eine junge Wespe aus ihrer Wiege ausgeflogen ist, wird die Zelle unverweilt gereinigt und dann sofort ein neues Ei hineingelegt. Jetzt hilft die junge Generation thätig beim Weiterausbau des Hauses mit. Neue Terrassen entstehen, die durch Säulen mit den obern zusammenhängen, die Außenwände werden erweitert und Ausgangs des Sommers sind meist zwölf bis fünfzehn verschiedene Zellenetagen vollendet. Die zuletzt gebauten Zellen sind größer als die früher hergestellten; sie sind zum Aufziehen der männlichen und weiblichen Wespen bestimmt. In allen den vorher construirten Zellen nämlich waren nur geschlechtslose Thiere enthalten, welche die eigentlichen Arbeiter sind, während die Männchen, wie im Bienenstocke, sich mit dergleichen niederen Beschäftigungen nicht abgeben. Jede Etage umschließt über tausend Zellen, so daß sich in einem Wespenneste mehr als fünfzehntausend einzelne Zellen befinden. Réaumur hat berechnet, daß ein einziges Nest im Jahre mehr als dreißigtausend Wespen hervorbringt, nur zu tausend Zellen angenommen, von denen jede nach und nach drei Generationen großzieht. Wenn der Winter hereinbricht, ist gar oft der so erfinderisch ersonnene und so kunstvoll ausgeführte Bau noch nicht durchaus vollendet, dient aber jetzt nur noch, um einigen halberstarrten Weibchen Quartier zu geben. Doch auch sie verlassen ihn im nächsten Frühjahr, um nie dahin zurückzukehren; denn niemals wird ein Wespennest öfter als einen einzigen Sommer benutzt.

Soviel von den Bergleuten und Ingenieuren der Thierwelt; in einem zweiten Aufsatze wollen wir von einigen der Thiere erzählen, die, nicht Höhlenbauer, sich entweder in über der Erde hängenden Behausungen ansiedeln oder, und zwar aus den mannigfaltigsten Stoffen, das bauen, was wir im gewöhnlichen Sinn mit dem Worte „Nest“ bezeichnen.




Blätter und Blüthen.


Heine’s Krankheit. Maximilian Heine, Heinrich Heine’s Bruder, dem die Gartenlaube bereits verschiedene Erinnerungen an den großen Dichter verdankt, macht über die Krankheit desselben, die so viel besprochen und so viel beschrieben worden ist, die nachstehenden interessanten Mittheilungen:

„Ich habe die feste Ueberzeugung, und Heinrich starb auch mit derselben, daß Paris und die Behandlung der früheren französischen Aerzte sein Leben um viele Jahre verkürzt haben. Heinrich Heine’s zarter Organismus, ein Gehirn- und Nervensystem, das in steter Vibration sich befand, das durch das leiseste Geräusch, Klopfen, Clavierspielen, ja Vogelzwitschern auf das Schmerzhafteste aufgeregt wurde, eine so reizbare, sensitive Natur wurde allezeit mit den schwächendsten Mitteln mißhandelt. Die Herrschaft des damals in Frankreich sehr verbreiteten Systems von Brousson hatte seine verderblichen Folgen.

Aderlässe, Blutegel, Abführungen und dergleichen schwächende Mittel genügten, den Zustand des außerdem noch von täglicher Migraine geplagten Kranken trostlos zu machen. Fern von der lebenzehrenden Residenz Paris, in den Händen eines hippokratisch gebildeten deutschen Arztes, hätten wir den großen Dichter länger behalten. Zuletzt war alle Behandlung nur palliativ geworden; immerfort Opiate zur Bekämpfung und Erleichterung der Krämpfe und Kolikschmerzen. Und dennoch hat sich in diesem von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_759.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)