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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

und Geißbuben bewegt, würzige Heudüfte und harziges Waldesarom alle die halb und ganz ausrangirten süßen Kunstgerüche verdrängen, die aus der Salonatmosphäre sich auch in diese urgesunde Naturluft zu mischen wagen und wo veritabele Heerdenglocken Wagner’s reizenden Schalmeiengruß (genussesseligen Tannhäuser Andenkens) begleiten, den die Curcapelle herunterpotpourit. Nun! Dieser elegante, frequente Badeort empfängt sein 30° Réaum. warmes Wasser aus den heißen Quellen, welche in der Tiefe einer orcusähnlichen Schlucht hinter dem Pfäfferser Bade entspringen. Das hochromantische Taminathal und die längs dem brausenden Bergstrom geführte eine Stunde lange Kunststraße (letztere in den Jahren 1838 und 1839 erbaut) verbinden beide Punkte und vermitteln die Wasserleitung. Ich verweise schon jetzt auf die beikommende Abbildung, um denjenigen Lesern, die mit der unheimlichen Localität nicht bekannt sind, einigen Begriff von derselben zu geben. Hoch wie die Hallen einer Kirche wölben sich die schwarzen Marmorwände der Schlucht empor, nur durch einen schmalen Streifen das Tageslicht von oben einlassend. Unten in der Tiefe, die ganze Breite der Schluchtsohle ausfüllend, tobt und schäumt über Felsenblöcke die weißgraue, gletscherentsprossene Tamina und längs der einen Wand führt, wie unser Bild zeigt, jetzt ein Langsteg vom klosterartigen Badegebäude etwa fünfhundert Schritt in den Hintergrund dieser Schlucht zu den heißen Quellen. Ehe jedoch der schwindelnde Weg durch das Taminathal von dem Bade Ragatznach dem Bade Pfäffers dem Felsen abgerungen und dieser Langsteg in die eigentliche Quellenschlucht erbaut war, gab es Jahrhunderte lang keinen anderen Zugang zu derselben, als der luftige, mittels eines Korbes an einem Seile schwebend hinabgelassen zu werden. Und so wurden die Gicht- und Gliederkranken, welche sich entschlossen hier Linderung ihrer Leiden zu suchen, Jahrhunderte lang an einem Seil in den nächtlichen Abgrund hinabgelassen, ihnen Speise und Trank für einige Tage mitgegeben und geduldig krochen sie dann entkleidet in die großen Tümpel heißen Wassers hinein und blieben in denselben, so behaglich als die Umgebung es eben gestatten mochte, sitzen, bis man sie wieder an’s Tageslicht der Oberwelt heraufzog. Da nun die Quelle wirklich Wunder wirkte und auch hohe geistliche und weltliche Sünder hier Genesung suchten, so ließ der Abt Johann der Zweite von Mendelbüren um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts in der Schlucht selbst ein hölzernes über der Tamina schwebendes Curhaus mit Zimmern, Badewannen und Lagerstätten erbauen, von welchem Gebäude man heutigen Tages noch in den Felsenwänden die ausgemeißelten Löcher erblickt, in welche die tragenden Balken eingelassen waren. Aber auch zu dieser vervollkommneten Einrichtung gab es noch kein anderes Mittel zu gelangen als das Seil. Endlich um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts wurde ähnlich der jetzigen Einrichtung eine schwebende Brücke etablirt, welche die Luftfahrt aufhob. Da wurden aber zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts die alten auf Querbalken ruhenden Häuser durch die fortwährenden feuchten Imprägnationen baufällig, Eismassen und Felsentrümmer, welche auf dieselben allfrühjährlich hernieder hagelten, beschädigten ebenfalls Dachung und Wände, und als im December 1629 mehrere Familien vor der damals grassirenden Pest sich hierher geflüchtet hatten, fing das Haus eines Tages Feuer und brannte bis auf den letzten Stumpfen ab. Solch eine Feuermasse in diesen schwarzen Hallen muß einen infernalischen Effect hervorgebracht haben. Noch heute pflegen Reisende, die Freunde der Schauer-Romantik sind, den Führer[1] zu veranlassen, statt der kleinen Laterne (für den Stollen zur Quelle) eine kräftige Fackel mitzunehmen, um unter dem rothen Colorit dieser Beleuchtung das Unheimliche der großartigen Umgebung zu erhöhen. Unser Künstler hat eine solche Fackelbeleuchtung auch zu unserer Illustration benutzt.

Unsere Leser erinnern sich, daß die drei Damen nicht in der Taminaschlucht, sondern in dem wohl eine Stunde langen Taminathal, auf dem sehr ebenen, genügend breiten Fahrweg verunglückt sind. Die Damen hatten die Schauer der Schreckensschlucht überwunden und den Rückweg nach Ragatz mit dem leichten Wägelchen, wie solche seit wohl dreißig Jahren die sehr lebhafte Communication zwischen Bad Pfäffers und Ragatz vermitteln, nicht nur angetreten, sondern fast beendet, als der Seitensprung eines scheuenden Pferdes den entscheidenden Schicksalsaugenblick herbeiführte und die drei Damen in die Schlucht hinabschleuderte.




Eine Werkstatt der Zeitgeschichte.


Die Journalistik leistet in unserer Zeit so Bedeutendes in Bezug auf Schnelligkeit in der Vermittelung der neuen und neuesten Nachrichten aus allen Weltgegenden, daß das Staunen des Laien nur zu gerechtfertigt erscheint, und der Reisende, welcher nicht gewohnt ist, nur mit dem „Bädeker“ in der Hand Station um Station an sich vorüberfliegen zu lassen, wird gewiß die Gelegenheit nicht versäumen, diejenigen Einrichtungen einer Zeitung in Augenschein zu nehmen, welche ihm den Genuß verschaffen, sich über Alles, was in der Welt Wichtiges vorgeht, tagtäglich zu unterrichten.

Wohl viele Leser der Gartenlaube haben noch nicht Gelegenheit gehabt, sich genauer von dem Getriebe zu unterrichten, durch welches die Herstellung eines politischen Tageblattes bedingt wird; ich glaube ihnen daher einen Dienst zu erweisen, wenn ich im Nachstehenden versuche, ihnen einen Einblick in diesen complicirten Mechanismus zu verschaffen, und dazu eine Darstellung von dem Geschäftsgang der Kölnischen Zeitung wähle, welche als eines der durch Einfluß und Umfang bedeutendsten unserer jetzigen politischen Organe auf das allgemeinste Interesse Anspruch hat.

Schon bei meiner Ankunft in Köln machte mich der Lohndiener meines Hotels auf das in der Breitestraße Nummer 76 und 78 gelegene große Gebäude aufmerksam, welches durch seine im Giebelfelde in großen Goldbuchstaben angebrachte Aufschrift: „Expedition der Kölnischen Zeitung“ seine Bestimmung andeutet. Am nächstfolgenden Tage ließ ich mich zum Zwecke der Besichtigung dieses Institutes wieder dorthin führen, trat durch ein geräumiges Vorhaus in das für den Portier bestimmte Zimmer und ersuchte denselben, mich bei dem Chef des Hauses zu melden. Schon die Einrichtung dieser Pförtnerstube zeugte von dem Geiste größter Ordnung und Pünktlichkeit, der das ganze Etablissement kennzeichnet. Ein Sprachrohr geht von dem Zimmer über die lange, den Garten des Hauses begrenzende Mauer bis in das Zimmer des Factors im Hintergebäude, um den geschäftlichen Verkehr zwischen dem im Vorderhause gelegenen Comptoir und der ziemlich entfernt von demselben befindlichen Druckerei abzukürzen. Eine an der Wand hängende gedruckte Tabelle enthält die Namen und Wohnungen der Zeitungsträger und -Trägerinnen, damit in Fällen, welche deren schnelles Zusammenrufen bedingen, wie bei dem Druck von Extrablättern, durch Nachfragen keine Minute Zeitverlust entsteht. Während der Nachtzeit schläft der Hausknecht im Zimmer des Portiers, doch ist der arme Schläfer wegen seiner Nachtruhe wenig beneidenswerth, da ihn die große Hausglocke gar manchmal aus den süßesten Träumen aufschreckt, besonders in politisch bewegteren Zeiten, in denen der elektrische Draht unaufhörlich Depeschen bringt.

Nach der bei dem Chef des Hauses eingeholten und von demselben in freundlichster Weise ertheilten Erlaubniß zur genauen Besichtigung des Etablissements, führte mich der Portier über einen langen, gepflasterten Hof in die Druckerei, woselbst der Factor es in zuvorkommenster Weise übernahm, auf meinem Rundgang mein Cicerone zu sein.

Ueber einen langen, mit Wachsteppichen belegten Corridor schreitend, begaben wir uns, um die Entstehungsweise der Zeitung systematisch, von ihren ersten Anfängen an, zu verfolgen, zunächst in das Redactionszimmer, hier weniger das innere Wesen einer Zeitungsredaction – darüber denken wir vielleicht später unsere Leser zu unterhalten – als vielmehr die äußere Thätigkeit derselben kennen zu lernen.

Es ist erst acht Uhr Morgens, aber schon sind die sämmtlichen Redacteure in voller Thätigkeit. Die französische und die

  1. Die Regierung des Cantons St. Gallen läßt, da der Staat Eigenthümer der Quellen und der Badegebäude ist, ein Eintrittsgeld von einem Franken von jedem Besucher erheben.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_752.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)