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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Doch ihr verleumdet euch. Ihr sprecht, ich weiß,

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Zu eurem Mann von mancherlei Problemen.

Der aber meint, sehr überflüssig sei’s,
Zu spintisiren. Aller unbequemen
Idee’n hab’ er sich selber längst entschlagen.
Er hat ja Geld. Soll er mit Geist sich plagen?

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Zu denken geb’ ihm sein Geschäft genug,

Er hasse gründlich die gelehrten Weiber.
Philosophie sei eitel Lug und Trug,
Geschichte? ein Gespenst der Zeitungsschreiber!
Er lobe sich, was jetzt an ihre Stelle

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Getreten, das Solide und Reelle.


Komm, küsse mich; kauf’ dir ein neues Kleid!
Heut Abend sollst du den ‚Propheten‘ hören. –
Spricht er nicht so? Und lernt ihr mit der Zeit
Nicht auch, den Trieb zum Ew’gen abzuschwören,

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Als unfruchtbar? Nur einer tiefern Seele

Bleibt das Gefühl, daß es am Besten fehle.

Vielleicht ist sie nicht schön mehr, nicht mehr jung,
Nicht eitel mehr, dafern sie’s je gewesen
(Auch weiße Raben giebt’s); Erinnerung

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Ist kein Roman, um sich in Schlaf zu lesen.

Vielleicht wollt’ ihr der Himmel nie bescheren
Das Glück, ein Kind an ihrer Brust zu nähren.

Vielleicht, so freundlich sie sie aufgeschmückt,
Stehn manche Kammern ihres Herzens leer.

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Mit Blumen, wie man sie auf Gräbern pflückt,

Bekränzt man keine Freudenfeste mehr.
Der Tag, der Flügel hat, so lang wir lieben,
Trägt Bleigewichte, wenn wir einsam blieben.

Die Hoffnung schwand, das Leben zu genießen,

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Der Drang erwacht, das Leben zu verstehn.

Nun, Freudenlose, willst du dich entschließen
Und bei den Weisen in die Lehre gehn?
Wie hart die Schulbank sei, du wirst’s erfahren,
Nach Sexta wandernd in ‚gewissen Jahren‘.

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Zwar bleibt ein andrer Weg. Versuch es dreist,

Was Schritt für Schritt zu steil ist, zu erfliegen.
Die Feder, wie bekannt, beschwingt den Geist
Und lehrt ihn, sich im luft’gen Nebel wiegen,
Daß Frauen schreiben, ist ein guter Brauch:

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’s ist eine Handarbeit wie andre auch.


Verzeiht den Scherz; schon widerruf’ ich ihn.
Verpönt sei das beliebte Naserümpfen,
Wenn ihr das Pfund benutzt, das euch verlieh’n,
Und Niemand rede mehr von blauen Strümpfen.

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Laßt lieber euch an jenen Wahlspruch mahnen:

Wir öffnen dem Talent die höchsten Bahnen.

Doch nur der Schweiß kann euch zu Meistern weih’n.
Kein Denker fällt vom Himmel, kein Poet;
Wollt ihr euch ernstlich in die Kette reih’n,

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Sorgt, daß ihr zeitig in die Schule geht,

In eine Schule, wo von allem Wissen
Nicht nur genascht wird, sondern angebissen.

Und nun, andächt’ge Hörerinnen, merkt,
Mein Credo ist: so wie man’s heute treibt,

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Wird nur die Schwäche des Geschlechts bestärkt;

Wir schmeicheln euch, daß ihr die Schwächern bleibt;
Und während wir euch knechten und verwöhnen,
Sollt ihr uns Männer ziehn aus unsern Söhnen!

Wie? lehrte man euch jemals, Ernst zu machen,

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Zu waffnen euren Geist zu Schutz und Trutz?

War’s nicht ein Spiel mit bunten Siebensachen,
Ein Trödelkram, ein loser Flitterputz,
Nur brauchbar, im Salon damit zu glänzen?
Hinweg mit diesen leichtverwelkten Kränzen!

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Was ihr auch lernt, schärf’ eures Geists Organe,

Und Plato’s hohem Fluge folgt ihr noch.
Erwacht aus jenem tausendjähr’gen Wahne,
Was ihr nicht spielend faßt, sei euch zu hoch.
Der Schaum des Lebens nur ist Lust und Lachen,

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Die Neige bittrer Ernst: lernt Ernst zu machen!


Und wär’ Gefahr, daß ihr im Wissensdrange
Vergeßt, wozu Natur das Weib erschuf?
Davor, ihr Zärtlichen, sei euch nicht bange;
Denkt jener Philosophin von Beruf,

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Die nie verlernt hat, Abälard zu lieben,

Obwohl sie sich latein’sche Briefe schrieben!

Nein, jene Ströme, die so labend fließen,
Drin sich Jahrtausende gespiegelt sehn,
Man soll sie nicht dem ‚schwächern Theil‘ verschließen,

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Weil ihre Wogen tief und reißend gehn.

Ich sage: Kommt! Ihr Alle seid geladen,
Vom Staub des Tagewerks euch rein zu baden.

Zwar dieser Ladung, Dank dem hochwohlweisen
Urväterzopf, folgt ihr für’s Erste schwerlich,

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Und ein Professor wird vielleicht beweisen,

Das Denken sei der Muttermilch gefährlich,
Es mache taub und blind und unfruchtbar
Und bringe gar die Kochkunst in Gefahr.

Dies Alles laß ich gern dahingestellt

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Und bin so frei, mein Theil davon zu denken.

Ich weiß, ’s ist etwas faul in dieser Welt;
Wohl mir, daß ich nicht kam, sie einzurenken.
Dies ist vielmehr die Pflicht des Herrn Professors;
Ich pred’ge hier und sage nur: Gott besser’s!

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Und nun zum Schluß, andächtige Gemeinde:

Friede sei zwischen uns! Was ihr auch denkt
Vom Denkenlernen, meine schönen Feinde,
Denkt nur nicht schlimm von mir; vielmehr bedenkt,
Ich bin vielleicht kein Seelenhirt für Damen,

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Doch euer Freund, und Gott versteht mich.0 Amen!




Deutscher Humor im Bilde.


Wer ist der gelesenste der jetzt lebenden deutschen Schriftsteller? Wir glauben, die Antwort kann dreist lauten: Fritz Reuter, obschon seine Dichtungen in das Bereich des Dialekts gehören und somit gewissermaßen kein Zunftrecht besitzen in unserer Nationalliteratur. Alle Welt kennt Fritz Reuter, den großen mecklenburger Humoristen, kennt die volksthümlichen, wir sagen nicht zu viel, unsterblichen Gestalten, die er geschaffen, wenn auch nicht Jedermann im Stande ist, sich selbst in die Schönheiten seines Plattdeutsch zu vertiefen. Die Freunde der Gartenlaube haben ihn überdies im Geleite Ludwig Walesrode’s in seinem romantischen Tusculum am Fuße der Wartburg heimgesucht, sie werden daher mit besonders freudigem Interesse ein Unternehmen begrüßen, das Reuter’s gelungenste Dichtungen und lebensfrischeste Figuren unsern Herzen noch näher bringen soll und sicher an jedem häuslichen Heerde, namentlich in Norddeutschland, als willkommenster Gast einsprechen wird.

Auf Veranlassung desselben deutschen Buchhändlers – C. Grote in Berlin – aus dessen Verlag das neulich von uns erwähnte „Album deutscher Kunst und Dichtung“ von Fr. Bodenstedt hervorgegangen ist, hat ein Düsseldorfer Künstler, F. Hiddemann, auch ein Bekannter unserer Leser, einen Cyklus meisterhafter Bilder zu Reuter’s Werken gezeichnet, die binnen Kurzem in trefflichen Holzschnitten dem Publicum vorliegen werden. Wir sind in den Stand gesetzt, auch mit diesem Album unsere Leser durch zwei dem ersten Hefte, den Illustrationen zu „Ut mine Stromtid“, entnommene Proben bekannt zu machen, in welchen sich das innige, liebevolle Versenken des Künstlers in den verdolmetschten Poeten auf das Erfreulichste kund giebt. Zugleich fühlen wir uns gedrungen, dem Bestreben des Verlegers, nach andererseits gemachten wenig gelungenen Versuchen Fritz Reuter einmal durch eine Reihe wirklich gediegener Illustrationen die gebührende Ehre zu erweisen, unsere wärmste Anerkennung zu zollen.

Reuter’s Hauptwerk sind bekanntlich die „Olle Camellen“, das ist „Alte Camillen“,[WS 1] womit der Dichter wahrscheinlich alte Erinnerungen bezeichnen will und von denen bisher sechs Bände erschienen sind. Der erste Band enthält die beiden lustigen Geschichten „Woans ick tau ’ne Fru kam“ und „Ut de Franzosentid“; der zweite die schon erwähnte Reminiscenz „Ut mine Festungstid“; der dritte bis fünfte „Ut mine Stromtid“; der sechste „Durchleuchtig“ ist Fritz Reuter’s erster großer Roman, und ganz in künstlerischer Objectivität gehalten.

„Ut mine Stromtid“, das heißt, aus der Zeit, da ich Landwirth war, weil man in Mecklenburg einen jungen angehenden Landwirth einen „Strömer“ nennt. Eigene Erlebnisse des

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „Alte Camelien“ (korrigiert nach der Berichtigung auf S. 760.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_723.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)