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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Doch weit gefehlt. Gleich in den ersten Sätzen
Macht er dem werthen Publicum bekannt,

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Er wisse diesen Trödel nicht zu schätzen,

Doch seine Frauen hätten mehr Verstand.
Im zwanzigsten Jahrhundert, wie man sehe,
Sei ihre Bildung auf der wahren Höhe.

Er habe zwar, Gott sei’s gedankt, nur drei,

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Und doch in diesen drei der Facultäten,

Da seine Fanny Doctor juris sei,
Nanny entdecke Sonnen und Planeten,
Die liebe Betty sei Prosectorin
Und just Magnificenz und Rectorin.

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Die Theologin fehle noch. Inzwischen

Ueb’ er sich selbst in christlicher Geduld
Und pfleg’ auch in die Wirthschaft sich zu mischen,
Denn, sehr natürlich, hinterm Schreibepult
Sei keine Zeit für niedre Interessen,

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Für einen Mann und für das Mittagessen.


Nun wiss’ er wohl, das sei des Fortschritts Segen,
Doch Maß zu halten ziem’ in allen Stücken.
Sein Doctor juris müßte – von Rechtswegen –
Ihm endlich doch den alten Schlafrock flicken,

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Die Anatomin an den Braten denken,

Nanny den Himmel ihm auf Erden schenken.

Fürwahr, nicht länger lass’ er mit sich spaßen,
Nachgrade geh’ es gar zu kunterbunt.
Ein Mann sei auch ein Mensch gewissermaßen,

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Und müss’ er länger leben wie ein Hund,

So hol’ der Henker – aber horch, sie kommen!
Muth jetzt! Kein Blatt mehr vor den Mund genommen!

Und sieh, es treten ein drei junge Frauen,
Die Feder hinterm Ohr, sonst ganz charmant,

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Die den Gemahl so obenhin beschauen,

Als wär’ er ihnen nur von fern bekannt.
Sie nehmen Platz am Tisch, und eine Jede
Hält eine zierliche Kathederrede.

Der gute Mann scheint selbst davon erbaut,

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Doch endlich mahnt Natur an ihre Rechte.

Ihr Theuren, fleht er mit gedämpftem Laut,
Wie wär’ es, wenn man jetzt die Suppe brächte?
Ich hungre wie ein Wolf und möcht’, indessen
Ihr weise Reden führt, zu Mittag essen.

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Dich hungert? spricht die Eine vorwurfsvoll:

Wann lernst du nur, dich von Idee’n zu nähren?
Nimm dir ein Vorbild, wie man leben soll,
Ein leuchtendes, an jenen Himmelssphären,
Die ruhelos um ihre Achse kreisen

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Und Aether nur und Sonnenstrahlen speisen.


Ich selbst, obwohl ich Nachts im Sterngefild
Die ganze Bahn des Uranus durchschritten,
Ich habe meinen Hunger nur gestillt
Mit ein’gen aufgewärmten Kegelschnitten

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Und zog mir heute früh zum Morgenschmaus

Zwei kleine Wurzeln dritten Grades aus.

Vergieb ihm, Schwester, redet sanft die Zweite;
Der Hunger auch gehorcht Naturgesetzen.
Der Chylus sehnt sich, daß er Blut bereite,

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Dynamisch will er Nahrungsstoff zersetzen,

Erneu’n den Trieb der feinen Lebenssäfte
Mit Hülfe der molecularen Kräfte.

Doch die vulgäre Sitte, sich zu mästen
Mit Fisch und Fleisch – wie roh und abgeschmackt!

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Ich geb’ euch heute einen Stoff zum Besten,

Den ich benannt „Vegetations-Extract“.
Seht hier, nur erbsengroß, leicht zu verdauen,
Woran wir sonst zwei volle Stunden kauen.

Ein Drittel Stickstoff, Kohlenstoff ein Drittel,

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Das dritte Drittel Hydropyrozon.

Komm, lieber Gatte, koste dieses Mittel! –
Und er: Nein, großen Dank! Vom Namen schon,
Vom bloßen Anblick fühl’ ich neue Kraft.
Da seht, welch ein Triumph der Wissenschaft!

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Rasch meinen Hut! Ich will ins Kaffeehaus.

Hier aber fehlt an meinem Rock ein Knopf.
Christel!! – Und Fanny sprach: Die Magd ging aus.
Wir kennen leider ihren harten Kopf;
Sie bleibt dabei, ich dürfe sie nicht strafen

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Nach des gemeinen Hausrechts Paragraphen.


Sie will sich nun ein Corpus juris leih’n;
Dort, faselt sie, sei allen Domestiken
Das Recht verbürgt, impertinent zu sein.
Drum kann sie den verlornen Knopf nicht flicken,

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Und magst du nicht die kleine Lücke leiden,

Rath’ ich, die andern auch vom Rock zu schneiden. –

Ein weiser Rath! Doch wenn du selber, Fanny – –
– Ich muß in’s Schwurgericht, um zu plaidiren! –
Du aber bleibst zu Hause, theure Nanny? –

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– Ich muß die Sonnenflecken observiren. –

Und du, Bettina, vielgeliebtes Wesen? –
– Verzeih’, ich habe jetzt Colleg zu lesen.

Und feierlich mit strengen Amtsgesichtern
Rauscht das gelahrte Kleeblatt aus der Thür.

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Der Gatte sieht sie scheiden, stumm und schüchtern,

Dann ruft er: Rache dieser Ungebühr!
Nicht länger will ich hungern, dürsten, frieren,
Auch ich – auch ich will mich emancipiren.

Noch heute rück’ ich ein in’s Tageblatt:

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Ein Mann von Bildung und von angenehmen

Manieren, der bereits drei Frauen hat,
Wünscht eiligst eine vierte Frau zu nehmen.
Die strengste Discretion ist Ehrenpflicht,
Auf Schönheit und Vermögen sieht er nicht.

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Ja, würd’ ein Kobold selbst ihm angetraut,

Doch wie die Engel lebten sie zusammen.
Auf Einem nur besteh’ er fest: die Braut
Müss’ aus dem vorigen Jahrhundert stammen
Und durch Atteste, die es klar bescheinigen,

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Sich vom Verdacht moderner Bildung reinigen.


Doch nähen soll sie, kochen, waschen, flicken,
Und in ein Buch – das Kochbuch nehm’ er aus
Und das Gesangbuch – nie und nimmer blicken,
Und Notabene: käm’ es je heraus,

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Daß sie die Schriften von P. H. gelesen,

Sei sie die längste Zeit sein Weib gewesen.

Mit dieser Nutzanwendung schloß das Spiel.
Applaus erscholl, Hervorruf wie gebührlich;
Ich, aller schadenfrohen Blicke Ziel,

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Rief, klatschte, lacht’ am hitzigsten natürlich.

Was sollt’ ich thun, gefangen in der Falle,
Meuchlings gefoppt, ich Einer gegen Alle?

Kein Spielverderber sein und Spaß verstehn!
Und so bedankt’ ich mich für „gnäd’ge Straf’“.

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Doch Eine sprach: Es wird uns schlimm ergehn.

Er schnellt den Pfeil zurück, der heut ihn traf,
Bringt unsre Schwächen in den Mund der Leute
Und schreibt ein Stück: „Die guten Frau’n von heute“.

Nein, meine Theuren, nichts von Aug’ um Auge

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Und Zahn um Zahn! Ich bin mir wohl bewußt,

Daß ich zum Molière dieser Zeit nicht tauge,
Und euch zu lästern spür’ ich keine Lust.
Auch lernt’ ich: blancas manos non offenden,
Die Wunden schmerzen nicht von schönen Händen.

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„So giebst du dich besiegt?“ – Für heute gern!

Den Kürzern zög’ ich doch in diesem Streite.
Im Carneval hält man den Ernst sich fern,
Die Lacher sind einmal auf eurer Seite.
Ich tisch’ ein andermal, als Fastengabe,

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In Versen auf, was ich zu sagen habe.


„Die Hand darauf?“ – O, warum schlug’ ich ein!
Nun wär’ ich des Gelübdes gern entledigt,
Denn wenig Gunst erwirbt sich insgemein,
Wär’ sie gereimt auch, eine Fastenpredigt,

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Dazu ein Text, von allen controversen

Der controverseste, und das in Versen!

Indeß, die Verse, wenn man’s recht bedenkt,
Sind noch ein Trost. Entschlüpft mir wider Willen
Ein Wort, das zarte Leserinnen kränkt,

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Versüßen Vers und Reim die innern Pillen.

Narkotisch wirkt die Poesie und lullt sie
In holden Traum ein. Utile cum dulci!

„Nur kein Latein mehr, Herr Poet. Du weißt,
Wir sind nur schlecht und recht fürs Haus erzogen.“ –

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Halt, meine Damen! Zwar, euch fehlt zumeist

Die Textkritik der echten Philologen,
Doch daß es an Gelehrsamkeit euch fehle,
Verleumdung ist’s, bei meiner armen Seele!

Euch drückt das Gegentheil: ihr lernt zu viel!

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Bedenkt, vier Sprachen plaudern oder lesen,

Geographie vom Nordpol bis zum Nil,
Geschichte von Aegyptern und Chinesen
Bis auf den letzten Mohikaner, jenen,
Um den ihr weintet süße Backfischthränen;

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Ein Abriß dann der Literargeschichte

Von Ulfilas bis Heine (exclusive),
Poetik auch (das Fräulein macht Gedichte),
Dogmatik (freilich nicht die apokryphe) –
Mich dünkt, ihr könnt bei so immensem Wissen

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Das bischen Griechisch und Latein wohl missen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_721.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)