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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ueber die Moralität des Turf und des Tattersall ließe sich ein langes Capitel schreiben. Doch wir haben dem Leser hinreichende Materialien geliefert, woraus er sich über diesen Punkt ein Urtheil bilden kann, und er mag selbst entscheiden, inwiefern die von dem echten Briten beanspruchte Superiorität des Tattersall vor einer „Spielhölle“ stichhaltig ist. Zum Schluß sei nur bemerkt, daß auch in England alle intelligenten Beobachter die Entartung des Instituts der Rennbahn in ein Institut der Schwindelei und des Hazardspiels beklagen und die Ausscheidung so vieler Mißbräuche von den anerkannten Vorzügen eines der merkwürdigsten Volksspiele befürworten.




Frauenemancipation.[1]
Eine Fastenpredigt von Paul Heyse.
Il est bien plus aysé d’accuser un sexe que d’excuser l’autre.0 Montaigne.


Im Winter war’s. Wir saßen eingeschneit,
Doch warm und wohlgemuth, am runden Tische,
Ein Häuflein guter Leute, buntgereiht,
Auch Frauenschönheit glänzt’ in Jugendfrische,

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Und doch, obwohl es nicht an Witz gebrach,

Flog auch einmal ein Engel durchs Gemach.

Ich, als der Wirth, der ungebetnen Gästen
Höflich die Thüre weis’t, that meine Pflicht
Und brach sogleich vom Zaun, dem ersten besten,

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Ein Thema, das man nie zu Ende spricht,

Den Engeln dieser Erde stets ein Grauen:
Das Thema der emancipirten Frauen.


Noch, dacht’ ich, darfst du diese Possen treiben,
Bis deine Töchter erst erwachsen sind

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Und jedes Wörtchen hinters Ohr sich schreiben,

Das der Papa hinplaudert in den Wind.
Heut, da sie noch in Kinderschuhen stecken,
Ist’s wohl erlaubt, die edlen Frau’n zu necken.

Doch ich bereut’ es bald. Thessaliens Damen,

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Die Orpheus, wie die Sage geht, zerfleischt,

Löwinnen, die um ihre Jungen kamen,
Bruthennen, wenn im Blau der Habicht kreischt
Umsonst versuchen wir in schwachen Bildern
Den Sturm empörter Weiblichkeit zu schildern!

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Denn, wie ein Wort das andre giebt, geschah’s

Auch dieses Mal, daß Ernst und Scherz sich mischten,
Daß jenem Sprühgewölk von Spott und Spaß
Auch Hagelkörner wohlgezielt entwischten.
Ein ernst Capitel ist die Pädagogik,

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Und unversehns bedient man sich der Logik.


Nun ist die Logik wie ein Schwert; sie spaltet
Harnisch und Helm im ernsten Männerstreit,
Doch wo der Schönheit mächt’ger Zauber waltet,
Stumpft ihre Schärfe schon ein flornes Kleid,

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Geschweig’ ein weißer Hals. Ich focht mit Ehren,

Doch hatt’ ich Noth mich meiner Haut zu wehren.

Umsonst parirt’ ich. Meinen Gegnerinnen
Galt für bewiesen: unsrer Mütter Ruhm,
Am stillen Heerd sich thätig einzuspinnen,

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Mir dünk’ er nur ein weißes Sclaventhum;

Sie sollten keck ihr Menschenrecht gebrauchen,
Lateinisch lernen und Cigarren rauchen.

Rauchen? Und warum nicht? In der Türkei
Raucht man im Harem statt der Handarbeiten.

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– „Hört! Er empfiehlt noch gar Vielweiberei!“

– Je nun, auch sie hat ihre guten Seiten.
(So im Gedränge zwischen Ernst und Lachen
Entschlüpfen einem sehr gewagte Sachen!)

Dies nur beiseit. Doch da, wo unbestritten

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Von je geblüht die schönste Frauenflora,

Berühmt durch monogamisch reine Sitten,
Am grünen Tajostrand, raucht die Sennora
Sammt ihrer Magd puros und cigarritos,
Und wie man sagt, nicht blos für die Mosquitos.

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Ein Beispiel ist’s, ich werf’ es nur so hin

Und will euch diese Uebung gern erlassen.
Zum Frauenmund – so weit ich Kenner bin –
Scheint mir der Duft Havanna’s nicht zu passen.
Doch wie verrathen Lippen, die wir küssen,

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Ob sie Horaz zu buchstabiren wissen?


Latein – nun freilich wohl, es ist entbehrlich,
Doch lerntet ihr’s, es würd’ euch nicht entweiben.
Noch keiner Tugend ward es je gefährlich,
Und statt die Zeit leichtsinnig zu vertreiben

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Mit Dumas fils und ähnlichem Gelichter,

Les’t lieber noch Roms übermüth’ge Dichter.

Ja nur zum Hausgebrauch. Denn wär’ es Usus,
Käm’ euch so manches Wort nicht spanisch vor,
Als: tempora mutantur, und: abusus

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Non tollit usum
, und: excelsior!

Da sprach die Jüngste rasch: „Doch heißt es ja:
Mulier taceat in ecclesia!“ –

Kein Hieb und Stich trifft uns mit solcher Schwere,
Als wenn der Feind von uns sich Waffen stahl.

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Ja, warf ich hitzig ein, das ist die Lehre.

Der „guten alten Zeit!“ Doch wagt’s einmal,
Statt Aeltermutter-Weisheit nachzubeten,
Den steilen Pfad zur Freiheit zu betreten.

Wagt, frei zu sein! – Und Eine sprach: „Du weißt,

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Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.“ –

Und ich: Die Sitte folgt, wohin der Geist
Sie herrschend lenkt, gern seinem Führertritte.
Unsittlich ist nur Eins: sein tiefstes Leben
Hinopfern, um am dumpfen Brauch zu kleben.

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Zwar Jene, die sich strebend losgerungen

Vom Schlendrian, dem längst der Geist entwich,
Nur selten haben sie den Sieg errungen
Und fielen tragisch oder lächerlich.
Der Enkel erst zeigt staunend ihre Spuren

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Und ehrt das Schicksal höherer Naturen.


Denn kommen wird ein lichteres Jahrhundert,
Das über Sitten, die ihr heute preis’t,
Mit Achselzucken lächelnd sich verwundert,
Wie man die Zeiten heut barbarisch heißt,

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Wo noch die Kunst, zu schreiben und zu lesen,

Geheimniß wen’ger Sterblichen gewesen.

Wie? spotten dann die Enkel, jenen Frau’n
War’s eine Wohlthat, sich beschränkt zu wissen?
Die je entsprang dem engen Breterzaun

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Der Vorurtheile, ward vom Wolf gebissen?

Sie weideten gleich einer frommen Heerde
Unschuld’ger Lämmer auf umpferchter Erde?

War anders Fleisch und Blut? Wog ihr Gehirn
Nicht dem der Männer gleich? Warum die Schranken

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Um ihre reingewölbte Menschenstirn?

Warum entfernt vom Kampfe der Gedanken
Im öden Dienst alltäglicher Geschäfte
Vergeudeten sie ihres Geistes Kräfte?

Rechtlos, gedankenlos – – und weiß der Himmel,

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Was ich noch sonst gehöhnt, verleumderisch;

Da in des Kampfes heftigstem Getümmel
Erscholl der Segensruf: Zu Tisch, zu Tisch! –
Beim Essen hab’ ich stets den Streit gemieden;
So ward denn Frieden – doch ein fauler Frieden

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Erfahren sollt’ ich’s, daß ich einen Gegner

Gereizt, der unversöhnt auf Rache sann
Und nur zu bald mit dreifach überlegner
Mannschaft und List die Fehde neu begann.
Die klugen Frau’n! sie warben rasch entschlossen

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Die schwachen Männer selbst zu Bundsgenossen.


In eines Freundes Haus werd’ ich geladen,
Wo sich die muntre Jugend oft ergötzt
Im Carneval an Schwänken und Charaden.
Ich, da ich kaum mich arglos hingesetzt,

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Seh’, wie der Hausherr lächelt, winkt und blinzt,

Wie wenn man sagt: Heut ist’s auf dich gemünzt!

Die Klingel tönt, auf thun sich die Gardinen,
Und ein Gemach erscheint, ganz übersät
Mit Büchern, Globen, chemischen Maschinen,

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Auch ein Skelet als schmuckes Hausgeräth;

Ein Mann tritt auf, zerrissen und zerzaus’t –
Halt! denk ich, heut vergreift man sich am Faust.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_720.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
  1. Das geist- und schwungvolle Gedicht, mit dem Paul Heyse in den Kreis unserer Mitarbeiter tritt, behandelt eine Frage, welche in neuerer Zeit die gesammte Frauenwelt auf das Lebhafteste beschäftigt. Dies Moment und die Genialität und Formvollendung, mit denen der berühmte Dichter dem interessanten Vorwurf gerecht wird, haben uns bestimmen können, einmal abzugehen von unserm alten Grundsatze, welcher längere Poesien vom Repertoir unsers Blattes ausschließt. Ueberzeugt wie wir sind, allen unsern Lesern und Leserinnen mit dieser bedeutenden Gabe eine wahre Freude zu bereiten, wollen wir unsererseits doch nicht mit dem leisen Bedenken zurückhalten, daß vielleicht nicht alle deutschen Frauen mit jeder der in dem Gedichte ausgesprochenen Ansichten einverstanden sein dürften. D. Red.