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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

daß es nicht bei einem, auch wohl nicht bei drei und vieren blieb, ist sicher.

Trotz der wachsenden Beschäftigung in der Wirthsstube schien aber Rosel, des Wirthes liebliches Töchterlein, doch einen Augenblick Zeit gewonnen zu haben, auf den Hof hinauszueilen und ein paar Worte mit einem jungen Manne zu wechseln, der dort jedenfalls auf sie gewartet haben mußte. Sie fürchtete sich auch gar nicht vor ihm, sondern legte ihr Köpfchen ganz vertrauensvoll an seine Brust und litt es, daß er ihr wieder und immer wieder die Stirn küßte; aber es war ihr doch nicht freudig dabei zu Muthe, denn große helle Thränen standen ihr in den Augen und rollten dann schwer an den Wangen hinab auf ihr Mieder.

Endlich, während er ihr liebe und gute Worte zugeflüstert, wand sie sich aus seinem Arme.

„Ich muß fort, Bruno,“ sagte sie, sich mit der Schürze die verrätherischen Thränen abtrocknend, „Du weißt, der Vater will es nicht leiden, daß ich mit Dir spreche, und das Zimmer ist auch voller Gäste, so daß die Bärbel gar nicht mit ihnen fertig wird, und mehr kommen noch, ein ganzes Boot voll ist den Nachmittag den Rhein hinaufgefahren, und Alle wollten heut Abend bei uns einkehren.“

„Drei Tage hab’ ich Dich jetzt nicht gesehen, Rosel, und kaum drei Minuten kannst Du mir schenken,“ klagte der junge Mann; „das ist recht hart.“

„Aber Du weißt ja doch, daß es nicht von mir abhängt, Bruno,“ bat das Mädchen, „mir thut’s ja selber weh genug, aber kann ich es ändern? Leb’ wohl, ich bleib’ Dir gut, das ist sicher und Du hast mein Wort; nun hab’ Geduld, und vielleicht wird Alles noch besser, als wir denken.“

„Besser als wir denken,“ seufzte der junge Mann; „o, wenn ich Dich hier fort nehmen, wenn ich Dich zu meiner Mutter bringen dürfte, daß Du nur der Gesellschaft erst enthoben wärest!“

„Hab’ nur keine Sorge um mich, Bruno,“ lächelte das junge Mädchen wohl freundlich, aber zugleich auch recht wehmüthig, „ich bin hier schon gut genug aufgehoben. Schau’ nur, daß Du was schaffst und vor Dich bringst, ich halt’ treulich aus.“

„Und Dein Bruder –“

„Er ist nicht so schlimm, wie Du denkst,“ sagte das Mädchen treuherzig, „ein bischen roh wohl, lieber Gott, er hat sich lange in der Welt umhergetrieben, und daß ich den Menschen nicht heirathen will, den er mir zugedacht, mag ihm auch ein wenig in die Krone gestiegen sein, aber sie kennen die Rosel – er und der Vater – und wissen, daß sie, wenn sie ’mal was gesagt hat, nie im Leben davon abzubringen ist, mag’s nun biegen oder brechen.“

„Sie werden Dir so lange zureden –“

„Hab’ keine Angst, da zu dem Ohr geht’s hinein und zu dem wieder heraus; in’s Herz hinunter kommt nichts, verlaß Dich darauf. Aber jetzt muß ich fort, Jesus Maria, der da drinnen reißt mir noch die Klingel ab, es sind gewiß mehr Leute gekommen. Leb’ wohl, Bruno –“

„Und wann seh’ ich Dich wieder?“

„Bist Du morgen Abend noch hier?“

„Ja, aber den ganzen Tag soll ich –“

„Sei morgen früh um neun Uhr auf dem Weg nach der Ruine, vielleicht mach’ ich’s möglich, daß ich ein halb Stündchen abkomme. Die Leut’ haben jetzt Werkeltags viel zu thun und da giebt’s bei uns mehr Zeit. So, schütz’ Dich Gott, Bruno,“ und ihm die Lippen zum Kuß hinhaltend, wand sie sich rasch aus seinem Arm und verschwand im Haus. Aber sie sollte nicht unbemerkt wieder in’s Schenkzimmer schlüpfen, denn ihr Vater, der eben mit einem großen Krug voll Wein aus dem Keller trat, stand im Flur und sagte finster:

„So? Hatt’ ich Dir’s nicht verboten, Dich mit dem adligen Hungerleider wieder einzulassen? und bist Du jetzt nicht draußen auf dem Hof bei ihm gewesen? Durch die Kellerluke hab’ ich Euch gesehen.“

„Was kann er dafür, daß er adlig ist, Vater!“ sagte das Mädchen; „wenn wir das kleine Von vor unserm Namen trügen, wär’ ich auch unschuldig daran.“

„Aber er hat nichts als seinen Dünkel im Kopf,“ brummte der Wirth, „und seiner Sippschaft sind wir ebenfalls ein Dorn im Auge.“

„Wenn er stolz wäre, hielt’ er doch nicht um die Wirthstochter an,“ sagte das Mädchen.

„Soll mich wohl noch bei dem Schreiber bedanken, daß er sich hier in ein warmes Nest zu setzen denkt?“ knurrte der Wirth, „und kurz und gut, ich leid’s nicht, daß Du zu ihm hältst. Er ist nicht stolz, Gott bewahre, und als ich ihm anbot, er sollte hier bei mir eintreten und die Wirthschaft lernen, was antwortete er da? Das dürfe er seiner Familie nicht zu Leide thun. Ei, zum Geier! sie haben das Brod kaum, was sie essen, und die alte, hochnäsige Baronin schleppt das alte, schwarze Seidenkleid schon so lange, daß man jeden Faden daran erkennen kann; aber versteht sich, Seide muß es sein und Spitzen drum herum und Blumen und Federn auf dem Hut. Kommt er mir noch einmal über die Schwelle, Gott straf’ mich, wenn ich ihm nicht schneller hinaushelfe, als er eingetreten ist.“

„Aber Vater –“

„Jetzt marsch, fort mit Dir, da drinnen sitzt die Stube voll Gäste und Du treibst Dich indessen draußen im Hof mit dem Lump herum; mach’, daß Du hineinkommst, und nimm den Krug mit – es ist guter.“

Rosel zögerte einen Moment; das Blut hatte bei den letzten Worten ihre Wangen verlassen und ein eigenes Feuer glühte aus den dunklen Augen des Mädchens – aber es war ja ihr Vater – sie durfte sich ihm nicht widersetzen. Nur mit einem schweren, recht aus voller Brust herausgeholten Seufzer nahm sie den Krug auf und ging an ihre Arbeit, während der Wirth, Paul Jochus, langsam und sich selber wenig genug um die zahlreichen Gäste kümmernd, in seine eigene Stube hinaufstieg und sich dort einschloß.

Paul Jochus hatte eigentlich eine recht lange Zeit keinen besonders guten Ruf in Wellheim gehabt, und gesellig verkehren mochten selbst jetzt noch nur Wenige mit ihm. Er war rauh in seinem Wesen und verschlossen, mit der üblen Angewohnheit dabei, daß er, wenn er mit Jemandem sprach, ihm nie in’s Auge, sondern immer bald auf die rechte, bald auf die linke Schulter sah. Außerdem blieb es in der kleinen Stadt, wo derartige Familienverhältnisse nicht geheim gehalten werden können, eine bekannte Thatsache, daß er seine verstorbene Frau, ein liebes, sanftes Wesen, stets roh und unfreundlich behandelt hatte, so daß sie sich, auch noch von Nahrungssorgen gequält, langsam aber sicher zu Tode grämte.

Es mußte damals in der That mit Paul Jochus’ Verhältnissen scharf bergunter gegangen sein; er hatte gespielt und viel Geld verloren und sich dann dermaßen dem Trunk ergeben, daß sämmtliche anständige Gäste sein Haus mieden und schon das Gerücht in der Stadt ging, das „Burgverließ“ würde nächstens von Gerichtswegen öffentlich versteigert werden, nur um die aufgelaufenen Schulden zu bezahlen.

Sein Sohn erster Ehe, Franz, war inzwischen draußen in der Fremde gewesen; er hatte sich mit der Stiefmutter nicht vertragen können, weil ihm diese das nicht wollte hingehen lassen, was sie bei dem Gatten nicht hindern konnte. Er war Künstler geworden, wie er sich nannte, als er zurückkam, Kupferstecher und Lithograph, und beabsichtigte, sich jetzt am Rhein niederzulassen.

Da starb die Mutter, und erst nach ihrem Tode mochte Paul Jochus wohl fühlen, was er an ihr gehabt, was er an ihr gesündigt, denn er ging eine Weile wie gebrochen umher und hatte dabei das Trinken fast ganz aufgegeben. Er sah auch wieder fleißig nach seiner Wirthschaft, und wenn auch noch immer nur sehr wenige Gäste bei ihm einsprachen, schien es doch, als ob sich seine Umstände von Tag zu Tag wieder besserten. Vom Verkauf des Grundstücks war keine Rede mehr, ja sogar die aufgelaufenen Schulden wurden nach und nach abbezahlt, und da Rosel indeß herangewachsen war und dem Schenkzimmer selber vorstehen konnte, zog sie durch ihr freundliches Wesen bald wieder eine Menge Gäste in’s Haus, doch ohne sich je das Geringste gegen einen derselben zu vergeben. Ueberhaupt hatte das junge Mädchen trotz ihres zarten Alters etwas ungemein Bestimmtes in ihrem ganzen Wesen, und die Wellheimer wußten, was sie sagten, wenn sie die Rosel „ein wahres Prachtmädel“ nannten.

Wo nur der Jochus das viele Geld herbekam? So viel warf die Wirthschaft doch nicht ab, das konnten sie ihm recht gut nachrechnen, und in den letzten zwei Jahren hatte er sich ein Stück

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_698.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)