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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Menschen verbrannt und ihre Güter eingezogen. Man fing das Gerichtsverfahren gleich mit der Folter an. Der Unfug wurde so arg, daß sogar der bigotte Ferdinand der Zweite, der Kaiser des dreißigjährigen Krieges, sich zum Einschreiten genöthigt sah und einen Commissar nach Bamberg schickte, um das Reichsrecht zur Geltung zu bringen und die ungesetzliche Anwendung der Tortur zu hemmen. – Ein berüchtigter Hexenverfolger im Hessischen rühmt sich in den noch ganz erhaltenen Proceßacten, daß er mittels der vielen Hinrichtungen nicht nur der Ortsherrschaft eine erkleckliche Summe eingebracht, sondern auch der Ortsgemeinde Mittel zum Kirchen- und Brückenbau verschafft habe. Ungerechnet was dabei in seine eigene Tasche fiel, worüber die specificirten Rechnungen beiliegen!

Räumen wir nun auch ein, daß die Menschheit damals noch auf niederer Culturstufe stand, so bleibt es immer noch räthselhaft, wie solch’ bodenlos unhaltbarer Unsinn, wie das von den gefolterten Hexen Ausgesagte und von den Richtern Protokollirte ist, jemals auf die Dauer Glauben finden konnte, namentlich bei wissenschaftlich gebildeten, mit der alten Literatur vertrauten und dadurch jedenfalls einigermaßen zum Selbstdenken angeleiteten Männern geistlichen oder juristischen Standes. Man kann nicht umhin, immer wieder auf den Gedanken zu kommen: es muß doch irgend etwas Wirkliches hinter diesem Hexenwesen gesteckt haben, wodurch der Glaube an dasselbe und das gerichtliche Einschreiten gegen dasselbe immer wieder von Zeit zu Zeit eine materielle Begründung, eine positive Stütze erhielt. Und dies ist in der That auch der Fall.

Michelet[WS 1] hat sich die Mühe gegeben, in seinem berühmten Buch „la sorcière“ (die Hexe) geschichtlich Schritt für Schritt nachzuweisen, wie das Heidenthum sich aus den Ueberbleibseln des unterdrückten Heidenthums und zugleich als eine geheime Opposition der von Adel und Geistlichkeit immer tiefer zur Leibeigenschaft herabgedrückten unteren Volksclasse herausgebildet und mit einigen aus uralter Zeit traditionell fortgepflanzten naturwissenschaftlichen Kenntnissen oder Kunstgriffen verbunden habe. Wir wollen ihm gar nicht so weit folgen, sondern nur zeigen, daß in den Hexenproceß einzelne unbestreitbare, sinnlich wahrnehmbare Thatsachen hineinverflochten sind, welche den damaligen Gelehrten unerklärlich waren und zum Theil erst durch die neuesten Fortschritte der Naturwissenschaften aufgeklärt worden sind, zum Theil sogar noch der Aufklärung harren. Dahin gehören z. B. folgende:

Die blau werdende Milch. Nach den neuesten Forschungen ist dieser blaue Ueberzug auf stehender Milch nichts anders als eine der Formen des vielgestaltigen blauen Schimmelpilzes, desselben Schimmels, welcher den Hausfrauen ihre Citronen und ihr eingemachtes Obst verdirbt, aber auch sonst eine Menge Unheil anstiftet, die Fliegen und die Singvögel tödtet, beim Menschen ein paar Hautausschläge und den häßlichen Beleg der Zähne bildet u. s. w.

Die Blutflecken auf Hostien und Brod etc., welche so oft im Mittelalter zu grausamen Judenverfolgungen Anlaß gegeben haben, sind seit Ehrenberg[WS 2] als eine eigene Art von Infusionsthierchen[WS 3] bekannt.

Das Teufelchen, das manche Hexenmeister bei sich führten, war entweder das aus der Physik wohlbekannte cartesianische Teufelchen[WS 4], welches jetzt nur auf Jahrmärkten und Volksfesten eine Rolle spielt, oder auch vielleicht ein in ein Taschen-Mikroskop eingespannter todter Floh.

Die Luftfahrten, die Brockenreisen auf dem Besen, welche so viele Hexen gemacht zu haben freiwillig eingestanden, beruhten auf einer narkotischen Traumerregung, welche noch jetzt von den Opium- und Hanf-Essern oder -Rauchern im Orient und Afrika vorgenommen wird. Gewöhnlich träumt der Opium- oder Hanfesser denjenigen Ideengang weiter, in welchen er sich unmittelbar vorher versetzt hat. Daher ist nicht zu verwundern, wenn die Weiber, welche eine Luftfahrt nach dem Blocksberg beabsichtigend sich durch Hexensalbe oder Räucherungen narkotisiren ließen, dann im künstlichen Schlaf auch zu schweben und beim Hexensabbath einzutreffen träumten, da dies eben Dinge waren, mit welchen die Volksphantasie sich sehr allgemein beschäftigte.

Daß der Teufel manchen Zauberern den Hals umgedreht habe, ist doch nur eine andere Ausdrucksweise dafür, daß dieselben unter Krämpfen, welche den Kopf zur Seite drehen und unter Erstickungszeichen (Blauwerden des Gesichts, Schaum vor dem Munde u. dergl.) gestorben sind. Dergleichen Todesfälle kamen sehr oft, laut Protokoll, während der Folterung vor und waren hier die leicht begreiflichen Folgen der durch die wahnsinnigen Schmerzen hervorgerufenen Krämpfe und des hinzutretenden Lungenödems (Schaum in den Lungen). Oft liest man aber auch, daß Personen in ihrem Bette und Stübchen mit umgedrehtem Hals erstickt, „also vom Teufel geholt“, gefunden worden sind. Ich zweifle nicht, daß diese Fälle meistens auf Vergiftung durch Kohlendunst (Kohlenoxydgas) zurückzuführen sind. Diese Todesart war bis Ende des vorigen Jahrhunderts ziemlich unbekannt und ist doch jedenfalls im Mittelalter noch viel häufiger gewesen, als jetzt. Denn damals wohnten die Leute in kleinen niedrigen Zimmern der befestigten Städte enger als jetzt und hatten sehr unvollkommene Heizungsmittel: schlechte Oefen, mit Klappen oder feuchten Lappen verschließbare Ofenrohre oder ganz offene Kohlenbecken. Diese sind noch heute die Hauptquellen der Kohlenoxydgas-Vergiftungen, und vorzugsweise sind alte Mütterchen (Hexen), welche an Feuerung sparen wollen, das Opfer dieser Luftverunreinigung noch heut’ zu Tage. Was Wunder, wenn man eine so unerklärliche Todesart in abergläubischen Zeiten dem Teufel zuschrieb?

Dieselben alten Weiberchen sind nun auch oft mit rothen triefenden Augen geplagt, und zwar zum Theil aus denselben Ursachen, nämlich von Kohlendunst, Lampenruß, finstern und dunstigen Wohnzimmern. Diese Augenentzündung giebt dem Gesicht allemal einen häßlichen, böswilligen Ausdruck. Daraus machte das Mittelalter ein Anzeichen für Hexerei.

Das nächtliche Blutaussaugen, welches man den Vampyren und Hexen noch heut zu Tage in manchen Ländern, z. B. Südosteuropas, schuld giebt, dürfte sich auf die Fälle beziehen, wo Personen plötzlich an Berstung einer innern Ader oder Herzwand, an innerer Verblutung starben. Ich habe diesen Fall mehrmals in der Praxis erlebt und gestehe, daß es einen befremdenden Eindruck macht, wenn eine Person, die sich Abends vorher anscheinend gesund zu Bett legte, früh nicht nur todt, sondern auch wachsbleich, völlig blutleer gefunden wird, ohne daß sich eine äußere Verletzung finden läßt. Ich kann mir recht gut deuten, wie da ein abergläubisches Volk auf die Annahme einer Zauberei verfallen kann.

Das Hexenbad oder die Wasserprobe, auch Schwemmung genannt. Die der Hexerei angeklagte Person wurde nackend, mit kreuzweise gebundenen Händen und Füßen in’s Wasser geworfen. Wenn sie untersank, war es gut; schwamm sie aber oben, so galt dies als sicheres Zeichen ihrer Schuld. Die pathologische Anatomie lehrt nun, daß bei Greisen und noch mehr bei Greisinnen die Knochenmasse so schwindet, daß die innere Knochenhöhle ganz weit und zugleich marklos, lufthaltig wird, während die Knochenwände ganz dünn werden, so daß das ganze Gerippe sehr leicht wiegt. Ob dies, und etwa noch die größere Lufthaltigkeit der Lungen (das Greisen-Emphysem) und der Därme (die Flatulenz) ausreichend sind, um jenes Schwimmen auf dem Wasser zu erklären, das muß ich späteren Untersuchungen überlassen.

Das wichtigste und für unfehlbar gehaltene Beweismittel im Hexenproceß war aber das sogenannte Hexen- oder Teufels-Maal, von dem wir nun reden wollen: eine keineswegs aus der Luft gegriffene Thatsache, welche vielmehr von der neueren Medicin in helles Licht gezogen worden ist und nun wieder ihrerseits ein helles Licht auf den körperlichen und Gemüthszustand jener unglücklichen gemarterten Hexen wirft. Das Suchen des Teufelsmaals bestand darin, daß man den Körper des Angeklagten allenthalben mit Nadeln stach, bis man einen Fleck fand, wo Inquisit die Stiche nicht fühlte. Dieser gegen Nadelstiche unempfindliche, manchmal auch durch irgend eine Färbung ausgezeichnete Fleck galt für die Stelle, wo Satan sein Zeichen angebracht habe, und seine Auffindung als das kräftigste Beweismittel für eine Gemeinschaft mit dem Teufel. Michelet hat uns in dem angeführten Werk ein Paar sehr belehrende Fälle dieser Art aus den Acten mitgetheilt.

Der eine Fall spielt in einem französischen Nonnenkloster, wo sich eine Novize den Haß der Mehrzahl ihrer Mitgenossinnen und der Aebtissin zugezogen hatte. Man entkleidete sie und die ganze Gesellschaft kühlte an ihr die Rachsucht, indem man sie an allen Körpertheilen mit Nadeln stach. Zum Glück, kann man sagen, fand sich kein unempfindliches Fleckchen; denn alsdann wäre die Unglückliche dem Inquisitionsgericht ausgeliefert und rettungslos

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jules Michelet (1798–1874)
  2. Christian Gottfried Ehrenberg (1795–1876)
  3. Infusorien oder Aufgusstierchen: Sich im Aufguss von pflanzlichem Material entwickelnde Tierchen (z. B. Flagellaten, Wimpertierchen, Amöben)
  4. vergleiche: cartesianischer Teufel
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_687.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)