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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Vaterlandes. Das ist die Alternative, die ich Ihnen stelle. Also sprechen Sie, soll Alles ungeschehen sein?“

Herr Grüler athmete tief auf, als er antwortete: „O mein Gott, ist denn das noch möglich?“

Er fuhr mit der Rechten über sein Gesicht und schlug dann die Hände wieder zusammen. Ernst sah, in welche scharfe Schraube er den eigensinnigen harten Mann genommen.

„Ich habe Ihnen mein Ehrenwort gegeben und Herr Färber giebt es Ihnen ebenso,“ sagte er mit einem Blick auf diesen, der stumm neben ihm stehen geblieben war. Der junge Mann fiel jetzt lebhaft bewegt ein:

„Ich gebe es Ihnen, mein Ehrenwort, und ich bitte Sie inständig, Herr Grüler, geben Sie nach; ich bitte nicht Ihret-, nicht meinetwillen, ich bitte Sie um Ihrer Tochter willen, die gewiß ein Nervenfieber davon trägt, wenn sie die Geschichte, welche ihr doch auf die Dauer nicht vorenthalten bleiben kann, zu lesen bekommt. Ein Mann mag eine solche schimpfliche Ausstellung vor der ganzen Welt noch ertragen, aber ein junges Mädchen kann es nicht ertragen, so in den Mund aller bösen Zungen gebracht zu werden!“

„Und wenn Sie das selber so gut wissen, Sie ruchloser, abscheulicher Mensch Sie …“ rief Herr Grüler mit einem Gesicht, das wieder so aschgrau wurde, wie in dem Augenblicke, worin er vorhin hereingestürzt war.

Ernst unterbrach ihn, indem er seine Hand auf den Arm des Mannes legte.

„Still, Herr Grüler,“ sagte er, „keinen Streit, kein Nervenfieber, keinen Scandal … holen Sie das Document, und wir gehen friedlich auseinander!“

Herr Grüler sah mit furchtbarem Stirnrunzeln, mit den Wuthblicken eines Löwen, der sich in Fesseln fühlt, mit dem ganzen Ingrimm eines besiegten Berserkers Ernst an. Dann sprang er auf und sich zum Gehen wendend rief er aus:

„Aber ich muß doch eine Garantie haben …“

„Holen Sie das Document, lieber Herr,“ sagte Ernst mit milder Ueberredung, „nachher wechseln wir die Garantien aus.“

Herr Grüler ging zum Zimmer hinaus.

„Wir haben es,“ flüsterte Färber froh, als die Thür sich hinter ihm geschlossen hatte.

„Ich denke, wir haben es,“ versetzte Ernst. „Haben Sie die Güte, es mir auf eine Stunde zu überlassen. Ich möchte es meiner Frau zeigen, damit sie doch auch etwas von ihrer Arbeit hat; ich bedarf eines Beruhigungsmittels für sie, wie Sie einsehen werden …“

„O gewiß, gewiß!“

„Nachher können Sie es verbrennen.“

„Das werde ich mit Wonne, dieses diabolische Blatt!“ rief der junge Mann aus.

Herr Grüler kam zurück, ein wenig zögernden Schrittes. Er hielt das Blatt in der Hand.

„Also Ihr Ehrenwort?“ sagte er Ernst unter den zusammengekniffenen Brauen her fest in’s Gesicht sehend.

„Mein Ehrenwort,“ versetzte ruhig Ernst, indem er dem Alten das Blatt aus der Hand zog, einen Blick darauf warf und es in die Brusttasche steckte. „Ich danke Ihnen. Und nun hören Sie, wie wir, nachdem wir Ihre Waffe haben, die unsere zerbrechen. Der Redacteur des Journals, das ich Ihnen sandte, ist mein intimer Freund. Auf meinen Wunsch hat er von der bewußten Erzählung nur drei Abdrücke machen lassen – nur drei. Den einen habe ich Herrn Färber zur Kenntnißnahme zugesandt und Herr Färber hat ihn, denke ich, bereits verbrannt. Er hat durchaus kein Interesse dabei, die Veröffentlichung der Geschichte zu wünschen. Den zweiten Abdruck habe ich Ihnen gesandt und Sie werden ihn jetzt wahrscheinlich ebenfalls in’s Feuer stecken, damit er nicht zu den Augen Ihrer Tochter kommt. Den dritten Abzug habe ich und den werde ich aufbewahren. Es könnte nämlich nach dieser Eröffnung Ihnen die Lust kommen, sich nach London zu wenden und durch Geld und gute Freunde sich einen neuen Auszug aus dem betreffenden Kirchenbuch zu verschaffen. Herr Färber bedarf der Sicherheit vor dieser Gefahr; ich erkläre Ihnen deshalb, daß in einem solchen Falle die Geschichte abermals zu meinem Freunde, dem Redacteur, wandert und nun wirklich in der ganzen Auflage des Blattes gedruckt werden würde. Vor dieser Maßregel, wenn Sie sie nicht erzwingen, haben Sie aber Sicherheit in dem Interesse des Herrn Färber, die Sache nicht ohne höchste Noth aufzuwärmen und an die große Glocke zu hängen, wie man sich wohl ausdrückt. Sind Sie mit den beiderseitigen Garantien zufrieden, Herr Grüler?“

Herr Grüler sah ein wenig überrascht bald Ernst, bald Färber an, aber der zornige und düstere Ausdruck, die Spannung in seinen Zügen war offenbar daraus gewichen; er konnte nicht verhehlen, daß ihm ein Alp von der Brust gefallen.

„So, so, so,“ sagte er. „So ist die Sache! Nun ja, ich bin eigentlich wieder einmal überlistet. Ich war ein Esel, denn ich mußte wissen können, daß der junge Mensch hier“ … er deutete mit einem etwas verächtlichen Achselzucken auf Färber … „so etwas unmöglich öffentlich machen lassen dürfte. Aber meinethalb. Sie haben, was Sie wollen. Die Sache ist abgemacht. Verlieren wir jetzt nicht viel Worte mehr darüber. So viel ist gewiß, ich werde Sie zum Advocaten annehmen, Herr Northof, wenn ich einmal einen recht faulen und desperaten Proceß habe. Bis dahin Gott befohlen, meine Herren!“

Herr Grüler öffnete selbst die Thür und machte den beiden sich zurückziehenden Männern einen Abschiedsgruß mit einem leichten Kopfnicken, bei dem er plötzlich seine ganze Aufmerksamkeit einer auf dem Ofen stehenden, an allem Vorgefallenen höchst unschuldigen Gypsfigur zuwendete.




Nach einer Viertelstunde trat Ernst in das Zimmer seiner Frau. Sie sah sehr bleich aus, sie fuhr mit einem nervösen Erzittern aus ihrer liegenden Stellung in einem Lehnsessel in die Höhe und rief ihrem Gatten ein „Nun, wie ist es geworden?“ entgegen, worin die höchste Spannung vibrirte.

„Ganz, ganz gut,“ antwortete Ernst, sich neben ihr niederlassend.

„Das Duell…“

„Das Duell findet nicht statt… Herr Färber, der so blutdürstige Absichten wider mein armes harmloses Leben hatte, läßt Dir die größten Entschuldigungen, Ehrenerklärungen und Abbitten machen und hat mich eben mit den wärmsten Bezeigungen der Dankbarkeit bis an meine Hausthür begleitet.“

„Der Dankbarkeit? Aber wie ist das möglich … der Dankbarkeit, sagst Du?“

„In der That, so sagte ich … sieh, Kind, man muß eine gegebene Lage der Dinge nur richtig zu benutzen wissen und man zieht aus der mißlichsten Geschichte am Ende noch den klarsten Vortheil, wie aus dem schwarzen Schiefer das helle Steinöl. Es kommt nur auf die Presse an …“

„Aber Du kommst mir so wunderbar vor mit dem humoristischen Tone, in dem Du heute plötzlich Alles sagst!“

„Der humoristische Ton ist ganz natürlich, denn es ist wirklich Humor bei der Sache …“

„Humor?“ rief Alwine mit bitterem Vorwurf aus, „Humor, wenn Jemand zu Deiner Frau eindringt und sie mit Schmähungen überhäuft, wenn ich halb todt vor Schrecken bin von seinen Drohungen?“

„Höre mir nur zu, Alwine, und Du wirst sehen, daß ich von Humor reden darf. Der Mann, welcher gestern Dich so erschreckte, hatte auf dem Bureau nach mir gefragt. Einer meiner Schreiber hatte ihn erkannt, als einen Herrn Färber, einen Architekten aus unserer Stadt, und so konnte ich gehen, um ihn aufzusuchen. Ich fand ihn heute beruhigter, als er es gestern gewesen sein muß, nachdem er eben in einem Leseclub in einer neuesten Journalnummer seine eigene Geschichte gelesen. Denn seine eigene Geschichte war es allerdings, die Du oder die wir erfunden, durch ein wirklich ganz merkwürdiges Zusammentreffen; nur mit dem Unterschiede, daß er nicht Buchhalter, sondern Architekt, der dem bösen Schwiegerpapa ein kleines Landhaus gebaut und dabei die Bekanntschaft des jungen Mädchens, das wir Helene nannten, gemacht hatte; daß dieses nicht zu seiner Tante, sondern zu einer früheren Gouvernante nach London geflüchtet war, und daß der Nebenbuhler kein Landjunker, sondern ein Fabrikant, aber ganz eben so widerwärtig wie der Landjunker ist; lauter unerhebliche Unterschiede, welche die Veröffentlichung der Geschichte für die dadurch Betroffenen um nichts weniger zermalmend machten. Bei dieser Lage der Sache und da ich anerkennen mußte, daß sie zermalmend sei, kam mir ein Gedanke; ich schlug Färber vor, das Zermalmende daran als Presse auf den harten, rachsüchtigen

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