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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

aus der Hausthür geschnitten, Feuer auf dem Küchenheerde an- und ausgemacht, die Stubenthür auf- und zugeschlagen. In drei verschiedenen Ortschaften schlägt der Commissar dreimal mit einer Peitsche an das dort vorüberfließende Feldaflüßchen, aus einer weidenden Heerde läßt er einen Hammel greifen und zupft ihm eine Flocke Wolle heraus. Im Pfarr- und Schulhause schürt er Feuer an und löscht es wieder aus, macht Stubenthür und Fenster auf und zu, rückt Tische und Stühle, setzt sich nieder und steht wieder auf. Dann schließt er die Kirche auf, nimmt mit seinem Gefolge Platz, läßt das Buch auf dem Altar aufschlagen und die Orgel anstimmen. Bei all’ diesen symbolischen Besitzhandlungen erklärt er stets feierlich vor dem mitgebrachten Notar und den ihn begleitenden Zeugen, daß er damit Besitz ergreife von den erbhennebergischen Ländereien, Mühlen, Schenken, Flüssen, Schäfereien, Kirchen, Pfarreien und Schulen.

Das Stift Fulda, als es von dieser Besitznahme Kenntniß erhält, erhebt dagegen feierlichen Protest und verbietet den seitherigen Unterthanen bei tausend Thalern Strafe, an die Weimaraner Steuern zu zahlen oder ihnen gehorsam zu sein. Diesem Erlasse giebt es durch Einlegung von Militär Nachdruck. Weimar antwortet mit einer gleichen militärischen Execution und es beginnt ein kleiner internationaler Krieg. Der obere, nach den angeführten Besitzhandlungen bereits von Weimar occupirte Theil des Amtes wird von Weimar behauptet. Es gilt nun aber den Hauptort des Amtes, Dermbach, noch in Besitz zu nehmen. Der Commissar Göckel verfügt sich deshalb am 8. Septbr. an der Spitze von einigen hundert Mann Fußvolk und Husaren unter dem Commando des Oberstlieutenants von Stange von Kaltennordheim dahin. Während er zunächst am Platze vor dem Wirthshaus hält, um von diesem Besitz zu ergreifen, erscheint plötzlich ein Fuldaischer Notar, Namens Langabel, und erhebt Namens des Stifts Protest. Er wird indeß in seiner Rede sehr bald unterbrochen und muß sich über Hals und Kopf zurückziehen. Der weimarische Commissar begiebt sich hierauf nach dem Pfarrhofe, dringt durch das Thor und will auch hier Besitz erfassen. Da erscheint mitten durch die Soldaten hindurch der Notar Langabel und protestirt auch hier wieder. „Hinaus mit ihm, hinaus mit dem Hundsfott!“ ruft der Weimaraner. Im Nu wird der arme Notar gepackt, durch den Hof und das vorbeifließende Wasser nach dem Kloster in Sicherheit geschleppt. Das weimarische Occupationscorps begiebt sich indeß nach der evangelischen Kirche, bewältigt die Wache vor dem Kirchhofe und erbricht gewaltsam die Thür. Als sie nun in das Innere der Kirche dringen, siehe da steht vor dem Altar mit zwei zitternden Zeugen der unerschrockene Notar von Fulda und ruft mit lauter, vernehmbarer Stimme sein „protesto, protesto!“ Der eindringende Kriegscommandant erklärt, kein Lateinisch zu verstehen, und ersucht den Redner, sich nicht weiter zu bemühen. Dieser ruft indeß nur immer lauter seine feierliche Protestformel in das Schiff der Kirche hinab, obwohl die bangenden Zeugen sich heimlich bereits aus dem Staube gemacht haben. Endlich muß aber auch er den andringenden Grenadieren weichen.

Die Sache wurde später an’s Reichskammergericht gespielt und durch einen Vergleich geschlichtet. Fr. Hbg.     




Kaiserin Eugenie und der „Meermann“. Bei dem kürzlich in Saint-Cloud gefeierten Feste, dem Namenstage des Schutzpatrons dieses Ortes, einem Volksfeste nach Art unserer Kirchweihfeste, wo es nicht blos Buden mit Spielsachen, Leckereien und Putzgegenständen, sondern auch Schaubuden mit allen erdenklichen Merkwürdigkeiten giebt, machte es sich die Kaiserin Eugenie zum Vergnügen, in einfachster Toilette und verschleiert mit ihrem Sohn, dem kaiserlichen Prinzen, verschiedene dieser Schaubuden zu besuchen. Vor einer derselben stand ein Ausrufer, welcher mit Hinweisung auf ein groteskes Gemälde über der Thür die Menge einlud, sich ein seltsames, noch nie dagewesenes Phänomen anzuschauen, einen Meermann oder Fischmenschen, der halb Mann, halb Fisch oder Seehund sei und, obwohl früher außerordentlich wild gewesen, doch jetzt so weit gezähmt worden, daß er sogar gelernt habe, „Papa“ und „Mama“ zu sagen.

„Immer heran, meine Herrschaften, es ist die Pflicht jedes gebildeten Menschen, sich dieses Ungethüm zu betrachten, dessen Gleichen noch kein Mensch je erblickt hat, denn Seejungfern und Meerweiber sind schon eine alte, längst bekannte Geschichte, aber einen Meermann hat noch Niemand producirt!“

Das erschien dem kleinen Prinzen doch gar zu lockend und er bat seine Mutter, ihm diese Merkwürdigkeit zu zeigen. Lächelnd gewährte die Kaiserin den Wunsch, winkte dem sie begleitenden Kammerherrn und trat in die Bude ein. Hier ergötzte sich die Menge daran, das „Ungethüm“ zu betrachten, von dem man indessen blos die Arme und den Kopf mit langem, wirrem Haar und einem ganz mit Bart verdeckten Gesicht bemerkte, während der übrige Körper unter dem Wasser in einem tiefen Bassin verschwand, so daß man sich nicht davon überzeugen konnte, ob er einem Fisch oder einem Menschen gehöre. Der Meermann gab grunzende, unarticulirte Töne von sich, verschlang auf Commando lebendige Tauben und Frösche, sagte auch „Papa“ und „Mama“, wurde jedoch so ungehalten über die muthwilligen Neckereien eines kecken, jungen Burschen, daß dieser sich erschreckt zurückzog.

Der kleine Prinz drängte seine Mutter weiter heran, um das Ungeheuer besser sehen zu können, aber kaum hatte dieses einen Blick auf die Kaiserin geworfen, als es einen durchdringenden Schrei ausstieß, die Hände vor das Gesicht hielt und hinter den Coulissen der Bude verschwand.

Die Neugierde der Kaiserin war durch dies seltsame Benehmen rege geworden, sie ließ durch den Kammerherrn genaue Erkundigungen einziehen und erfuhr so nach und nach, daß der „Meermann“ der tief gesunkene Sohn einer vornehmen Familie war, der früher zu den bekanntesten Mitgliedern der Pariser jeunesse dorée gehörte, aber nach dem Beispiel des Herzogs von Grammont-Caderousse sein Vermögen leichtsinnig vergeudete und sich endlich in unabsehbare Schulden stürzte. Lange Zeit saß er im Schuldgefängniß, und als er dann aus Clichy entlassen wurde, suchte er sein Glück in der militärischen Laufbahn, aber auch hier gab er den sträflichen Leichtsinn nicht auf, unterschlug Gelder, die der Regimentscasse gehörten, wurde aus seinem Regiment ausgestoßen und stieg immer tiefer und tiefer in Schmach und Elend hinab.

Gott weiß, was der Unselige Alles betrieben, um sein Dasein zu fristen, bis er schließlich bei einer vagabondirenden Gauklerfamilie Brod und eine Zuflucht vor den Nachforschungen der Polizei gesucht hatte. Hier mußte er natürlich mit „arbeiten“ und hatte sich zum „Meermann“ hergegeben, da er zur Erlernung anderer Künste nicht mehr jung und geschmeidig genug war.

Der Anblick der Kaiserin, deren Kreisen er früher so nahe gestanden, erweckte die bitterste Scham und Trostlosigkeit in ihm, wenn er auch sicher sein konnte, daß sie ihn unmöglich erkennen werde. Die hohe Dame fühlte ihr Herz von tiefem Mitleid bewegt und beschloß, noch einen Versuch zu machen, den Ausgestoßenen in der menschlichen Gesellschaft zu rehabilitiren. Sie verschaffte ihm eine kleine Anstellung, wo er wenig mit Anderen in Berührung zu kommen hatte, und der arme Mensch ist so glücklich darüber, daß man hoffen darf, er werde sich dieser Güte würdig erweisen.




Noch einmal die Raubthiere des Schlachtfeldes. Oesterreichische Blätter sowohl als Briefe aus dem Kaiserstaat haben die Gartenlaube wegen des in ihrer Nr. 39 enthaltenen Artikels „Die Raubthiere des Schlachtfeldes“ vielfach angefeindet und das darin Erzählte als gehässige Erfindung erklärt. Zu unserer Rechtfertigung lassen wir einfach den nachstehenden Abdruck aus der Wiener „Presse“ folgen: „Ein Brief aus Böhmen schildert in düsteren Farben die folgenden entsetzlichen Scenen nach den blutigen Kämpfen der letzten Tage. Es heißt darin unter Anderm: ‚Weit her, auch aus fremden Ländern, strömten die menschlichen Hyänen auf die Schlachtfelder, die sie raubend und plündernd durchzogen. Im Schutze der Nacht strichen sie durch die blutgedüngten Felder, und wo in den Wäldern ein Wimmern auf die Spur von Verwundeten lenkte, da schlichen sie hin. Die todten Körper wurden nackt entkleidet und liegen gelassen, die Tornister entleert. So zogen ganze Banden in gemeinsamem Wirken über die blutige Wahlstätte. Besonders waren es Officiere, die das Augenmerk dieser Hyänen auf sich zogen. Verwundete, die sich nicht wehren konnten, wurden beim Ausziehen der noch brauchbaren Uniformstücke auf das Unbarmherzigste herumgezerrt und liegen gelassen, nachdem die Armen geglaubt, daß sie sich um den Preis alles Werthvollen, das sie diesem Raubgesindel hingaben, wenigstens einen Trunk Wasser erkauft. In einem Getreidefelde vor Gitschin fand man am Tage nach der Schlacht einen todten kaiserlichen Officier und neben ihm, mit einem Säbelhieb auf die Schläfe hingestreckt, ein Weib aus einem benachbarten Orte. An einem ihrer Finger hing umwickelt ein Stück der goldenen Uhrkette dieses Officiers, während dessen linke Hand die Uhr krampfhaft umschlossen hielt. Wahrscheinlich wollte dieses Scheusal den noch Lebenden berauben, der noch so viel Kraft besaß, die Hyäne mit einem Hiebe niederzustrecken. In der Tasche ihrer Schürze fanden sich noch mehrere Uhren, Ketten und verschiedene Ringe. Das ist einer jener wenigen Fälle, in denen die Vergeltung dem Frevel auf dem Fuße folgte. Die krampfhaft geschlossenen Finger wurden mit Gewalt aufgerissen und die letzten Andenken an Weib und geliebte Wesen geraubt, fromme Andenken und Medaillons, deren Portraits man barmherzig genug den Sterbenden noch in den Händen ließ, waren vom Halse abgerissen. Viele gaben bereitwilligst ihr Alles her gegen das Versprechen, ihnen einen Trunk Wasser bringen zu wollen. Man umklammerte die Kniee dieser Scheusale in Menschengestalt und beschwor sie bei Allem, was dem Menschen heilig ist, ihrer nicht vergessen zu wollen. Viele hörten nicht eher zu flehen auf, bis ihnen dieses Gesindel einen Schwur geleistet, sie von dem Schlachtfelde auf den Verbandplatz tragen zu wollen, wenn sie mit ihrem Rauben und Plündern zu Ende gekommen. Sie schwuren, aber sie kamen nicht wieder. Verwundete in den Spitälern, die oft erst nach Tagen halbtodt von den Schlachtfeldern ohne jede Bekleidung aufgelesen wurden, erzählten mir von Gräueln, die niederzuschreiben die Feder zu schwach ist.‘“




Arnold Schloenbach.[1]
(gestorben am 17. September).

Der hohen Schwung’s die Freiheit stets gesungen,
Gefesselt lag er selbst in schweren Banden:
Noth hat und Sorge lauernd ihn umstanden,
Aus kranker Brust ist ihm das Lied erklungen;

5
Ein stiller Held hat er sich durchgerungen,

Treu blieb das Herz, ward auch die Kraft zu Schanden,
Er ist am Ziel, die düstern Schatten schwanden,
Und um die Dornen wird der Kranz geschlungen.

Ein deutsches Kämpfen und ein deutsches Dichten –

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Der Tod erst muß solch’ herbes Loos versöhnen,

Wer hat den Muth, die Schuldigen zu richten?
Wollt Ihr des späten Dankes Euch entwöhnen,
Dem Leben schon erfüllen Eure Pflichten:
Ein freies Volk nur kann die Freien krönen!
 Albert Traeger.


  1. Unsern Lesern ist Arnold Schloenbach durch manchen interessanten Beitrag, den er als langjähriger Mitarbeiter der Gartenlaube geliefert hat, lieb geworden, wie ihnen sein freiheitliches Streben und Dichten bekannt sein wird. Sie werden daher mit Antheil die Verse lesen, in denen ein geistesverwandter Poet Sinnen, Wesen und Schicksale des Heimgegangenen so wahr und warm charakterisirt hat.

Zur Nachricht. Mangel an Raum macht auch diesmal leider unmöglich, eine weitere Quittung der neuerdings eingegangenen Beiträge für die Verwundeten und Hinterbliebenen der Gefallenen zum Abdruck zu bringen. In nächster Nummer wird sie indeß bestimmt erfolgen. Die Redaction. 


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_680.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)