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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Alwine war im Stillen nicht beunruhigt über diesen Punkt; Anfänger sind es überhaupt nicht!

„O gewiß nicht. Ich würde es unbedingt drucken lassen!“

„Dann sei es auch mit meinem Namen!“

„Ich habe nichts dagegen!“

„Aber wo räthst Du mir? In unserem Provincialblatte hier, das möchte ich doch nicht … es ist mir nicht aristokratisch genug.“

„Du hast Recht … wenn Du willst, sende ich die Arbeit an die ‚Winterblüthen‘ in Leipzig; der Redacteur ist mein Universitätsfreund und deshalb wird die Sache dort keine Schwierigkeiten haben.“

„Ach, das hast Du mir ja nie gesagt; das ist vortrefflich; Du schreibst Deinem Freunde dann auch, er solle Dir ja recht offen und ausführlich seine Meinung über die Arbeit sagen und was er von meinem Talente halte, ob er mich ermuthige …“

„Daran zweifle ich nicht im Mindesten; diese Leute ermuthigen immer!“ fiel Ernst ein wenig sarkastisch ein.

Sie warf einen mißtrauischen Blick auf ihn. „Du meinst es doch ehrlich?“

„Wie sollt’ ich nicht?“

„Ach, Du kannst so spöttisch sein – eben kam mir der Gedanke, Du wollest meinen armen Erstlingsversuch nur an Deinen Freund senden, damit er ihn mit einem Protestbriefe gegen solche Talentlosigkeit zurückschicke und ich dann gedemüthigt nie wieder …“

„Welche Bosheiten Du mir zutraust!“ fiel Ernst lachend ein; „ich bitte Dich, liebes Kind!“

Und damit nahm Ernst das Manuscript, machte ein sauberes Paket daraus und sandte es nach Leipzig. –

Alwine sah in großer Spannung und Aufregung der Antwort des Redacteurs entgegen. Diese ließ lange auf sich harren … acht Tage vergingen, es vergingen vierzehn … war dies ein gutes oder ein böses Zeichen? … ein gutes, sagte Ernst, ein böses, ahnte Alwine, – aber sie täuschte sich zu ihrer angenehmsten Ueberraschung. Am Ende der vierzehn Tage lief eine starke Kreuzbandsendung von Leipzig ein, und diese enthielt drei Exemplare eines vollständigen Abdrucks der Novelle Alwinens. Zitternd nahm sie die Bogen zur Hand; mit Herzklopfen las sie unter dem Titel: „Die Scheinehe“ die Worte „Erzählung von Alwine Northof“ … es lag etwas ängstlich Berauschendes, worin sich fast etwas vom Reize des Verbotenen mischte, und doch wieder etwas von freudigem Stolze in diesem Gefühl … wie merkwürdig sah ihr Name so gedruckt aus – so ganz anders, als wenn er geschrieben wurde … Und wie gut machte sich so gedruckt der Anfang der Novelle; es war, als ob die Typen etwas Magisches hätten, um Alles so viel schöner, geistreicher, bedeutungsvoller zu machen, als es sich in der Handschrift ausnahm … es war doch ein ganz einziges Gefühl, es anzusehen, es lag etwas unendlich Angenehmes, Verlockendes darin!

Ernst beobachtete still seine kleine Frau, während sie das Journal in zitternder Hand hielt und die erste Spalte, deren Buchstaben ihr fast vor den Augen schwirrten, überflog. „Armes Kind,“ sagte er sich dabei, „hättest Du jetzt nicht Deinen Schutzgeist in der Nähe, so wärst Du von nun an und auf ewig dem Teufel der Blaustrümpfe verfallen!“ Er nahm zwei der übersandten Exemplare an sich und ging damit in sein Arbeitszimmer, um, wie er sagte, die Erzählung jetzt recht ungestört durchzulesen. In seinem Zimmer aber schob er jedes der beiden Exemplare in ein Couvert, versiegelte und adressirte es und sandte seinen Schreiber damit zur Stadtpost. Dann setzte er sich ruhig an seine Arbeit, um sich erst Abends davon zu erheben, sein Cigarren-Etui zu sich zu stecken und geradenwegs in seinen Club zu gehen.

Als er um neun Uhr heimkam und kaum die ersten Stufen der Treppe betreten hatte, hörte er oben heftig eine Thür öffnen und Alwinens Kleid über den Vorplatz rauschen und im nächsten Augenblick sah er sie oben an der Treppe stehen und hörte sie mit einem Tone wahrer Verzweiflung ihm entgegenrufen:

„O mein Gott … Ernst … Ernst … kommst Du endlich, endlich … wie kannst Du mich so verlassen!“

„Was ist geschehen, was ist Dir, liebes Kind?“ versetzte er, die letzten Stufen der Treppe hinaufspringend.

Sie eilte über den Vorplatz zurück in’s Wohnzimmer. Er folgte ihr.

„Sprich, was ist vorgefallen?“ fuhr er fort, nach ihr die Schwelle überschreitend und die Thür schließend, während sich Alwine wie in tiefem Jammer auf das Sopha warf, „Du weinst, Du bist außer Dir …“

„O mein Gott, dazu habe ich allen Grund,“ rief sie wehklagend aus, „weshalb hast Du mich so unbeschützt allein gelassen … ein Mensch war hier, ein zorniger, rasender Mensch, der mir alle möglichen Vorwürfe machte und der sich durchaus mit Dir schießen will …“

„Ein Mensch … der Dir Vorwürfe machte … und weshalb? Und mit mir schießen will?“

„Du fragst noch, weshalb? Weshalb anders, als wegen der entsetzlichen Erzählung; er sagt, daß das seine Geschichte sei, ich hätte ihn dadurch auf’s Abscheulichste bloßgestellt, ich hätte ihn der Welt als einen Betrüger dargestellt; er wolle wissen, wie es mir möglich gewesen, so tückisch an ihm zu handeln; er habe mir nie etwas Uebles gethan und nun mache ich ihn ewig unglücklich; er wolle wissen, wie ich seine Geschichte erfahren, er wolle Genugthuung, und da ich ihm keine geben könne, so wolle er sie von Dir; er wolle, daß Du Dich mit ihm schießen sollest, und ich könne mich darauf verlassen, daß er Dir eine Kugel durch den Kopf jagen werde!“

„Das ist ja eine wunderliche, räthselhafte Sache,“ fiel Ernst ein, „der Mensch muß verrückt sein.“

„O nein, nein, nein, er sprach durchaus nicht so, nur in großer Wuth war er gegen uns Beide.“

„Wirklich nicht verrückt? Aber was geht ihn denn unsere Geschichte an?“

„Unsere Geschichte? das ist es ja eben, er sagt, es sei seine Geschichte, und nicht allein ihn hätte ich compromittirt, sondern auch seine frühere Braut, und jetzt auf immer sein Glück vernichtet, indem seine jetzige Braut mit ihm brechen werde …“

„Und wie hieß der Mensch?“

„Das hat er mir gar nicht gesagt … glaubst Du denn, ich hätte danach noch fragen können? … mir begannen schon nach seinen ersten Worten die Sinne zu schwinden … o mein Gott, Ernst, was haben wir angerichtet, wozu hast Du mich verleitet!“

(Schluß folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 22. Das gesühnte Opfer.
Mit Abbildung.


Kaum daß die erste aufdämmernde Helle eines Herbstmorgens die Sterne über einem tiefblauen böhmischen Gebirgskamme erbleichen ließ, während die hoch am Firmamente stehenden noch hellstrahlend den dunklen Aether durchblitzten, so erkannte dennoch schon das geübte Auge des Jägers die schwarze Gestalt eines Hirsches, der eben über ein hochgelegenes einsames Gehau dahinzog. Und als das Frühlicht mehr und mehr zunahm, konnte der Beobachtende sehen, wie der Hochgeweihte in heißer Liebesbrunst, mit gesenktem Kopfe tief am Boden hinsuchend, der frischen Fährte des vorangezogenen Wildes folgte, dann und wann plötzlich das gekrönte Haupt emporwerfend, und mit aufgezogener Oberlippe und weitgeöffneter Nase gierig in die Luft hinaus witterte. Dabei entstieg der tief- und heißathmenden Brust des Erregten der dampfende Broden, besonders als er nun, erst in kurz abgebrochenen Tönen, darauf aber in langgezogenem Schrei seine Stimme erschallen ließ. Dann zog das königliche Thier weiter, dem nahen, bergenden Dickicht zu. Doch noch ehe es dasselbe erreichte, donnerte der scharfe Knall einer Büchse durch die Waldesstille und mit ihm flog, hoch emporschnellend, der Edle vorwärts, eine Leithe hinab, so daß er im nächsten Augenblicke dem verfolgenden Auge gänzlich entschwand.

Dafür sah man an der Stelle, wo der Schuß gefallen war und die jetzt ein leichtes Rauchwölkchen, das am schwarzen Holzrande dahinzog, näher bezeichnete, einen mit Gewehr bewaffneten, bäurisch gekleideten Mann schleichend aus dem Forste treten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_670.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)