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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

aber klingele doch noch einmal, die Köchin scheint es überhört zu haben.“

„Und wie ist die Geschichte?“ sagte Alwine, noch einmal die Klingelschnur ziehend.

„Ich bedaure wirklich, daß ich sie Dir nicht erzählen kann.“

„Ist sie nicht für ein Frauenohr?“

„O doch … aber sie ist mir als Anwalt anvertraut, sie ist nicht mein Geheimniß.“

Alwine verzog schmollend den Mund.

„Es ist sehr garstig von Dir, daß Du mir nicht einmal so viel vertraust.“

„Herz,“ sagte Ernst, seine kleine Frau umschlingend und sie auf die Stirn küssend, „und ich sage Dir, es ist sehr ungerecht von Dir, daß Du so redest. Sieh’, kann die Geschichte nicht Menschen betreffen, die Du kennst, mit denen Du zusammentriffst und denen an Deiner Achtung gelegen ist, und könnten sie nicht ganz besonders wünschen, daß auch Du ihre Geschichte nicht erfährst, weil sie dadurch in Deiner Achtung zu verlieren fürchten?“

Alwine war durch diese Andeutung nur noch gespannter auf die Geschichte geworden, und deshalb machte das Plaidoyer ihres Ernst nicht den erwünschten Eindruck auf sie.

„Ich weiß aber wirklich nicht, wo die Suppe bleibt,“ sagte dieser.

„Ich will einmal selber in die Küche gehen,“ antwortete Alwine, sich ihm entziehend.

Ernst schritt unterdeß düster zur Erde blickend und die Hände auf den Rücken legend im Zimmer auf und ab.

„Dieser böse Alte!“ flüsterte er nach einer Weile. „Ich weiß wirklich nicht, was der arme Mensch, der sich so in seiner eigenen Schlinge gefangen hat, nun beginnen soll!“ Er ging so eine Viertelstunde hin und her, bis seine Gattin zurückkam, die Köchin mit der dampfenden Suppenschüssel hinter sich.

„Sie kommt, sie kommt, des Mittags stolze Flotte,“[WS 1] rief mit erhitztem Gesicht und ein wenig verlegenem Lächeln Alwine eintretend aus.

„Freilich, spät kommt Ihr, doch Ihr kommt!“[WS 2] erwiderte Ernst, „es ist jetzt halb drei, mein liebes Kind, weißt Du das?“

„In der That?“ sagte Alwine nach ihrer Uhr sehend. „Wirklich … wie mir die Zeit verflogen ist!“

„Ueber Deinen Tagebuchgedanken?“

„Nun ja, wenn Du willst,“ entgegnete die junge Frau ihrem Gatten verlegen … „ich war wirklich so absorbirt …“

„Absorbirt? Das ist ja merkwürdig! Da bitte ich Dich, daß Du mir Deine Gedanken, die Dich so in Anspruch genommen haben, daß Du darüber Deinen armen, hungrig heimkehrenden Mann vergaßest, vorliesest.“

Alwine schüttelte lächelnd den Kopf.

„Geheimniß gegen Geheimniß!“ sagte sie schelmisch und eifrig, „Du bekommst nun auch meine Geschichte nicht.“

„Deine Geschichte?“ fragte er erstaunt.

Sie erröthete. „Ich sehe, ich habe mich verrathen,“ sagte sie … „ja, so wisse es denn, ich habe mich abgequält, eine Geschichte zu erfinden, ich möchte gar zu gern einmal selbst etwas schreiben, und meine Freundin Therese Gerten, die für die ‚Iris‘ arbeitet, quält mich so …“

Ernst warf einen Blick voll einer nicht sehr angenehmen Ueberraschung auf seine Frau.

„So, die Gerten quält Dich … und Dein eigener Ehrgeiz, als Dichterin zu debutiren, wohl auch?“

„Das sagst Du so sarkastisch … wäre es Dir denn nicht recht? Ich habe so viele freie Zeit, wenn Du bei Deinen Acten oder in Deinem Weinclub bist …“

„O gewiß, liebes Kind, wenn es Dir Vergnügen macht, ist es mir ganz recht. Findest Du nicht, daß der Braten wieder einmal zu spät aufgesetzt und zu rasch fertig gemacht ist?“

Alwine schwieg verstimmt über diese so wenig zum Gegenstand des Gesprächs passende Bemerkung. Es war so gleichgültig, ob der Braten ein wenig rascher oder langsamer fertig gemacht war, und Alwine hätte so gern dieses Gespräch zu einem befriedigenden Ende geführt. Aber Ernst ging nicht weiter darauf ein. Er verzehrte einsilbig sein Mahl.


Nach Tische, als Ernst seine Cigarre angezündet hatte, sah er eine Weile sehr nachdenklich den blauen Rauchwirbeln nach, und als ihm Alwine den Kaffee brachte, sagte er wie zerstreut:

„Du sprachst mir vorhin von einer Geschichte, welche Du erfinden wolltest, um Dich in der Schriftstellerei zu versuchen. Hast Du es sehr schwer gefunden, liebes Herz?“

„Ach ja, das ist’s ja eben,“ versetzte sie lebhaft und erfreut, ihn zu einem Thema zurückkehren zu sehen, daß sie in diesem Augenblick so sehr in Anspruch nahm … „ich finde es fürchterlich schwer, einen Stoff zu erfinden.“

„Und Du bist nicht damit zu Stande gekommen?“

„Mit gar nichts. Zehnerlei Gedanken sind mir durch den Kopf gegangen, aber es kam mir Alles als höchst gewöhnlich und als schon dagewesen vor …“

„Ich denke mir,“ fuhr Ernst fort, „man müßte es nicht erzwingen wollen, sondern sich ganz dem freien Spiele der Phantasie hingeben und sehen, was sie ausspänne. Auch würde ich nicht gerade etwas ganz Absonderliches, Abenteuerliches zu ersinnen streben. Ich verstehe nicht viel davon, aber ich meine, an einem einfachen Stoffe bewährt sich am besten das Talent; nur die Ohnmacht, der Mangel an eigentlichem Talent sucht durch Effecte und unglaubliche Abenteuer, durch nie dagewesene und nie mögliche Dinge zu fesseln und zu spannen.“

„Darin bin ich ganz Deiner Ansicht; einfache Geschichten, wenn sie nur geistreich und hübsch vorgetragen sind, zieht Jedermann, der nur einigen Geschmack hat, vor …“

„Nun, so erfinde Dir eben eine ganz einfache Geschichte und trage sie hübsch und geistreich vor, das kann Dir doch nicht schwer werden.“

„Doch, doch, wenn Du es einmal versuchtest,“ antwortete Alwine, ohne den etwas spöttischen Ton, womit dies gesagt wurde, zu beachten, „so würdest Du sehen, wie schwer es ist, auch die einfachste Geschichte zu erfinden.“

„Ich will Dir helfen.“

„Du?“ sagte lächelnd Alwine.

„Traust Du mir es nicht zu?“

„Dir – wahrhaftig nicht! Höchstens eine verwickelte Proceßgeschichte würdest Du ausspintisiren …“

„Nun, wir wollen sehen … mir ist, als wär’ ich eben in der Stimmung. Setz’ Dich zu mir, und dann beginnen wir. Aber freilich, beginnen mußt Du, damit die Sache erst einmal in’s Rollen kommt.“

„Nun, siehst Du!“ sagte triumphirend Alwine, sich neben ihn auf das Sopha setzend.

„Ich sehe,“ sagte Ernst, sich die Stirn reibend. „Aber so beginn’ doch nur … Du sagtest ja, Du hättest zehnerlei Gedanken gehabt … nenne mir einen dieser Gedanken … ich hoffe, haben wir nur erst einen Nagel, ihn in die Wand zu schlagen, so findet sich auch etwas, es daran zu hängen!“

„Einen meiner Gedanken will ich Dir mittheilen. Ich stellte mir einen recht bösen, zornigen, tyrannischen, das Geld über Alles liebenden Vater vor …“

„Und eine Tochter!“ fiel Ernst ein.

„Und eine Tochter, sehr liebenswürdig, sehr anziehend, von tiefer Empfindung …“

„Natürlich,“ nickte Ernst. „Und einen jungen Mann …“

„Der junge Mann,“ fuhr Alwine fort, „ist von großer, schlanker Figur; er hat Deine Figur, Ernst; auch dunkelkastanienbraunes Haar, an den Spitzen ein wenig gelockt; Du weißt, ich liebe das so,“ setzte Alwine hinzu, indem sie zärtlich und erregt mit den weißen Fingern das Haar ihres Gatten zurückstrich, „er ist dabei ein Ausbund von Bravheit; er hat eine Mutter, welche ganz von ihm abhängt und die er mit zärtlichen Sorgen umgiebt; er ist nicht geistreich, nicht beredt, nicht glänzend, es wird ihm sogar schwer, sich auszusprechen und den Ausdruck für das, was er fühlt, zu finden; aber er empfindet unendlich tief, leidenschaftlich tief, und dabei ist er eine eben so aufopferungsfähige wie verschlossene Natur; er ist der größten, heldenmüthigsten Hingabe fähig …“

„Prächtig, mein Kind, ganz prächtig; ich sehe, Du hast Dir den Charakter Deines Jünglings mit der ganzen Vorliebe einer Frau für ihren ‚Helden‘ schon ausgearbeitet; Du hast gewiß auch schon bedacht, wie Du ihn kleiden willst, doch immer schwarz, denk’ ich, und im Salon, worin eine glänzende Gesellschaft versammelt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. zitiert nach: Friedrich Schiller, Gedichte (1776-1805). Die unüberwindliche Flotte.
  2. zitiert nach: Friedrich Schiller, Wallenstein-Trilogie (1799). Die Piccolomini, I, 1 / Illo
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_666.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)