Seite:Die Gartenlaube (1866) 658.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

spielen, setzte sich in seinem Herzen fest, vielleicht genährt und geschürt auch durch aufhetzende Einflüsterungen der Höflinge, die hier endlich das geeignete Mittel gefunden zu haben glaubten, einen Bruch mit der verpönten Geliebten herbeizuführen.

So mochte er in vergeblichem Kampfe gegen wühlende Leidenschaft und heißauflodernden Zorn schon einige qualvolle Wochen verlebt haben, als er eines Tages an der Apotheke vorüberging und hier am offenen Fenster im Scheine der jungen Frühlingssonne wiederum den Verhaßten und neben ihm in heiter vertraulichem Geplauder die strahlende Gestalt Louisens sah. Dieser Anblick reichte hin, die letzte Spur menschlicher Erwägung und Rücksicht aus seinem Innern schwinden zu lassen. Von der blutlechzenden Wuth des Tigers ergriffen, stürzte er mit gezogenem Degen in das Zimmer und mochte wohl dem überraschten jungen Manne ein noch entsetzlicheres Antlitz zeigen, als es der Herr von Chalisac in Venedig gesehen. Denn der plötzlich Ueberfallene ergriff sofort die Flucht, rannte angstvoll von Zimmer zu Zimmer, bis er in einem entlegenen Gemache von dem hinter ihm herstürmenden Wütherich ereilt und ohne Erbarmen meuchlings niedergestoßen wurde.

Lautlos brach der hoffnungsvolle, kenntnißreiche Sohn einer angesehenen Familie unter diesem Gewaltstreich fürstlichen Rachedurstes zusammen, kaum ein Augenblick war von dem jähen Ueberfalle bis zur Vollführung des gräßlichen Mordes verflossen. Ein Gemurmel tiefen Entsetzens ging durch die Stadt, aber Niemand wagte es, den Zorn des Mörders zu reizen, gegen ihn aufzutreten oder überhaupt dieser natürlich straflos gebliebenen Schandthat zu gedenken, die sicher niemals wäre aufgezeichnet worden, wenn sie nicht durch mündliche Ueberlieferung im Gedächtniß der Bewohner sich erhalten hätte. Bezeichnend namentlich ist es, daß sich von dem Namen, den Angehörigen und nähern Verhältnissen des Ermordeten schon vor siebenzig Jahren bei den ältesten Bewohnern nicht die geringste Kunde erhalten hatte.

Ob Leopold selber jemals ein Gefühl der Beunruhigung oder Reue wegen dieses von liebedienerischen Schriftstellern als „Uebereilung“ und „Jugendstreich“ bezeichneten Verbrechens empfunden hat, läßt sich aus Allem, was über ihn bekannt geworden, nicht ersehen. Man weiß nur, daß er sich mehrere Tage nach Verübung desselben zur Eröffnung seiner kriegerischen Laufbahn nach den Niederlanden begab und noch in späteren Jahren über sein fast unmittelbar nach jenem Morde erfolgtes Eintreffen beim Heere also schrieb: „Es kann wohl kein Mensch begreifen, als der von Jugend auf so viel Lust zu dienen in sein wallendes Herze hat, wie ich beständig in das meinige befand, daß ich mir so vergnügt sahe, als ich es mir tausend und tausend Mal gewünscht hatte, das Glück zu erleben, was ich anjetzo völlig besaß.“

Nur seinen Zorn gegen die Hofschranzen, die ihm in Bezug auf die Unschuld der Geliebten unwahre und verdächtigende Mittheilungen gemacht, hatte er vor seinem Abgange von Dessau noch ausgelassen und hoch und theuer geschworen: „Anne-Liese wird meine Frau, und nunmehr ganz wie sie da ist, ohne adelige Zuthat!“


Wie der junge Selbstherrscher, der schon bis zu seinem achtzehnten Jahre so entschiedene Proben einer ganz bestimmten Sinnes- und Wesensrichtung kundgegeben hatte, nachher in schnellem Aufsteigen zu glänzendem Waffenruhm und beinahe unumschränkter Feldherrngewalt sich entwickeln mußte; wie aus ihm in einem fast ununterbrochenen Kriegs- und Lagerleben, in vierundzwanzig Feldschlachten und dreiundzwanzig Belagerungen, die er siegreich bestanden, allmählich jene grell individualisirte, durch grotesk ungeheuerliches Gepräge aus Hunderttausenden hervorstechende Originalgestalt, kurz jener gefürchtete und in der That auch fürchterliche Mensch geworden ist, den der gleichwohl an seine Eigenthümlichkeit sich knüpfende Volkshumor den „alten Dessauer“, den „Schnurrbart“ oder den „Schwerenöther“ nannte, wird nach den vorgeführten Scenen und Mittheilungen aus seiner ersten Jugendperiode kein psychologisches Räthsel sein. Seine Lebensgeschichte zu erzählen ist hier nicht unsere Absicht. Nur aus einigen Zügen derselben wollen wir ein Bild seiner Art, seines Charakters, seiner in mancher Hinsicht sehr denkwürdigen Persönlichkeit zu gewinnen, wollen wir uns namentlich den ungeheueren Abstand deutlich zu machen suchen, den die Gedankenarbeit eines einzigen Jahrhunderts zwischen dem Boden, auf dem wir gegenwärtig stehen, und den Culturverhältnissen eines Zeitalters gerissen hat, in welchem eine so monströse Erscheinung, wie diese, überhaupt noch möglich, ja sogar beliebt und volksthümlich war. Wir überspringen daher gleich diejenigen Jahrzehnte, welche allen bereits in dem Knaben und Jüngling so stark sich äußernden Neigungen und Anlagen den ungehindertsten Spielraum zu allseitiger Bethätigung geboten hatten, und finden den allgewaltigen Heerführer, den gefeierten Helden und Sieger von Hochstädt, Cassano, Eutin und Stralsund in jener langen Reihe von Friedensjahren wieder, unter der Regierung des friedliebenden Soldaten- und Paradekönigs seiner an kriegerische Bewegung gewöhnten, unaufhörlich nach Schlachtgetümmel dürstenden Natur so unwillkommene Schranken setzten.

Man weiß, daß er inzwischen längst auch die Regierung seines eigenen Landes angetreten, unmittelbar darauf der Geliebten seiner Jugend die allerdings frisch noch mit dem Blute ihres Verwandten befleckte Hand gereicht, sie durch Vermittlung des Kaisers zur ebenbürtigen Reichsfürstin erhoben und eine lange, glückliche, durch zahlreiche Nachkommenschaft gesegnete Ehe mit ihr geführt hat. Auch ist es bekannt, daß er sich hohe Verdienste um den preußischen Staat nicht blos auf den Schlachtfeldern erworben, sondern daß er überhaupt der erste Schöpfer und Ordner der preußischen Armee und der Begründer ihrer Kriegstüchtigkeit gewesen ist. Alle diese Erfolge hatte der junge Staat, dem er mit Leib und Seele ergeben war, nur seiner genauen Sachkenntniß, seiner niemals ermüdenden Willenskraft, der Energie seines rastlosen Feuereifers, sowie einer ganzen Reihe von bedeutsamen Erfindungen zu danken, durch welche sein militärischer Genius die Bewegung, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung der Truppen in durchgreifender Weise vervollkommnet hat. In der neuen europäischen Kriegsgeschichte glänzt unbestreitbar sein Name als ein Stern erster Größe.

Aber die Stürme und Mühseligkeiten, die Gefahren und Leidenschaften eines solchen Lebens waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Kaum jemals haben Beruf und Beschäftigung der Erscheinung eines Mannes so fest und unverkennbar ihren Stempel aufgedrückt. Die ihn in der Jugend gesehen, erkannten ihn schon nach zwanzig Jahren nicht wieder. Das blühende Roth der Wangen, der Schmelz, den jugendliche Frische über rauhe und harte Züge gebreitet hatte, war längst gewichen und hatte einer auffallenden Schwärze Platz gemacht, die von seinen Zeitgenossen theils dem Pulverdampfe, theils der rauhen Luft und der brennenden Sonnenhitze zugeschrieben wurde. Dabei war das Feuer seiner Augen nicht matter geworden, sondern stammte noch unheimlicher als früher aus diesem schwarzen und starkknochigen Gesichte hervor, dessen lebhafter Ausdruck, gleichfalls nach zeitgenössischen Mittheilungen, „zwar etwas Glückliches und Nachdenkliches, zugleich aber auch Furchtbares zeigte, dem man gern ausweichen mag“. Und in der That sah man oft Leute, selbst ganze Massen, denen er noch nicht begegnet war, vor seiner hohen, über die gewöhnliche Körperlänge hinausragenden Gestalt mit dem gewaltigen Kopfe zurückweichen, wie vor dem plötzlichen Erscheinen eines wilden Thieres. Niemand behielt leicht die Fassung, der unvermuthet von seinem Blicke getroffen wurde; man nahm den Eindruck des Schreckens mit von ihm weg, vorzüglich wenn er zu sprechen begann. Denn abgesehen von der kurzen und harten Art seiner gewöhnlich mit Flüchen untermischten Anrede hatte auch seine Stimme durch das fortwährende Befehlführen die herbe Derbheit seines ganzen Wesens angenommen, selbst wo er freundlich war und es gut meinte. „Wenn er aber in Zorn geräth,“ sagt Einer, der ihn gekannt hat, „sind seine Worte dem Donner gleich und Alles um ihn her hat zu erzittern.“ Als Erhöhung der Scheu, welche sein Anblick einflößte, wird von gleichzeitigen Berichten auch das lang und zwanglos an den Seiten herabhängende, hinten in einen Bandzopf eingebundene schwarze Haar, sowie der schwarze Zwickelbart bezeichnet, dem er einen seiner Beinamen verdankte.

Trotzdem zeigte sein Gesicht nicht immer den finsteren und tigerhaften Ausdruck. Wenn sich der Schalk in ihm regte, oder wenn ihm etwas gefiel und sein Behagen erweckte – und es waren dies in der Regel nicht die zarteren und feineren Seiten des menschlichen Lebens – konnte sich auch ein leiser Schimmer freundlicher Gemüthlichkeit über sein meistens rohes und schweigsames Wesen verbreiten. Solch’ ein Moment ist es, in dem wir ihn auf dem in unserer vorigen Nummer befindlichen Bilde finden. Um aber ganz die charakteristische Scene zu verstehen, welche auf diesem Bilde in einer so sprechenden Weise verewigt wurde, müssen wir uns erst noch einige Eigenthümlichkeiten des eisernen Alten vergegenwärtigt haben.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_658.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)