Seite:Die Gartenlaube (1866) 654.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„So komme ich zu Euch und so werde ich bei Euch bleiben!“ rief das Mädchen durch das Fenster, und der junge Förster sprang hinaus und schloß sie in seine Arme und führte sie im Triumphe in sein Haus und zu seiner Mutter.

Manches Jahr war Agathe in dem kleinen Försterhause seine treue Försterin. Dann freilich – der Fürst war gestorben und sein Sohn – von Kron- und Erbprinzen hofft man immer Besseres und man spricht daher immer das Beste von ihnen, bis sie Regenten geworden sind – der Sohn des Fürsten machte eine Ausnahme, er wurde, was er und was man sich von ihm versprochen hatte, und der junge Fürst kam auch eines Tages in die kleine Försterei, um die junge Försterin zu sehen und dem Förster anzutragen, daß er sein Oberförster werde und in das Jagdschloß ziehen möge. Und das junge Paar zog in das schöne Jagdschloß, und nur die Erinnerung an das unglückliche Leben ihrer Mutter und das traurige Ende ihres Großvaters legte dann und wann einen trüben Schleier um Agathens Glück.




Land und Leute.
Nr. 23. Ein Gang durch das Ries.
Mit Abbildung.


Auch mitten im letzten Kriege hat es, oft in der Nachbarschaft der Kampfstätten selbst, von allem Waffenlärm unberührte friedliche Oasen gegeben, in denen äußerlich das Leben seinen altgewohnten Gang ging, als fluthe ein Ocean zwischen ihrer idyllischen Ruhe und dem Weltbrand draußen. Nach einer solchen friedlichen Oase, in der ich mich auf ein paar Tage von der fieberhaften Aufregung erholen wollte, wie sie damals, ehe vor Königgrätz die Entscheidung gefallen war, die widersprechendsten Berichte von dem großen Kriegsschauplätze in Böhmen über die Gemüther brachten, bitte ich den Leser mich zu begleiten. Es ist überdies ein so charakteristisches Stück deutscher Erde, wohin ich ihn führe, daß ihn sicher der Gang nicht reuen wird. –

Der Juni neigte sich dem Ende zu. Durch das hochgewachsene Korn, das zu beiden Seiten der Straße seine schweren Halme im Winde beugte, schritt ich der alten Reichsstadt Nördlingen zu, deren hoher altersgrauer Thurm mir schon von ferne freundlich entgegenleuchtete. Dann tauchten Gärten auf, Mauern, Zwinger, stattliche Gebäude und Alleen, die sich im klaren sommerlichen Dufte zu einem prächtigen Bilde vereinten. Aber ich ging nicht allein durch die gesegnete Landschaft, überall wogte es von fröhlichen Menschen, die zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen mit mir demselben Ziele zustrebten: der Nördlinger Messe, welche vierzehn Tage lang andauert und ein Fest ist für das ganze Ries.

Welch’ buntes, mannigfaltiges Getreibe entwickelt sich da vor unsern Augen, gleichsam überwacht von dem alten Thurme der gothischen St. Georgskirche, der auf die vielen Menschen herabschaut, die sich von nah und fern hier vereinigt haben! Da liegen Tuchstoffe, Spielwaaren von Nürnberg, vielerlei Hausgeräth, Töpfergeschirr und all’ die Siebensachen, deren eine sorgsame Hausfrau bedarf. Mehr als die aufgestapelten Waaren und ihre meist israelitischen Verkäufer interessiren uns jedoch die Käufer. Städtische und ländliche Moden wogen da durcheinander; aber unser Auge bleibt immer und immer wieder auf den ländlichen Schönheiten hangen, die in ihrer kleidsamen Tracht mit ihren oft zierlichen und feinen Gestalten den städtischen Damen den Rang streitig machen.

Es war der zweite Meßsonntag, der sogenannte Bauerntag, an welchem von nah und fern alle ledigen Dorfleute nach Nördlingen geströmt waren. Drum sah man sie auch in ihren besten Kleidern und zwischen den schmucken Mädeln die strammen Burschen umherschäkernd. In der dunkelblauen Tuchjacke mit silbernen Knöpfen, schwarzen, knapp anliegenden Hosen vom schönsten Hirschleder und hohen über die Kniee gezogenen Stiefeln, die Kappe von Fischotter auf’s rechte Ohr gesetzt und den silberbeschlagenen Ulmer Pfeifenkopf im Munde, stolzirten die jungen Männer muthig einher und freuten sich des Tanzes, der da kommen sollte, denn außer der Kirchweih bietet nur noch die Nördlinger Messe der Dorfjugend eine Tanzgelegenheit.

Aber hier, wo die Stadtluft auf dem Landmanne liegt, können wir seine Bekanntschaft nicht machen, wir müssen mit ihm wieder hinaus vor die Thore der Stadt in sein Ries, diese besondere kleine Welt mit ihren Eigenthümlichkeiten und Gegensätzen. Denn dieser Gau, der sich wenige Stunden nördlich von der Donau längs der bairisch-würtembergischen Grenze hin erstreckt, wird von zerstreut durcheinander lebenden Protestanten und Katholiken bewohnt, die im nordöstlichen Theile (bei Oettingen) zum fränkischen, im südwestlichen jedoch zum schwäbischen Stamme zählen und theils Baiern’s, theils Würtemberg’s Staatsangehörige sind.

Am besten überschaut man den ganzen Gau von dem grauen Felsen des Fleckens Wallerstein, der einst das alte Schloß und jetzt die fürstliche Brauerei trägt, in welcher wir uns einen guten Trunk aus dem gepichten Bauche der hölzernen „Bitsch“ wohlschmecken lassen. Zu unseren Füßen liegt der Marktflecken mit dem fürstlichen Palais und dem Parke. Im Norden schaut Schloß Baldern in’s Ries herein; im Westen schweift der Blick bis zum Nipf, der sich bei Bopfingen, dem Abdera der Rieser, erhebt. Eine Stunde entfernt, nach Süden zu, sehen wir die mauerumkränzte Stadt Nördlingen; weiterhin die Ruine Hochaus, die ehemalige Benedictiner-Abtei Deggingen, sowie eine Menge stattlicher Dörfer, Kirchthürme und Klöster. Und zwischen diese Sitze der Menschen drängen sich gesegnete Felder, üppige Wiesen und grüne Wälder, in ihrer Gesammtheit eine fröhliche Landschaft bildend, deren bester Schmuck die arbeitsamen, gewerbthätigen und gemüthlichen Menschen sind. Haben die Rieser Bauern auch durch den Alles nivellirenden Strom der neuen Zeit vieles Alterthümliche in Sitten und Gebräuchen eingebüßt, so ist doch noch gar manches Eigenartige bei ihnen übrig.

Der Rieser ist ein echter freier Bauer, kein Pächter eines großen Herrn; er sorgt für seinen eigenen Hof und bestellt mit den Knechten und Mägden (den „Ehehalten“) den ererbten Grund und Boden. Er ist Pflüger, Schnitter und „Mahder“ (Mäher) im Sommer, drischt im Herbste sein Getreide aus, während die Frauen und Mädchen daheim spinnen, und fährt im Winter in die Waldungen, um Holz zu holen, oder er bringt das Korn zum Verkaufe in die Stadt, wo er feilscht und marktet. Unter der „Stadt“ vorzugsweise ist im Ries aber immer Nördlingen zu verstehen.

Eine Abwechselung ist es ihm dann, wenn eine Hochzeit im Dorfe stattfindet, die nach alter Sitte mit Essen und Trinken, Spiel und Tanz im Wirthshause gefeiert wird. Nach überliefertem Brauche gehört der Tanzboden von Mittag bis Abend den Hochzeitgästen. Hat aber nach der Abendmahlzeit und nach Abgabe der Hochzeitsgeschenke der Schulmeister eine Dankrede in Versen gehalten und mit seinen Zöglingen ein geistliches Lied gesungen, dann kündigt ein weltlich Lied, das ein kecker Bursche sich anzustimmen erlaubt, die Herrschaft der jungen Leute des Dorfes an. Das Brautpaar läßt sich von den Musikanten noch heimblasen und erst in der Stube des Brautpaares wird der Kehraus getanzt. So mischten sich Weltliches und Geistliches in der Ordnung des Festes, doch ist in den letzten Jahrzehnten Manches anders geworden, der die hochwürdige Geistlichkeit das Absingen der Choräle und die wohlweise Polizei das Heimblasen anstößig fand.

Der Inbegriff aller Fröhlichkeit und aller Genüsse des Dorfes, das Hauptfest im ganzen Jahre, ist aber die Kirchweih. Zur Zeit des alten deutschen Reiches erhielt die Rieser Kirchweih außer der kirchlichen noch eine gerichtliche Sanction. Der Amtsknecht der betreffenden Behörde verkündete feierlich das „Friedbot“ und tanzte beim „Platzaufführen“ die ersten Reihen allein. Die Stelle des Büttels übernimmt jetzt – oder wenigstens war dies noch vor etlichen Jahren der Fall – ein Bursche aus dem Dorfe, der sich durch einen geputzten dreieckigen Hut auszeichnet und das Fest auf dem Platze unter der Linde durch dreimaliges Alleintanzen einleitet. Früher tanzte man im Ries Walzer,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_654.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2018)