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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

vorher hatte der Gesangverein der deutschen Turnhalle zwischen den Toasten vierstimmige deutsche Lieder angestimmt und noch einmal trat jetzt dieser Männerchor zum Gesang zusammen. Aber man hörte ihm diesmal mit mehr Ungeduld zu, als sein vortrefflicher Vortrag verdiente. Endlich verhallten die letzten Töne, der Präsident gebot von Neuem Ruhe und – Gottfried Kinkel wurde als der nächste Redner angekündet. Die ganze Versammlung erhob sich nach diesen Worten, die in der Mitte des Saales Sitzenden drängten nach vorn, die Hintersten sprangen auf die Stühle und Bänke und lautlose Stille folgte dem Beifallsrufen, welches den Ehrengast begrüßte, indem er aufstand.

Er fing mit leisen weichen Tönen an und man fand es einen Augenblick schwer, seine Worte zu verstehen. Bald jedoch entdeckte man nicht ohne Ueberraschung, daß er englische Worte sprach. Um seiner alten englischen Freunde willen, deren er eine Anzahl ganz in seiner Nähe sah, so erklärte er, scheine es ihm nicht mehr als recht und billig, in der Sprache des Landes zu reden, das ihn mit so großer Gastfreundschaft aufgenommen und in dem er so glücklich gewesen. Seine Wirksamkeit als Lehrer hatte ihn vorzugsweise zu der englischen Damenwelt in Beziehung gesetzt und wie er diese so oft durch seine glänzende Beredsamkeit hingerissen, so spendete er den vortrefflichen Eigenschaften der englischen Frauen und Mädchen noch einmal in vollen Tönen ein Lob, welches in den Herzen, an die es gerichtet war, ohne Zweifel ein schönes Echo wachrief. Von seinem engeren Kreise ging er dann auf die Beziehungen zwischen England und Deutschland über. Die Mißstimmung der verflossenen Jahre, so hoffte er, werde jetzt verschwinden; Deutschland, seiner alten, kleinlichen Fesseln entledigt, gehe einer großen Zukunft entgegen und es gebe für England keine naturgemäßere und unüberwindlichere Allianz, als die mit einem einigen, freien Deutschland. Nun aber (und bei diesen Worten nahm Kinkel mit frischem Schwung die vaterländische Sprache auf), wolle er zu seinen deutschen Freunden auch Deutsch reden. Die Versammlung solle keine wohlgesetzte Rede von ihm erwarten. Er habe während der letzten Tage von einer langen ereignißschweren Vergangenheit Abschied genommen, Denksteine auf drei Gräber gesetzt, die er in England zurücklasse, eine vieljährige Correspondenz gesichtet und zum größten Theil verbrannt und das Gefühl des Scheidens ruhe schwer auf seiner Seele. Er wolle als Freund sprechen zu Freunden. Und der Anblick dieser großen, festlichen Versammlung, die ihm mit so viel Wärme und Herzlichkeit die Hand zum Abschied darreiche, stimme ihn auch wieder heiter und erfülle ihn mit Vertrauen auf seine Zukunft. Sie bestätige seinen Glauben, daß er bei aller Ueberzeugungstreue eine versöhnliche Natur sei, eine Natur, die es nicht verschmähe, mit Vielen demselben Ziele zuzuschreiten, so verschieden auch die Wege, die ihm entgegenführten. Unter den starren, schroffen Repräsentanten gewisser Parteien sei ihm deshalb mehr als ein Widersacher erwachsen. Er ehre die Wirksamkeit dieser Männer, er erkenne ihre Nothwendigkeit für die Entwickelung der Freiheit an. Aber andererseits glaube er auch das Zeugniß zu verdienen, daß er die Hand zur Versöhnung nie muthwillig zurückgestoßen habe. Auch in die Zukunft Deutschlands schaue er nicht mit dem Auge der Furcht und des Zweifels, sondern mit dem Blicke der Hoffnung. Ja, dieser Abend erfülle ihn mit der frohen Zuversicht, daß ihm selbst noch eine reiche Zukunft beschieden sei, und mit dem wärmsten Herzensdank an Alle, die ihn soweit theilnehmend auf seinem Lebenswege begleitet, rufe er den Freunden sein Lebewohl zu.

Dies ungefähr war der Gedankengang von Kinkel’s Rede. Der ernste Ton, worin er begann, wurde, je weiter er fortredete, von Blitzen des Humors und der Heiterkeit, von dem heitern Gelächter und dem lauten Beifall seiner Zuhörer unterbrochen und nachdem er geschlossen, drängte man sich von allen Seiten zum Handschütteln und Glückwünschen an das Ende des Saales. Hiermit war auch im Grunde das eigentliche Fest des Abends vorüber. Ein Toast auf die Schweiz, ausgebracht durch ein Mitglied des Comités, und ein in französischer Sprache gesprochener Gegentoast eines Schweizers, der Kinkel im Namen seiner Landsleute willkommen hieß und die Versammlung der lebhaften Sympathien der schweizerischen Republik für die durch Preußen angebahnte Wiedergeburt Deutschlands versicherte, hielten die Reihen der Versammelten noch in ziemlicher Ordnung an den Tischen. Dann erfolgte ein allgemeiner Aufbruch. Ich meinerseits hatte schon vorher einige Worte mit Kinkel und seiner Familie gewechselt und nahm nun zugleich von ihm und dem Festsaale des Whittington-Club Abschied.

Es war ein deutscher Abend in London, wie er nicht so leicht wieder wird gefeiert werden; der Schluß eines Dramas, von dem auch die Freunde im Vaterlande, die Kinkel während seiner Verbannung ein so lebhaftes Interesse bewiesen haben, zu hören sich freuen werden. Was auch der Gang seines künftigen Schicksals sein möge, in London wird er noch lange vermißt werden. Zum Schluß will ich noch erwähnen, daß Adele Kinkel, die sich als Musikerin, und Hermann Kinkel, der sich zum Ingenieur ausbildet, vorläufig in England bleiben, während Gottfried Kinkel jun. den Vater und die jüngern Familienglieder nach Deutschland hinüber begleitet.

Fr. Althaus.




Blätter und Blüthen.


Lebensmüde.[1] Am Nachmittage des 20. Juni d. J. war es, als sich in der an der Kreuzkirche gelegenen Wohnung des Advocaten J. in Dresden ein kleiner Kreis von Freunden und Gesinnungsgenossen zusammengefunden hatte.

Seit zwei Tagen waren die Preußen in Dresden eingezogen, und statt sächsischer Soldaten hatte man preußische Krieger als Einquartierung; man war den am Abend des 18. Juni Einrückenden sehr freundlich entgegengekommen, und „sächsische Höflichkeit“ hatte – wie eine Dresdner Zeitung meldete – die preußischen Helmträger sogar mit grünem Laube und duftenden Blumensträußchen geziert. Allein trotz der guten Disciplin, welche die preußischen Truppen in Dresden beobachteten, herrschte bei der großen Masse der Dresdner Einwohnerschaft doch eine gedrückte und unbehagliche Stimmung, und das Dresden, in welchem der General Herwarth von Bittenfeld im Namen König Wilhelm’s des Ersten der Oberstcommandirende war, sah doch ganz anders aus, als das Dresden, in welchem Herr von Beust mit seinem freundlichen, einschmeichelnden Wesen als erster Minister des Königs Johann geherrscht hatte.

Dies und Aehnliches bildete in der, oben erwähnten Gesellschaft den Gegenstand des Gespräches, als sich ein preußischer Landwehrofficier, Herr E. B., als Einquartierung anmeldete. Der liebenswürdige Hauswirth hieß den Ankömmling auf die freundlichste Weise willkommen, während die Hausfrau mit emsiger Geschäftigkeit ein Zimmer für den octroyirten Gast in Ordnung zu bringen eilte. Der Officier, früher einmal Gerichtsassessor, ward sogleich durch mich und Herrn Fabrikbesitzer M., einen langjährigen Freund des Advocaten J., in die Unterhaltung hineingezogen, und es zeigte sich bald, daß derselbe kein gewöhnlicher Mensch sei. Namentlich gereichte es mir zur besonderen Freude, in ihm einen früheren Kämpfer für die Sache der nordamerikanischen Union gegen den sclavenhaltenden Süden begrüßen zu können. Er erzählte uns nämlich, daß er gegen Ende des Jahres 1862 nach Amerika gegangen sei und im Sommer des darauf folgenden Jahres eine Officiersstelle in der Unionsarmee erhalten und darin mehrere der bedeutendsten Schlachten mitgefochten habe.

Nachdem sich das Gespräch längere Zeit in dieser Weise fortgesponnen, wurde Frau D., die schon häufig unsere geselligen Zusammenkünfte durch Gesang gewürzt hatte, aufgefordert, auch heute ein Liedchen zu singen. Zwar weigerte sich die Dame anfänglich, der an sie gestellten Aufforderung Folge zu leisten, weil, wie sie – vielleicht nicht ohne allen Grund – meinte, die Zeit, in der „Geschütze rasseln und Rosseshufe dröhnen“, zu ernst und nicht recht dazu angethan sei, um Lieder zu singen; indeß auf wiederholtes und allseitiges Bitten, dem sich namentlich auch der preußische Artillerieofficier anschloß, gab sie endlich nach, und sang, unter der Begleitung des Piano, mit Ausdruck und Gefühl das von Friedrich Rückert gedichtete und von Robert Schumann componirte Lied „die Widmung“, dessen erster Vers bekanntlich also lautet:

„Du meine Seele, Du mein Herz,
Du meine Wonne, Du mein Schmerz,
Du meine Welt, in der ich lebe,
Mein Himmel Du, darin ich schwebe,
     O Du mein Grab,
     In das hinab
Ich ewig meinen Kummer gab!“

Wir Alle hatten schweigend und aufmerksam dem durch Inhalt und Composition gleich ausgezeichneten Liede zugehört; vornehmlich aber schien unser preußischer Officier davon ergriffen zu sein. Schon während des Gesange hatte ich bemerkt, wie seine Brust sich schwer und bang hob; als aber die letzten Töne der Composition verklungen waren, füllten die Thränen eines überquellenden Gefühls seine Augen. Er erhob sich und blickte schweigend aus dem Fenster in die Nacht, die bereits ihre Schatten auf die Stadt herniedergesenkt hatte. Indeß faßte er sich bald wieder und bat um die Erlaubniß, selbst etwas auf dem Clavier vortragen zu dürfen. Er setzte sich an das Instrument und spielte. Aber sein Spiel glich dem schwarzen Schleier der Nacht, der so viel namenloses Elend und so manchen unbeschreiblichen Jammer zudeckt; es klang fast wie ein Notturno von

  1. Der Hauptwerth dieser Erzählung besteht vielleicht nur darin, daß ihr Inhalt buchstäblich wahr ist.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_647.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)