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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ihre Distanz. Es ist erstaunlich, wie weit man die Ziele sehen kann. Sie haben Recht: Heiligenbilder und abgeschälte Baumstämme sind prächtige Merkzeichen.“

Wieder sind Stunden vergangen und unter blutigem Ringen hat sich der Kampf in die Nähe des Bildes gezogen. Fast in den Boden gestampft haben Roß und Mann die Todten, in das Gebüsch hinter der Statue werfen sich die Schützen des Feindes und senden ihre Kugeln den Gegnern zu. Ein Hagel aus den Zündnadelgewehren treibt sie zurück in das freie Feld, sie sind dem Verderben preisgegeben, aber sie müssen sich stellen, Schuß auf Schuß donnert heran. Deckung vor dem vernichtenden Geschosse! Da erreichen ein paar der dem Verderben Geweihten das Bild, sie pressen sich an die Säule, einige Kugeln schlagen dagegen. Die Schützen haben eine Stelle gefunden, hinter welcher sie sich bergen können, aber sie dürfen nicht müßig stehen, sie müssen feuern, und so legen sie denn das Rohr an die Säule des Heiligen; den linken Arm untergestemmt, den Kolben an der Schulter haben sie einen sicheren Stützpunkt und hinter dem Bildstocke hervor kracht der Schuß, in den Busch sinkt der getroffene Feind. Nun schwirren die Gewehrkugeln um die heilige Statue, immer näher streifen die Verfolger, bis zuletzt das furchtbare Bajonnet die letzte Entscheidung herbeiführt; zum Tode matt fechten die Krieger um ihr Leben, Hülferufe senden sie zu dem Steinbilde empor – umsonst. Ein Stoß wirft den letzten zu Boden. Noch ein Mal versucht er es sich aufzuraffen, aber tödtlich getroffen sinkt er nieder, seine Arme umklammern die geweihte Säule und an ihrem Fuße bricht er leblos zusammen. Auf die Stufen klettert der Hornist, sein Signal schmettert laut hinaus in das Feld. „Sammeln“ bläst er, und von allen Seiten kommen die Männer herbei; noch knattern einzelne Schüsse. „Stopfen“ bläst der Hornist; das Feuer schweigt, und endlich ist das ganze Bataillon zusammen, Helme und Feldmützen wogen durcheinander, jubelnde Stimmen schallen und begrüßen sich, Bajonnete blitzen und über all’ die Hunderte ragt der Heilige empor. Schon sinkt der Abend nieder, die Schatten werden länger, aber die Statue ist weithin sichtbar von rothem Schimmer überfluthet, es ist der Feuerschein des brennenden Dorfes, dessen geflüchtete Bewohner einst das Standbild gesetzt haben, als sie sich und ihre Habe dem Schutze des Patrons empfahlen.

Verloren ist das Treffen für die österreichischen Männer. Die Nacht bricht ein. Aus der Ferne hallen die Schüsse herüber, welche die zurückweichende Armee und die sie verfolgende lösen, doch lebendig und bewegt ist die Scene, auf die der Heilige nun herniederschaut. Man bivouakirt auf dem Schlachtfelde, die Wachtfeuer flammen empor, die Proviantcolonnen kommen heran, Alles jauchzt ihnen entgegen, Brod, Fleisch, Salz – das Labsal wird vertheilt und die Flaschen kreisen. Dicht um den Heiligen stehen die Karren der Marketender und die Fuhrwerke der Proviantcolonnen. Um in der Dunkelheit eine möglichst gute Beleuchtung zu haben, sind oben an dem Capitäl der Säule, wo die pausbäckigen Seraphsköpfchen hervorblicken aus vergoldeten Wolken, Stalllaternen angebracht, auf die Stufen der Säule hat man Hackebreter gelegt und zertheilt die Fleischrationen, welche dann sofort in die brodelnden Kochtöpfe wandern.

„Wie viel Brode sind ausgegeben?“ ruft eine Stimme.

„Zweihundert,“ lautet die Antwort.

Jede Zahl, die da genannt wird, schreibt ein stämmiger Bursche auf, die Rechnung muß genau stimmen, und die zum Vertheilen Beorderten haben die Verantwortung; da der Rechner keine Schreibtafel bei der Hand hat, so ist ihm die glatte Seite des Postamentes, auf welchem der Heilige thront, sehr willkommen. Er schreibt mit Kohle oder Kreide seine Zahlen daran, wie man beim Kegelspiel die Würfe notirt, dann macht er einen Strich und addirt die Zahlencolonne. „Stimmt,“ ruft er, macht seine Finger naß und löscht die Summe aus, um darunter eine neue Reihe zu beginnen, die seine Fleischrationen aufzählt. – Die Leute haben ihren Vorrath empfangen und die Proviantwagen setzen sich nach einem andern Theile des Schlachtfeldes in Bewegung. Nun machen es sich die Leute bequem, so bequem als es nur irgend möglich ist, ihre Tornister werden zu Kopfkissen genommen und die zunächst am Heiligenbilde campiren, die stellen ihre Gewehre gegen das Postament. An dem gebogenen eisernen Arm, der bei festlichen Gelegenheiten die brennende Lampe zu Ehren des Schutzpatrons hält, hängt das Riemenzeug; die Ecken des Unterbaues tragen Helme oder die Spaten und Beile der Sapeurs. – Wenn der Mond aufgegangen ist, beginnt man, so viel es sich thun läßt, die Todten bei Seite zu schaffen, und endlich schnarcht die ganze zahlreiche Gesellschaft trotz Kälte, Nässe und Wind so fest, als wäre Jedem ein weiches Bett in der Heimath bereitet; nur die Posten sind lebendig und die zahllosen Wachtfeuer flackern lustig, ihren Schein weit hinaus in die Nacht werfend. Dicht neben dem Heiligen rammen zwei kräftige Jungen eine Stange in den Boden, auf deren Spitze sich ein Büschel getheerten Strohes befindet; morgen wird hier ein Posten aufgestellt und das Strohbündel ist ein Zeichen, ein Fanal zum Alarmiren, wenn sich wieder Feinde zeigen sollten, woran aber Niemand glaubt. Braucht der Wachtposten das Zeichen nicht zu geben – auch gut, dann finden die Pioniere, die morgen schon den Feldtelegraphen errichten werden, eine gute Stange, woran sie ihren Draht befestigen können, und dicht neben dem Haupte des Heiligen wird der elektrische Funke entlang lauten und Dinge in die Welt tragen, von denen in den dicken Legendenbüchern kein Wörtchen zu finden ist und die auf so geheimnißvolle, wunderbare Art befördert werden, daß vor einhundertundfünfzig Jahren etwa die Anhänger des Patrons da oben auf der Steinsäule die Erfinder als Höllenkünstler auf den Scheiterhaufen gebracht haben würden. Der Heilige sieht auch ordentlich trüb darein, wenigstens scheint sein Antlitz ernster geworden; er hört keine feierlichen Gesänge, sondern die bewaffneten Arbeiter singen lustige Weisen, wie: „Es waren mal drei Gesellen“ oder ein munteres Reiterlied oder im besten Falle das wehmüthig frohe „O Straßburg! o Straßburg, Du wunderschöne Stadt“, bis endlich einer der am Fuße des Bildstockes schnarchenden Cameraden die Sänger mit einem lauten „Maul halten“ zur Ruhe verweist, worauf die Sänger sich am Fuße des Heiligenbildes niederlassen und beim Scheine einer Laterne ihre Hosen flicken.

Solche Bilder und Scenen in der Nähe einer Heiligenstatue sind noch immerhin anziehend durch die lustige Stimmung, welche sie umschwebt, sobald einmal die ernsten Augenblicke vorüber sind; aber wie oft bietet das Bildstöckchen und dessen Umgebung reichlichen Stoff für ein Gemälde gar ernster und trüber Art, auf dem sich die schreiendsten Contraste so eng bei einander finden, daß die Phantasie des Malers oder Zeichners nichts Widersprechenderes erfinden könnte. Eine solche Scene konnte man beispielsweise am 7. Juli Abends rechts von der Landstraße vor Pardubitz beobachten; da stand ein Bild des heiligen Sebastian. Rechts neben demselben lagen, die Köpfe gegen das Postament gelehnt, zwei schwer verwundete Oesterreicher, welche ein preußischer Arzt verband; ein weniger schwer Blessirter lag auf den Knieen, seinen Rosenkranz betend. Linker Hand saßen einige Füsiliere und rauchten aus ihren kurzen Pfeifen, während zwei andre einen todkranken österreichischen Jäger zwischen sich genommen hatten, dem sie löffelweise eine stärkende Flüssigkeit in den Mund träufelten; unmittelbar hinter dem Bildstocke war ein frischer Grabhügel aufgeworfen, welchen ein rohgezimmertes Kreuz zierte; offenbar hatten die rauchenden Füsiliere diese ernste Arbeit vollendet. Wer mochte darunter schlummern? Sicherlich Freund und Feind ruhig nebeneinander. Oben auf dem Haupte des Heiligen saß ein kleiner Vogel und wirbelte sein fröhliches Lied hell zwitschernd in die Luft; als er damit fertig war, schwang er sich hinauf in den Abendhimmel, als sei er froh, von der unheimlichen Stätte hinwegzukommen. Nachts aber flackert ein Feuer neben der Säule. Der Vorposten hat hier seine Stellung genommen und das „Werda“ tönt über die Straße. Kopfschüttelnd ziehen die Landleute vorbei – verblüfft schauen sie zu dem Heiligen empor. Es ist ein Trost: Auch die Heiligen leiden im Kriege. –




Preußens militärischer Luther.


Auf meiner letzten Sommerreise durch die herrlichen Auen Thüringens führte mich mein Weg nach dem jetzt so berühmt gewordenen Städtchen Sömmerda. Unter den bescheidenen Häusern des freundlichen Ortes fiel mir auf der Straße, die, wie ich mich erkundigte, ihren Namen nach der benachbarten Kreisstadt Weißensee führt, vor Allem ein nettes einstöckiges Gebäude auf, an dessen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_628.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)