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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

hervorwuchert, die natürlich mit dem normalen Bindegewebe zusammenhängen muß, weil sie aus diesem hervorgeht. Diese Intercellularsubstanz mit den eingelagerten Zellen wird von neugebildeten reichlichen Gefäßchen (an der Oberfläche der Neubildung Schlingen bildend) durchzogen und stellt nun die Fleischwärzchen (das Granulationsgewebe) dar, welche also gefäßhaltige, entzündliche Neubildungen sind. Die Zellenbildung und Theilung, sowie die Zeugung neuer Intercellularsubstanz geht bis zum Schlusse der Wunde fort und fort vor sich. Jedoch bildet die oberste Schicht dieser Substanz nicht mehr eine gallertartige, sondern eine dickliche Flüssigkeit mit jenen Bläschen (Kernen und Zellen) und diese fortwährend abfließende und sich fortwährend aus dem Granulationsgewebe erneuernde, rahmähnliche Flüssigkeit ist der Eiter.

Untersucht man den Eiter unter dem Mikroskope, so findet sich, daß er aus einer dünnen, hellen Flüssigkeit (Eiterserum) und aus runden, feinpunktirten Bläschen oder Kügelchen (Eiterkörperchen) besteht, welche letzteren in ihrem Kern drei bis fünf kleine dunkle Körnchen (Kerne) enthalten. – Was die Gefäßneubildung in der Wunde betrifft, so fangen die (bei der Entzündung) ausgedehnten Gefäßschlingen an der Wundoberfläche mit dem Wachsthume des sie umgebenden Granulationsgewebes an, sich zu verlängern (Sprossen zu treiben) und immer mehr zu schlängeln. Gegen den vierten oder fünften Tag kommt es sodann zur Entwickelung neuer Gefäßchen, in Form feiner Haargefäßchen-Netze, so daß sehr bald das Granulationsgewebe ungemein reich an Blutgefäßchen geworden ist und nun die Blutfülle (die Röthe) in der Umgebung der Wunde nachlassen kann.

Das Wachsthum der Fleischwärzchen hört auf, wenn diese das Niveau der Haut erreicht haben, denn nun überzieht sich die Granulationsfläche mit Oberhaut (Epidermis) und die Wärzchen bilden sich zur Narbe um. Hierbei gehen folgende mikroskopische Veränderungen in dem Gewebe vor sich. Zuvörderst zerfallen und verschwinden (durch Spaltung, fettiges Entarten und Aufsaugung) eine große Anzahl von Zellen und zwar ebenso Eiterkörperchen auf der Oberfläche, wie auch Zellen in der Tiefe des Granulationsgewebes. Durch diesen Schwund der Zellen und durch das Aufhören der Zellenneubildung verringert sich das Granulationsgewebe und aus der gallertartigen Intercellularsubstanz, sowie aus den noch übrigen Zellen bildet sich faseriges Bindegewebe hervor. Mit diesen Veränderungen, die vom Rande der Wunde zu deren Mittelpunkt fortschreiten, hört auf der Oberfläche derselben die Eiterbildung auf und es erzeugt sich mit Hülfe der (Epidermis-) Zellenbildung Oberhaut. Gleichzeitig schließt sich auch ein großer Theil der neugebildeten Blutgefäßchen und daher kommt es, daß die vorher rothe Narbe allmählich blässer und weiß wird.

So ist der naturgemäße Gang der Heilung von Wunden mittels der Fleischwärzchen- und Eiterbildung. Daß Störungen in diesem normalen Verlaufe vorkommen können, ist begreiflich, da Verwundete sehr häufig solchen äußeren und inneren schädlichen Einflüssen ausgesetzt sind, welche die Entzündung, Granulations- und Eiterbildung, sowie die Vernarbung stören. Diese Störungen haben aber nur für den Chirurgen Interesse und können deshalb dem Laien verschwiegen bleiben.

Bock.




Die Raubthiere des Schlachtfeldes.


Das kleine Wäldchen von Sadowa weiß viel aus den jüngsten Tagen zu erzählen. Es sah colonnenweise die Tapfern fallen, an seinem Saume wie unter dem Schatten seiner Bäume Hunderte ihr Leben aushauchen. – „Er starb auf dem Felde der Ehre,“ ist ein großes und erhabenes Wort – leicht ausgesprochen – aber schwer gethan! Die Kugel trifft nicht immer das Herz; sie zerfleischt oft auf’s Grausamste den armen Menschenleib, ehe er den letzten Athemzug gethan, ehe er der Erde übergeben wird. Doch nicht allein diese Wunden und Martern fürchtet der Soldat – viele fürchten die Schändung nach dem Tode ebenso sehr, vielleicht noch mehr. Sie sprechen resignirt von der wüsten Grube, in der sie wohl bald ruhen dürften, doch nur mit geheimem Schauder von jenen Raubthieren in Menschengestalt, welche Armuth, Elend, Rachsucht oder nackte Verworfenheit auf das noch dampfende Schlachtfeld treibt – die Körper der todten Streiter zu berauben, zu verstümmeln, ja oft noch Lebende oder im Todeskampf Zuckende zu entkleiden und noch größerem Elend preiszugeben. Wir wollen nicht versuchen, noch einmal all’ die schauerlichen Einzelheiten aufzuzählen, die sich in dieser Beziehung auf den Schlachtfeldern Böhmens zutrugen – eben so wenig wollen wir die Bewohner dieses Landes deshalb anklagen, die wir wegen einzelner barbarischer Ausnahmsfälle nicht der Unmenschlichkeit zeihen, noch dafür verantwortlich machen dürfen.

Sicher aber werfen jene bekannten und constatirten Thatsachen von Raub, Mord, Plünderung und Leichenschändung einen düsteren Schatten auf das czechische Land, das sich nicht wundern mag, wenn es von Neuem vom Auslande mit Blicken des Vorurtheils und Vorwurfs betrachtet wird. Denn nicht mit Stolz, nur im Bewußtsein unserer Humanität dürfen wir ausrufen: In dem so verketzerten Deutschland ist eine ähnliche Barbarei nur ganz ausnahmsweise vorgekommen.

Ein Gang über das Schlachtfeld ist vor Kurzem in diesen Blättern eben so wahr wie ergreifend geschildert worden. Doch ist eine von Kämpfenden und Lebenden verlassene Wahlstatt eine so großartig-furchtbare Tragödie, daß sie sich in einem Zeitungsartikel nicht abspinnen läßt.

Wir traten, ich glaube es war am vierten oder fünften Juli, aus dem Wäldchen von Sadowa. Schwarzblaue niedriggehende Wolken zogen über die Landschaft hin, die einer Todtenstätte glich. Wir sahen Menschen mit zerrissenen Gesichtern und Köpfen, da und dort nur noch einen Rumpf oder ein zuckendes Etwas, das schwer an das „Ebenbild Gottes“ erinnerte, am Boden liegen. Hände und Arme, gen Himmel gestreckt und so erstarrt im qualvollsten Todeskampf, ragten als schreckliche Merkmale eines wüthenden Kampfes, der hier gehaust, aus einem Chaos von Waffen, zerstampfter Erde, von Blut und Schlamm hervor – und die Luft füllte sich bereits mit jenen Dünsten, die Moder und Verwesung vorangehen. Die Natur, wie im Erhabenen groß und unerreichbar, so auch hier unerreichbar und erfinderisch im Schrecklichen, im Bilde der Vernichtung! Wer Todte nicht auf dem Schlachtfelde sah, weiß nicht was Tod heißt – kennt seine Schrecken nicht – nicht sein verklärtes, nicht sein medusenhaftes Antlitz. Hier fällt der Blick nur auf offene, starre Augen, „die eine liebende Hand nicht schloß“ – der Eine sieht uns an, als wollte er lächelnd sagen: Dich sollte ich auch kennen – und es gehören starke Nerven dazu, diesen vertraulichen Blick aus dem Jenseits lange zu ertragen. Auf den Lippen Jenes scheint noch ein gräßlicher Fluch zu schweben – eine Granate hat ihm den Unterleib zerrissen – er hält noch mit der linken Hand die herausgetretenen Eingeweide zurück. – Lege nicht, Leser, mit kleinlicher Empfindsamkeit dieses Blatt bei Seite – du kannst ertragen zu lesen, was jene litten! Glaube mir, der Anblick solcher Leiden bessert und macht demüthig und zufrieden mit dem Schicksal, und sei es noch so herbe – oder unser Gemüth ist versteinert und unsere Sinne sind verbraucht und stumpf.

Entsetzen faßt mich noch jetzt, während ich dies niederschreibe, wenn ich der Scene gedenke, die uns am Saume des Sadowaer Waldes vor Augen trat – sie war haarsträubend und machte das Blut in den Adern erstarren. Wir waren noch ganz erfüllt von dem Anblick der eben gesehenen Todten, da schlugen die Töne einer fremden Sprache und rohes widerliches Lachen an unsere Ohren. Erstaunt, erschrocken blicken wir uns um: es sind nicht mehr Leichen, deren Anblick uns erschüttert, es sind Lebende, die uns erschrecken, deren Treiben uns mit Haß, Scham, Rache und Ekel erfüllt, es sind dies – die Raubthiere des Schlachtfeldes! Um den halbnackten, weißen Körper eines preußischen Grenadiers, der danebenliegende Helm bezeichnet ihn als solchen, ist eine Gruppe jenes Gesindels versammelt, welches die „Nachlese“ auf dem Schlachtfelde hält. Ein kleines, cretinartiges Scheusal versucht unter dem Gelächter der Umstehenden dem Gefallenen den Stiefel auszuziehen. Ein verthierter Bursche, der sich mit einem Säbel geschmückt hat, sieht der Heldenthat des Gnomen besonders

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_612.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)