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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Wie oft er sich auch jammernd zur Erde warf, wenn die Kugeln ihn umpfiffen, immer ward er wieder aufgestachelt und vorwärts getrieben. Endlich aber blieb er liegen. Er war todt, ohne daß ihn eine Kugel verletzt hatte. Die Stricke, mit denen er geknebelt, hatten die Pulsadern gesprengt. – Nach geraumer Zeit kam eine Frau aus Mechterstedt nach Merxleben und suchte ihren Mann, da sie vernommen hatte, daß hier auch ein Civilist beerdigt sei. Derselbe hatte als Wundarzt einen hannoverschen Officier, welcher bei Mechterstedt blessirt worden war, nach Langensalza begleitet und war nicht zurückgekehrt. Wie er in den Verdacht der Spionage gekommen, ist nicht aufgeklärt. Indessen war in jener Zeit die Sucht, allüberall Spione zu wittern, eine Modekrankheit. Genug, als jenes Grab geöffnet wurde, erkannte die Frau ihren unglücklichen Mann an den Kleidern, in welchen er begraben worden war! Daß die Preußen ebenfalls einen alten Mann, den sie für einen Spion hielten, in der Nähe von Gotha in der Aufregung niedergemacht haben, ist durch die Zeitungen schon bekannt geworden.




Die Ordensbrüder der Klopfer.


Arbeit ist das große Stichwort unserer Zeit. In rastloser Thätigkeit bewegen sich die Kräfte und selbst ihr Product, das Capital, tritt wieder in den Dienst der Arbeit. Die Zeiten sind vorüber, wo es noch müßig in alten Truhen lag. Sollte man es glauben, daß in solcher Zeit, während die Arbeitsfrage alle staatsmännischen Köpfe beschäftigt, sich noch eine Verbindung erhalten hat, welche, im Gegensatz zur schaffenden Arbeitsthätigkeit, im Nichtsthun ihren Ordenszweck findet, welche diese Negative der Arbeit förmlich organisirt und damit dasselbe Resultat erreicht hat, wie die schwieligen Hände ihrer harten Schwester, der Arbeit, die Schaffung des Capitals?

In dem Lande, wo es keine Unmöglichkeiten giebt, in England, könnten wir schon eher etwas Aehnlichem begegnen, aber in Deutschland? Es sieht wie ein Märchen aus und doch ist’s so; es ist, als ob wir in ein Reich der Fabel treten, und doch existirt das Reich.

Schwerlich ist der Name der angedeuteten Brüderschaft am Ohre eines der freundlichen Leser schon vorbeigeklungen, desto bekannter ist dieselbe der verehrlichen Polizei im gesammten deutschen Vaterlande, und in deren altem und neuem Testament, im Coburger und Dresdener Polizeianzeiger, schlägt man kaum ein Blatt auf, wo nicht wenigstens Eines aus der saubern Sippschaft der sogenannten „Klopfer“ Erwähnung geschieht. Und dennoch, möchte ich wetten, hat manches der holdseligen Augen, welche auf dies Blatt fallen, schon einem der „faulen“ Brüder in’s Antlitz gesehen. Der Mund, allzeit der Herold des Herzens, hat, als es zur Zeit der Mittagsstunde leise bittend an die Thür klopfte, ein Herein gerufen und die Hände haben dem demüthig in der Thür erscheinenden kräftigen Manne ein Viaticum gereicht. Seine Klage über die darbenden Kinder und das kranke Weib daheim war ja so rührend und in einer fremdklingenden, aber eigenthümlich einschmeichelnden Sprache vorgetragen.

Hätte die freundliche Geberin den Bettler nach seiner Heimath gefragt, so wäre darauf ehedem, zu Zeiten der gemüthlichen deutschen Reichswirthschaft, die Antwort erfolgt: „Aus dem Bohneburgk’schen!“ und damit wäre ein kleines, reichsfreiherrliches Gebiet zwischen herzoglich meiningenschen und Fürstabt-fuldaischen Territorien, zwischen Werra und Fulda, bezeichnet worden. Heutzutage gehört die Gegend zum westlichen Theile des Großherzogthums Weimar. Die Werra trennt zwei bedeutende Gebirgszüge, den lieblichen Thüringer Wald und die rauhere Rhön, von einander. Die nördlichen Ausläufer der Rhön, welche sich bis nach Eisenach hin verlaufen, bilden einen Landstrich, den man dort gewöhnlich das Eisenacher Oberland nennt. Hier ist die Heimath der Klopfer. In den Ortschaften Völkershausen, Gehaus, Willmanns und Wölferbütt, welche zwischen dem Ulster- und Felda-Thale gleichsam eingezwängt am Fuße des Oechsenbergs sich hinziehen, ist das hauptsächliche Domicil dieser Brüderschaft. Der Boden, soweit ihn überhaupt die bewaldeten Bergkegel der Nahrung des Menschen dienstbar zu machen gestatten, ist in jener Gegend nur sehr wenig ergiebig. Dagegen wurde die Bevölkerung namentlich auch dadurch, daß der vor Zeiten allerorten vertriebene und geächtete Stamm Juda hier eine schützende Zufluchtsstätte fand, immer dichter und es entstand ein Mißverhältniß in der Ernährung. Das bewegliche, wenig bedürftige Volk Israels wurde davon minder berührt. Es zog den Handel an sich und wußte von der naiven Welt- und Geschäftsunkunde des Landmanns Vortheile zu ziehen. Der andere erwerblose Theil, der überdies schon aus etwas zweifelhaften Elementen bestand, da der Zusammenstoß mehrerer Landesgrenzen auf jenem Territorium, mannigfacher Wechsel und Streit der Herrscher und die bergige Lage des Landes den Zusammenfluß allerlei zweideutigen Gesindels begünstigt hatten, konnte sich anders nicht wohl helfen, als daß er seinen Erwerb außerhalb der stiefmütterlichen Heimath suchte. Die Auswanderungen nach Amerika, welche in solchem Falle öfters die richtige Ausgleichung herbeiführen, waren ehedem noch nicht so im Schwunge. Man zog daher nur den größten Theil des Jahres aus in’s Reich und blieb im Uebrigen der alten Heimath treu.

Ende des vorigen Jahrhunderts nahmen diese Wanderungen zuerst größere Dimensionen an. Anfangs war es wohl die redlichste Absicht, welche den arbeitskräftigen Mann hinausführte. Er wollte verhüten, daß die Noth einkehrte in das kleine, aus dünnen Lehmwänden gefügte Häuschen, worin er mit Frau und Kind saß, und die blanken Thaler, welche er im Winter wieder heimbrachte, waren die Frucht seines arbeitssauren Schweißes, den er in Schwaben oder am Rhein und in der Pfalz bei der Handarbeit oder, wenn er Maurer (Weißbinder) war, beim Aufbau eines Domes vergossen hatte. Er war damals von Kopf bis zu Fuß in schwarzen Sammetmanchester gekleidet, was ihm, wenn auch die Nähte etwas verschossen waren, immer etwas Feierliches und Halbvornehmes verlieh.

Allein mit der Zeit lernte der Mann aus dem Boyneburgkschen nicht blos die Welt, er lernte auch ihre Schwächen kennen. Und das war für Beide nicht gut. Zunächst war es wohl auch hier erst wieder die Noth, die unterwegs momentan eintretende Arbeitslosigkeit, welche den stattlichen Mann in der Sammetjacke zwang, die Hand auszustrecken und den Rücken krumm zu machen. Allmählich aber kam er zu der Erkenntniß, daß diese Arbeit des Ausstreckens und Krummmachens nicht blos weniger anstrengend sei, als jene mit Sense und Kelle, sondern daß sie, fleißig geübt, auch ebensoviel, ja noch mehr lohne, als diese. Eine der schönsten Eigenschaften des Menschen, das Mitleid, wußte er so sich dienstbar zu machen. Es war fortan die Göttin, welche er heuchlerisch anbetete und frevelnd mißbrauchte. Aus dem fleißigen Arbeiter wurde ein Nichtsthuer.

Die Entdeckung dieses psychologischen Geheimnisses des Menschenherzens blieb aber nicht in der Hand eines Einzelnen, sie wurde bald Gemeingut der Gegend. Man zog nun nicht mehr gemeinsam auf Arbeit, sondern auf den – Bettel aus. Doch nein, dies Wort wurde nie gebraucht, auch für den neuen Erwerb wurde der alte Begriff substituirt. „Er geht auf Arbeit,“ hieß es nach wie vor, wenn im Frühjahr die Sammetjacke mit dem Wanderstab auszog. Indeß, so leicht sie anfangs schien, mit der Zeit fand die Ausübung dieses Erwerbszweigs, welchen die Speculation auf die Barmherzigkeit erschaffen, auch ihre Hindernisse. Der größte Feind, der naturgemäß wider diese neue Kunstübung sich erhob, war die Polizei. Die Nothwendigkeit, diesen Feind zu bekämpfen, rief aber erst eine Solidarität der einzelnen Interessen dieser Drohnen des gesellschaftlichen Arbeitsstaats in’s Leben. Es fand ein engeres Aneinanderschließen, ein geheimer Austausch der gewonnenen Erfahrungen statt, der bald zur Festsetzung bestimmter Ordensregeln, zur Gründung einer Art Zunftverbandes mit Meistern, Gesellen und Lehrlingen führte.

Hinter die Zunftgeheimnisse gerieth die Polizei erst ziemlich spät und dies ist mit Veranlassung, daß es ihr bis heute noch nicht gelungen ist, dem Unwesen einen Einhalt zu thun. Ein alter, ehrlich gewordener Meister soll den Handwerksbrauch verrathen haben. Erst in den dreißiger Jahren erfolgte im Coburger Polizeianzeiger eine theilweise Aufdeckung dieses Treibens der nunmehr officiell sogenannten Klopfer aus dem Eisenacher Oberlande. Klopfer hießen sie wegen des Anklopfens an die Thüren zur Heischung der milden Gaben, in welchem Klopfen eigentlich der ganze Inhalt ihrer Arbeitsthätigkeit bestand.

Die Hauptklopferregeln gehen darauf hinaus, daß der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_609.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)