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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

den Liebling seiner Seele hereingebrochen, hatte seine letzte Kraft fast vernichtet.

„Nur vorwärts!“ rief der Barchentweber. „Sperrt Euch nicht auch, es geht nach dem alten Spruche und mitgegangen wird mitgehangen!“

Der Greis sah den Ungestümen mit großen Augen an und seine Lippen umspielte etwas wie Anflug der alten launigen Fröhlichkeit. „Ihr seid’s, der mich in Verhaft nimmt?“ sagte er. „Wirklich allzuviel der Ehre, daß Ihr Euch selber bemüht! Freue mich auch über die Maßen Eurer Klugheit, die so schnell den Mantel nach dem Winde gedreht und Euch auf diese Seite geführt. Ihr wißt wohl, wo Ihr standet, als wir uns das erste Mal begegneten, und wo das letzte Mal? … Da hatten sie Euch übel am Kragen, nun macht Ihr’s wett, daß ich Euch herausgeholfen. Recht so, und wenn ich wieder loskomme, soll’s mich nur darum freuen, daß ich erst jetzt so ganz genau weiß, wozu Euer lobesam Conterfei mir als Vorbild dienen kann! So ich wieder dazu komme, einen Kreuzweg zu schnitzen, brauch’ ich nicht zu suchen um einen Judas Ischarioth! …“

– – – Des Dommeisters Schicksal war voraus von seinen Feinden entschieden; es erfüllte sich rasch. Noch dieselbe Nacht brachte Verhör und Urtel und dessen Verkündung, schon der kommende Morgen sollte den Vollzug beleuchten.

Er dämmerte nur erst in schwachem Grauen empor, als die Thür von Roritzer’s Kerker sich öffnete, der Meister hatte mit der schnellen zweifellosen Entscheidung das volle Gleichgewicht der Kräfte, die ganze Ruhe seines Gemüthes wieder gefunden und lag sanft in der Umarmung eines friedlichen, stärkenden Schlummers. Das Geräusch erweckte ihn nicht; er kam erst zur Besinnung, als zwei Arme ihn fest umschlangen, zwei Lippen sich zu innigem Kusse auf die seinen drückten und des Bildschnitzers würdiges Silberhaupt sich zärtlich an seine Brust senkte.

„Loy,“ rief Roritzer, „treuester aller Freunde, Du kommst zu mir? Willst aushalten bei mir bis zum letzten Augenblick? Hat nichts Deine Liebe abgehalten und Du bist durchgedrungen durch Haß und Neid bis in den Kerker des Freundes! Gesegnet sei, wer mir diese Freude gewährt’, um ihretwillen soll ihm Alles vergeben sein … es ist seit langer, langer Zeit die einzige, volle, durch nichts verkümmerte Freude!“

Auch der Bildschnitzer hatte sich wieder aufgerafft und vermochte, dem Liebling mit vollem Ausdruck in’s Auge zu sehen. „Du machst zu viel Wesens daraus, mein Wölflein,“ sagte er, „ich habe mir ausgebeten, bei Dir sein zu dürfen, und sie haben mir’s gewährt; sie denken wohl, es hat jetzt keine Gefahr mehr mit mir! Ich habe zu Dir gemußt, ich hätt’ es nicht ertragen, zu denken, daß Du, mein Kleinod, dahin, verloren sein sollst in der Fülle Deiner Kraft, im schönsten Aufblühen Deiner Kunst … sage, Wölflein, wie ist Dir zu Muth?“

„Ich danke dem Himmel,“ erwiderte Roritzer, „er giebt mir viele Kraft, und nun ich Dich gesehen und um Dein Geschick nicht mehr zu bangen brauche, sollen meine Feinde den Triumph nicht haben, mich gebeugt zu sehen. Ich bin freudig im Gemüth, der frühe Abschied vom Leben hat aufgehört, mir befremdlich zu sein … was soll mir das Leben noch? Nicht die Dauer der Jahre macht ein volles Leben aus, sondern sein Inhalt, und auch der letzte schwere Gram der Erde ist mir wunderbar von der Seele genommen…“

„Was meinst Du, Wolf? Ich verstehe Dich nicht.“

„… Du weißt, wie oft ich gesorgt und gebangt, daß der Dom, Regensburgs Wahrzeichen und Zier, nicht zum Ausbau gelangen, daß er unvollendet bleiben würde; jetzt fürchte ich dies nicht mehr, in der letzten Nacht im letzten Schlummer hat mich ein Traumgesicht gestärkt… Höre, mein Freund… Tiefe Finsterniß war um mich her, lauter Jammer erscholl aus derselben und eine unselige Betrübniß erfüllte meine Seele, mir war, als läge ich im Grabe, aber ich wußte, was bei mir und über mir geschah, ich konnte fühlen und denken und schauen und ich sah die Geschicke der kommenden Zeiten wie Nebelgestalten an mir vorüberziehen … eine bleiche, furchtbare Reihe mit Zügen voll Kummer und Leid und wenige darunter, denen Freude aus dem Antlitz leuchtete. Jahre an Jahre reihten sich auf zu Jahrhunderten; da begann es hell zu werden, ein friedlicheres Zeitalter schien emporzudämmern und in seinem Morgenlicht ward ich hinaufgetragen in die Lüfte und sah unter mir das Land der Heimath hingebreitet und sah die Donau funkeln und über ihr, wo die feindselige Burg der Staufer gestanden, stieg ein erhabener Tempel empor und eine leuchtende Versammlung verklärter Gestalten thronte schwebend auf ihm … gegenüber aber … o Freund, fühle mein Entzücken mit … gegenüber, aus der Ebene, stieg der Dom von Regensburg empor mit Thürmen und Zinnen, vollendet und herrlich, wie der Meister ihn entworfen, wie ich ihn oft vor meiner Seele stehen sah, groß, hehr und gewaltig und wie von einer Glorie umstrahlt … Da zog es wie Botschaft von Engelsstimmen durch meine Seele, unausgesprochen ward es mir klar und gewiß, daß mein Wunsch, mein Sehnen nicht unerfüllt bleiben wird. Mag das Werk ruhen und anscheinend vergessen eine Ruine dastehen … ich weiß jetzt, die Zeit wird kommen, wo Reich und Volk seiner Vergangenheit gedenkt, wo es den Schutt von Jahrhunderten wegräumt und seine Denkmale darunter hervorgräbt und mit ihnen die eigene Größe!“

Geräusch von der Thür her unterbrach die Rede des Begeisterten, Bewaffnete standen an der Schwelle, ein stummer, nicht zu mißdeutender Befehl.

Roritzer blickte auf. „Es ist Zeit,“ sagte er und drängte den Alten sanft von sich. „Nimm nochmals den Dank Deines Sohnes und Schülers, den innigsten Dank für die Liebe und Treue des Meisters und Vaters, die ausgehalten bis zur letzten Stunde! Jetzt aber sollst Du nicht weiter mit mir gehen; erspare mir und Dir dieses fruchtlose Leid, die wenigen Schritte, die noch übrig sind, laß mich allein gehen …“

Loy faßte beide Hände des Freundes und sah ihm in’s Auge, lächelnd, wie in den schönsten Tagen des Frohsinns. „Gern wollt’ ich zurückbleiben, wenn Du es durchaus haben willst, mein Wölflein,“ sagte er, indem er mit muthwillig neckender Geberde über die Schulter deutete, „ich sorge nur, die da hinten werden’s nicht leiden …“

„Ich verstehe Dich nicht.“

„Nicht? Und ist doch so leicht zu verstehen! Hab’ ich nicht immer betheuert, daß ich Dir folge und wenn’s in die Hölle ginge? Hast Du nicht oft mir versichert, unsere Wege würden zusammengehen; was willst Du Dich nun verwundern, daß es so ist?“

„Unmöglich, Loy,“ schrie Roritzer auf … „das wäre zu entsetzlich! Das hieße zum Unrecht den himmelschreiendsten Frevel fügen … Das haben sie nicht gewagt …“

Ein fragender Blick auf den Anführer der Bewaffneten brachte die Bestätigung… „Auch Du?“ rief der Meister und sank in nicht mehr aufzuhaltenden Thränen an die Brust des Freundes. „Welche Schuld, welchen Schein von Schuld konnten sie an Dir entdecken? O, keinen, keinen, als Deine Liebe zu mir … ich Unseliger reiße Dich mit mir in den Tod!“

„Der Welt Lauf, mein Wölflein!“ sagte der Alte zwischen Lachen und Rührung. „Gräme Dich nicht und denke, gleiche Brüder, gleiche Kappen! Gräme Dich nicht zu sehr und mißgönne mir nicht, mit Dir zu sterben! Hab’ Mitleid mit dem alten Loy … was sollten mir die paar Greisenstunden noch fruchten, voll Jammer und Gram um Dich? Wie sollt’ ich leben können ohne Dich und nach Dir? Gräme Dich nicht, Wölflein, wir gehen miteinander!“

Roritzer vermochte nichts zu erwidern; schweigend, fest umschlungen, begannen sie den Todesgang.

Auf dem Rathhausplatze war eine hohe Bühne aufgerichtet, rings bis zum Boden nieder mit schwarzen Tüchern verhangen. Der hagere Rathsvogt war eben daran, noch einige Anordnungen zu geben, als er vortretend Kraft Dollinger erblickte, der, seiner Rottmeisterschaft entkleidet, wie ein gemeiner Spießknecht unter den Gewappneten stand, die in weitem Ringe das Hochgericht umschlossen.

„Nun, wer hat Recht behalten?“ raunte er ihm zu. „Hat es nichts bedeutet, daß das Richtbeil sich anmeldete und herunterfiel? Hebt einmal den Umhang des Gerüstes auf und schaut hinein, oben ist ein Bret im Boden, wie’s mit dem Einen vorbei ist, wird das Bret gewendet, daß der Körper herunterfällt und Platz wird für einen Andern… Seht Ihr den Sandhaufen drunter? Es ist derselbe, über den der Dommeister gestolpert; er ist außer Acht liegen geblieben die ganze Zeit, nun ist er eben recht, das Blut aufzusaugen…“

Er ging, denn vom Rathhause kam eilig Herr Hans Bayer,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_604.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)