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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Aengstigt Dich noch immer das Alte oder ist Neues geschehen?“

„Es war an dem Alten lange genug, aber das Neue wächst sich immer schöner aus, wie Unkraut, das einmal angefangen hat, auf einem Stück Land zu wuchern! – Du weißt, wie die Zünftler und Wachtgenossen, da Du Dich von ihnen losgesagt, noch ein paar Tage lärmten und sich herum tummelten, da fingen sie an Mangel und Noth zu spüren; weil Niemand mehr gearbeitet, fing es überall zu gebrechen an, da wurden sie des Tumultuirens müde und ihr hochfahrender Ungestüm klappte zusammen wie ein Blasbalg, dem der Wind ausgeht. Dazu kam die Sorge vor einem Ueberfall und die Furcht wegen dessen, was geschehen war – da verschwand Einer um den Andern, weil ein Jeder bei sich dacht’, einen Einzigen werde man nicht vermissen in der Schaar, und die übrig blieben, hielten es endlich für das Gescheidteste, die Rathsherren mit einem Vertrag wieder freizugeben und sie zu bitten, sie möchten das Regiment wieder übernehmen und Ruhe und Ordnung machen in der Stadt.“

„Nun,“ rief Roritzer bitter dazwischen, „die Bitte zu erfüllen, haben sie nicht gesäumt!“

„Wahrhaftig’ nicht,“ fuhr Loy fort, „sie haben allen Zünften neue strenge Ordnungen gegeben, die ihnen für die Zukunft den Uebermuth wohl verleiden werden; sie haben neue Umlagen gemacht, größer als je, um dem Stadthauptmann den Sold zu bezahlen …“

„Sie wollten es nicht anders – mögen sie tragen, was sie verdient!“

„Gestern nun,“ begann der Bildschnitzer wieder, „gestern sind kaiserliche Commissarien angekommen, die der Stadthauptmann sich erbeten hat, mit kriegerischem Gefolge. Die Herren machen finstre Gesichter – es geht das Gerede, der Kaiser, der es Regensburg immer noch nicht verzeihen kann, daß es sich Baiern an den Hals geworfen, soll sehr erzürnt sein, sie hätten arge Befehle von ihm mitgebracht …“

„Die Schuldbewußten ängstigt das böse Gewissen!“

„Viele sind noch gestern bei Nacht und Nebel davon – Viele haben sich heute fortgemacht …“ begann Loy etwas bedächtiger. „Weiß wohl, daß Du nichts fürchtest, mein Wölflein, aber ich alter Kerl bin nun einmal so feige und kann die Sorge nicht aus den Knochen bringen! Es drückt mir schier das Herz ab, sie könnten auch an Dich kommen und Dir etwas anhaben wollen …“

„Mir?“ sagte Roritzer und streichelte dem Alten beruhigend über das Silberhaar. „Sei meinetwegen unbesorgt! Sie werden nicht, weil sie nicht können … was wäre meine Schuld? Ich habe …“

Loy ließ ihn nicht weiter reden. „Ich ziehe immer den Kürzeren, wenn ich mit Dir disputiren soll,“ rief er, „ich lasse mich darauf gar nicht ein – Du magst Recht haben, aber ich, ich habe noch mehr Recht, wenn ich sage: mag es gehen und sein wie immer – weit davon ist gut vor’m Schuß! Folg’ mir – ich hab’ Alles wohl bedacht und bereitet. Wir gehen, als wollten wir lustwandeln und den schönen Mai-Abend genießen, über die Brücke durch die Stadt am Hof; – in einem der letzten Häuser, bei einem vertrauten Manne stehen ein paar wackere Rößlein gezäumt … wir schwingen uns hinauf und traben wohlgemuth stromaufwärts, bis wir den Glockenring ziehen mögen am Weltenburger Pförtlein.“

„Das ist nicht Dein Ernst, alter Freund!“ rief Roritzer, „das kannst Du in Wahrheit mir nicht rathen! Ich soll fliehen – soll mich heimlich aus der Stadt stehlen, in der ich mein Haupt so offen getragen und so hoch? Hieße das nicht zeigen, daß ich mich fürchte – hieße es nicht gestehen, daß ich zu fürchten habe, daß ich das Bewußtsein einer Schuld mit mir hinweg getragen? Nein, Vater Loy, Dein alter Lehrling und Sohn, Wolf Roritzer, flieht nicht … Dich zu beruhigen, will ich morgen thun, was Du begehrst, will ehrlich und gerade Urlaub fordern – aber eher keinen Schritt!“

„Morgen! morgen!“ entgegnete der Alte in steigender Unruhe. „Wenn ich’s nur nicht in mir hätte, daß wir schon zu lang gezaudert, daß es morgen vielleicht schon zu spät ist … Sieh, ich bin vorhin Kraft Dollinger, dem Trabanten-Rottmeister, begegnet. Er ist sonst mein Freund nicht, aber er ist jetzt unwirsch und grollt dem Rath, der die kaiserlichen Söldner vorzieht, wie er meint; drum rief er mich an und winkte mir zu und meinte, man solle sich vorsehen – es würde Besonderes bereitet für den Abend …“

„Deine Liebe zu mir läßt Dich nun einmal nicht zur Ruhe kommen,“ sagte Roritzer begütigend. „Quäle Dich nicht nutzlos selbst und mich mit Dir … ich fliehe nicht, und gehe nicht heute …“

„Wölflein,“ hob der Alte bittend an, „Du hast mir oft gesagt und betheuert, ich sei Dir lieb – ich fordre jetzt den Beweis! Geh’ mit mir, geh’ noch heute – noch diesen Augenblick!“

„– Nein …“

„Ich fordre es ja nicht meinetwegen! Um Deinetwillen – um Deiner Kunst willen bitte ich Dich … erhalte Dich Deinem Werke!“

„Meine Kunst!“ rief Roritzer mit Feuer. „Ich darf in Wahrheit sagen, daß ich ihr treu gedient habe mein Leben lang – wahr und treu, bis auf den Einen Augenblick, der mich von ihrem Herzen gerissen, aber nur um ihr noch treuer zu sein und zu dienen auf anderer Bahn … Mein Leben, mein Herzblut für meine Kunst – aber mich für sie entehren kann ich nicht!“

„Entehren?“ sagte der Alte und warf das Pelzmützlein, das er bis dahin in den Händen geballt unmuthig zur Erde. „Bei meiner armen Seele, so soll doch … Entehren? Ist es wohl gar eine Schande für sich selber zu sorgen? Saubere Ehre das, die verlangt, daß man fein still hält, wenn Einem das Schwert überm Haupte gezückt ist!“

„Nein,“ rief Roritzer feierlich, „wer sollte sich Solches erkühnen? Ich glaube es nicht!“

„Nun denn, Unglücklicher, wenn Du nicht glauben willst, – so sieh!“ stieß der Bildschnitzer hervor und stand plötzlich mit ausgestrecktem Arme, wie in eine Bildsäule des Schreckens verwandelt, bleich und starr. Der Dommeister wandte sich um: vom Eingange funkelten ihn aus einem fahlen Gesicht zwei feindselige Augen an; auf der Schwelle des Kreuzganges stand Herr Fux von Schneeberg, der Stadthauptmann von Regensburg, in schwarzem kostbarem Sammtgewand, auf der Brust das schwergüldne Adlergeschmeide zum Zeichen seiner Würde. Hinter ihm standen die andern Commisarien, Wolf von Wolfstall, der Hauptmann von Donauwörth, Sigmund von Reizenstein, der brandenburgische Rath, und Herr Sepp Langenmentel, der mächtigen Reichsstadt Augsburg Bürgermeister. Dahinter drängten Harnische, blitzten Helme und starrten Lanzen – auch von der andern Seite her klirrten Waffen: eine zweite Schaar hielt auch diesen Eingang besetzt, die Domhütte war von allen Seiten umgangen und umstellt. Unter den Blechhüten und Pickelhauben der Letzteren sah manches Angesicht hervor, das wenige Wochen früher sich unter dem Haufen befunden, der hier angestürmt; kenntlich vor Allen und ungescheut ob des Wechsels unter den Vordersten Meister Hetzer, der Barchentweber.

„Zu spät …“ lallte Loy und taumelte wie betäubt, die Hände vor die Augen geballt, in eine Ecke, um das Entsetzliche nicht zu sehen, das sich nun vor ihm bereiten sollte – Roritzer stand gelassen und ohne Wort; eine dunkle Gluth überzog fliegend sein Angesicht, aber seine Gestalt beugte sich nicht, es war als ob sie mit der Gefahr sich erhebe und ihr entgegenstemme.

Hauptmann Fux trat vor. „Wer ist hier Wolf Roritzer, der Dommeister?“ rief er.

„Es ist noch nicht lange genug,“ entgegnete dieser fest, die Arme ruhig über der Brust kreuzend, „seit wir uns begegnet – Ihr könnt nicht vergessen haben, wer sich so nennt!“

„Nicht doch, Herr,“ sagte höhnend der Hauptmann, „Fux von Schneeberg vergißt nicht so leicht, wen er einmal gesehen und was er gesehen … aber konnte ich wissen, in welcher Gestalt Ihr belieben würdet, mir entgegen zu treten, ob im Schurzfell als Steinmetz oder als Volkstribun oder im schwarzen Mantel als künftiger Stadtkammerer von Regensburg? – Ich habe mit dem Dommeister zu thun; drum geziemt’ es mir, zu fragen!“

„Vergebne Mühe, Herr,“ war Roritzer’s Antwort, „auch das konntet Ihr von Euch selber wissen, daß ich es Andern überlasse, die Röcke zu wechseln wie beim Mummenschanz. Aber Ihr steht hier auf Grund und Boden der gefreiten Domhütte, als deren Vogt und Meister Ihr mich kennt – darum ist es an mir zu fragen, nicht an Euch! Was erkühnt Ihr Euch hier einzudringen? Was begehrt Ihr von mir?“

„Solches soll Euch nicht länger verhalten sein, rief der Hauptmann und gab seinen Reisigen einen Wink, vorzutreten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_602.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)