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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Wisconsin und Iowa die deutsche Einwanderung riesige Verhältnisse angenommen und auf die freiheitliche Wendung der Unionspolitik und die energische Betreibung des Krieges gegen den Sonderbund großen Einfluß gewonnen hat: so ist von alledem und von den unabsehbaren Folgen alles dessen Friedrich Münch der Haupthebel geworden, indem er für die Besiedelung Missouris durch Deutsche seit mehr als dreißig Jahren gewirkt und die erste deutsche Colonie selbst dahin geführt hat. Die ganz unvergleichlichen Hülfsquellen dieses Staates verheißen ihm eine sehr große Zukunft, und die Geeignetheit seines Bodens und Klimas für deutsche Colonisation müssen ihn umsomehr zu einem vorwiegend deutschen Staate machen, da schon seit einigen Jahren seine deutsche Bevölkerung mindest doppelt so rasch wie jede andere zuzunehmen angefangen hat. Hier, wenn irgendwo in der Welt, wird ein deutscher Colonie-Staat entstehen können, in welchem deutsche Wissenschaft, Kunst, Schule und Geselligkeit Gesetze geben und Vorbilder zur Nachahmung aufstellen.

Alle Hochachtung vor dem Manne, der, obwohl hinter Büchern aufgewachsen, doch als Pionier die Axt, den Pflug und den Spaten in die Urwälder am Missouristrome getragen und mit seiner Hände Arbeit sich eine unabhängige Existenz gegründet und eine zahlreiche Familie wacker herangezogen hat, indeß sein Geist unermüdlich dem Fortschritt der Wissenschaften folgte und auch bei dem großen Werke deutscher Civilisation in der Fremde überall als Pionier Hand anlegte! In der deutschen und englischen Presse Amerika’s war er seit mehr als einem Jahrzehent unter dem Schriftstellernamen Far West (der ferne Westen) fleißig bemüht, bald über Verbesserungen im Ackerbau, oder über den Weinbau, bald über Tagespolitik, über religiöse, naturwissenschaftliche und viele andere Fragen von höchster Bedeutung klares Licht zu verbreiten. Gediegene Kenntnisse und ein besonnenes Urtheil zeichnen alle seine schriftstellerischen Arbeiten aus, denen außerdem eine kräftige, gedrängte Sprache Anziehungskraft verleiht. Sein Englisch ist so mustergültig, wie sein Deutsch. Ihm verdankt Missouri den Weinbau, durch welchen es bald genug fast alle weinerzeugenden Länder der Welt in den Schatten stellen wird. Ihm verdankt es viel in politischer Beziehung in der großen Zeit, da es sich gegen den rebellischen Süden in die Bresche warf, und wiederum, da es voriges Jahr eine Staatsverfassung gründlich im Sinne der Freiheit umgestaltete. Und wie er opferfreudig seine Söhne in den Krieg um die Union schickte, von denen einer in der Schlacht an Wilson’s Creek gefallen ist, so hat sein ganzes Leben seit dreiunddreißig Jahren den höchsten Gütern der Menschheit gegolten. Geachtet von Jedermann, steht er an der Schwelle des Greisenalters fast noch so rüstig da, wie als er den ersten Axthieb im Urwalde führte, und wer ihn in seinem durch deutschen Fleiß und Unternehmungsgeist blühenden Heimwesen besucht, findet an ihm den echten, einfachen, deutschen Biedermann, der durch die liebenswürdigste Gastfreundschaft bei einem Glase selbstgezogenen Weine vergessen macht, daß man sich mehr als eintausend zweihundert englische Meilen jenseit des atlantischen Weltmeeres befindet.

Unter denjenigen Deutschen, welchen die Union wegen der schließlichen Rettung von Westtexas aus den Klauen der Sonderbündler soviel verdankt, müssen zwei als besonders verdienstvoll genannt werden, Carl N. Riotte und Eduard Degener. Jener ist gebürtig aus Trier und war 1848 Beisitzer des Appellationsgerichts und Eisenbahndirector in Elberfeld, von wo er wegen seiner politischen Thätigkeit nach Texas zu flüchten gezwungen war. Ihm gehört das Verdienst an, die politisch ganz indifferenten Deutschen von Westtexas schon zu einer Zeit zur Bekämpfung der Sclaverei angeregt zu haben, da selbst im Norden der Union und unter den Angloamerikanern nur sehr Wenige dasselbe Streben kundgaben. Mit klarer Voraussicht eines unvermeidlichen Kampfes zwischen Freiheit und Sclaverei innerhalb der Union suchte er mitten im Sclaverei-Gebiete selbst eine Partei der Freiheit zu organisiren, welche das letztere zurückdrängen und die Sclavenhalter aus ihrer allmächtigen Offensive in eine ohnmächtige Defensive versetzen sollte. Zu diesem Zwecke gründete er die „San Antonio-Zeitung“ unter der Redaction Douai’s von Altenburg und gab den Anstoß zu einer politischen Convention von Abgeordneten aller deutschen Ansiedelungen von Texas, welche am 14. Mai 1854 zu San Antonio abgehalten wurde und sich entschieden für Abschaffung der Sclaverei aussprach. Es war ein kühner, aber wohlberechneter Plan, dem zum Gelingen blos eins fehlte – andauernde Einigkeit unter den Deutschen selbst. Sobald ein deutscher Verräther sich fand, der sich eine Gegenpartei bildete und den Sclavenhaltern die Thatsache denuncirte, daß es unter den Deutschen neben der Freiheitspartei auch noch eine der Sclaverei günstige gebe, war der Zauber gebrochen. Der alsbald beginnenden Verfolgung durch deutsche und angloamerikanische Sclavereiverfechter mußten die Wortführer der Freiheit nacheinander unterliegen. Der letzte von ihnen, der Stand gehalten hatte, Riotte, mußte im Frühling 1861 nach dem Norden entfliehen. Abraham Lincoln belohnte seine Dienste für die gute Sache durch den Gesandtschaftsposten in Costarica, welchen er noch inne hat.

Allein die von ihm ausgestreute Saat reifte, wenn auch für ihn zu spät, unter seinen Landsleuten in Westtexas. Beim Beginn des Sonderbundskrieges waren die dortigen Deutschen fast ohne Ausnahme entschiedene Unionisten und Feinde der Sclaverei geworden. Freilich zu spät auch für sie, denn, ihrer kühnen Führer beraubt, mußten sie in dem ungleichen Kampfe gegen einen wohlgerüsteten, überlegenen Feind den Kürzeren ziehen. Es ist bekannt, daß ihrer Hunderte meuchelmörderisch getödtet, Tausende außer Landes getrieben wurden. Zu denen, welche in dieser schweren Zeit der Verfolgung Stand hielten, gehörte Herr Ed. Degener, früher in Dessau Landtags-Abgeordneter und politischer Flüchtling, nachmals in Westtexas einer der Begründer der Freistaatsbewegung. Zwei seiner Söhne, herrliche, wohlerzogene Jünglinge, fielen tapfer kämpfend bis zum letzten Blutstropfen gegen die Secessionisten; er selbst saß lange in harter Haft. Endlich nach Niederwerfung des Sonderbundes von den dankbaren Deutschen von Westtexas zum Staatssenator gewählt, vertrat er jüngst auf der Staats-Convention zu Austin die Bürgerrechte der Farbigen und den Radicalismus in allen seinen Richtungen mit solcher Furchtlosigkeit und Beredsamkeit, daß dies durch die ganze Union hindurch das freudigste Aufsehen erregte. Dort, wo die meuchelmörderische Waffe in Jedermanns Tasche ist und freie Rede bis dahin ein unbekanntes Ding war, dort mußte ein Deutscher die Redefreiheit und den Mannessinn retten! Glücklicherweise stehen jetzt dreißigtausend Deutsche einmüthig hinter ihm, und der endlich befreite Norden streckt über ihn und sie die schützende Hand aus. Auch Texas hat eine schöne Zukunft. Dereinst, wenn sie in voller Wirklichkeit angebrochen sein wird, werden C. N. Riotte und Ed. Degener als „Väter des Vaterlandes“ ihre geehrten Namen der dankbaren Geschichte überliefert sehen.

Unter den Männern des Geistes, welche zeitweilig in Amerika ihre Heimath suchten und fanden, blickt wohl Keiner mit ungetrübterer Empfindung nach Amerika zurück, als der Doctor Löwe aus Calbe. Keinen sahen wir mit größerem Bedauern scheiden, Keinem wird ein freundlicheres Andenken bewahrt. Kein Lebenskampf konnte die vollendete Harmonie dieser Erscheinung stören, und es war in der vollsten Bedeutung des Worts ein Hochgenuß, ihn zu beobachten. Ein durch und durch volksthümlicher Charakter, verleugnete er nie eine gemessene Würde, welche die Gemeinheit zwang, das Haupt vor ihm zu beugen. Sich mit Vorliebe und enthusiastischem Interesse am öffentlichen Leben betheiligend, hielt er vollständig das Unschöne von sich fern, welches hier nur zu sehr dem Treiben auf der politischen Arena anklebt und dem selbst die Mehrzahl von Denen, welche dergleichen anwidert, sich accommodiren zu müssen glaubt. Nie ließ die Schärfe seines Urtheils da, wo es galt schonungslos die Wahrheit zu sagen, etwas zu wünschen übrig; aber nie konnte ihn nur für einen Augenblick die Leidenschaft übermannen, nie trat im Feuer der Debatte ein unedles Wort über seine Lippen. Mehr als ein Mal habe ich gesehen, wie in stürmischer Versammlung er allein die Ruhe des römischen Senators beibehielt und durch die Würde seiner Haltung den Sturm beschwichtigte. Im Privatleben hatte sich ihm ein segensvoller Wirkungskreis eröffnet, im öffentlichen trug er so viel wie irgend Einer dazu bei, dem Deutschthum von der edelsten Seite in Amerika Geltung zu verschaffen. Nur Lauteres durfte an ihn herantreten, nur Lauteres ging von ihm aus. So hat er auch unter uns gelebt, so ist er von uns geschieden, so hat er sich drüben wiederum bewährt, so zeugt er im lieben Deutschland von den in Amerika zurückgelassenen Brüdern, und so steht er vor uns als das Ideal eines deutschen Mannes.

Ein minder freundlicher Stern hat einem nicht weniger begabten Träger der Intelligenz geleuchtet. Rudolph Dulon kam

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