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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

an das Ihr mich mahnt. Ihr selber habt mich freigegeben, wir sind geschieden für immer!“

Er eilte hinweg, die verblüfften Bürger wehrten ihm nicht.

Bald hatte er Loy eingeholt, der mit Hülfe von Roritzer’s Begleitern Margarethen zum väterlichen Hause brachte. An der Schwelle, wo die alte Diemuth sie empfing, kehrte ihr die Besinnung wieder. Sie richtete sich auf, sah mit klaren, fragenden Augen um sich, ihr erster Blick fiel auf den Dommeister; wie am Abend der ersten Begegnung und doch so furchtbar anders standen sie sich gegenüber. Dann raffte sie sich rasch zusammen und wandte sich schweigend der Thür zu.

Roritzer wollte folgen, ein gebieterischer Wink fesselte seinen Schritt.

„Ihr weist mich zurück?“ fragte er leise und innig. „Ihr selbst verbietet mir, diese Schwelle mit Euch zu überschreiten?“

„Seht Ihr nicht, wessen Blut sie befleckt?“ fragte sie düster.

„Mag es um Rache rufen über den, der es vergoß!“ rief Roritzer feurig näher tretend. „Uns trifft keine Schuld, unsere Hände sind rein davon, wie unsere Herzen.“

„Keine Schuld?“ entgegnete sie und noch ernster umflorte sich ihr Blick. „Wer darf so kühn sein, die Hand auf’s Herz zu legen und zu sagen: ich habe keinen Theil daran? Gott allein ist Richter über uns, er wägt den Gedanken wie die That… Hier trennen sich unsere Wege, diese Schwelle scheidet uns!“

„Und sie war es, die uns zusammengeführt,“ rief Roritzer.

„O, daß es so kommen mußte! Welche Hoffnungen sind mir vernichtet, welchen Wünschen muß ich entsagen! O, laßt es mich Euch gestehen, an eben dieser theuren und doch so feindlichen Stelle laßt mich Euch bekennen … der Augenblick, da ich Euch sah, da mir Eure holde Stimme klang, da Ihr mir entgegentratet, wie eine Lichtgestalt, wie ein versöhnender Engel des Friedens und der Liebe – es war der Wendepunkt meines Daseins, der Morgenstrahl der seligsten Zukunft … und Alles, Alles dahin? Unwiederbringlich dahin?“

Er war ganz nahe getreten, hatte sich auf ein Knie vor ihr niedergelassen und beugte sein Angesicht über die theure, nur schwach widerstrebende Hand.

Dann sah er empor zu ihr und lange verharrten sie schweigend; tief, innig, untrennbar ineinander verschlangen sich ihre Blicke.

„Es sind dunkle Pfade, die der Himmel uns führt,“ sagte sie dann, „und so wenig Zeit nur ist uns gegönnt, daß die Schranken und Bedenken des Lebens zwischen uns eingesunken sind. Was mir sonst zu sagen verboten gewesen, in dieser Stunde brauch’ ich es nicht zu verhehlen… Ja, mein Freund, der Augenblick unserer Begegnung hat auch über mich entschieden … er wird das Kleinod meines Lebens sein! Damit sei’s geschieden … lebt wohl und gedenket mein!“

„Und keine, keine Hoffnung des Wiedersehens?“ fragte Roritzer und seine Stimme brach.

„Keine …“ hauchte sie erschüttert entgegen… „keine, als bis die Glocken von Eurem Dome sie einläuten! … Geht, Euer großes Werk wartet Euer, mich laßt dem meinigen … es ist die Trauer um den unglückseligen, theuren Todten, das Gebet für seine Seele und die Sühne meiner Schuld vor dem Ewigen… Lebt wohl! …“

Sie riß sich los, die Thür schloß sich hinter ihr; eine Weile noch starrte Roritzer wie betrübt ihr nach, dann schritt er durch die Nacht dem Dome zu.


4.

„Der Mai ist ‘kummen
„Ins Land herein,
„Mit Pfeifen und Trummen
„Und mit Schalmei’n.
„Ausstreuet er baß
„Laub, Blut und Graß
„Zum Wandel meinem frummen
„Herz-Schätzelein!“

So tönte es von einer tiefen vollen Männerstimme gesungen aus dem Domkreuzgange in den klaren Abend hinein, aus der Ecke wo der große Steinwürfel mit den Werkzeugen all’ Derer lag, die am Dome schon mitgebaut; in den Gesang mischten sich fast gleichmäßig die Schläge von Hammer und Meißel, womit Roritzer den grünlich grauen Sandstein bearbeitete, Die letzten wenigen Wochen hatten ihn sehr verändert: sein Blick war noch ernster und beinahe finster geworden, seine Wangen waren verblichen und die Locken noch reicher mit Silber besprengt.

Nach dem Gesange ließ er wie ermüdet die Werkzeuge sinken und sah innehaltend durch den Bogen des Kreuzgangs in das davon umfaßte kleine Gartenland hinaus, wo der Frühling begonnen hatte, das Gemäuer mit den ersten frühen Knospen, des Weinlaubs zu zieren und mit den rosigen Blüthen der Aprikose, deren mandelartiger Duft leise, aber wohlig in der Abendluft schwamm. Es war still draußen und friedlich, nur einige Bienen summten, die über dem Reiz der Blüthenlese und des ersten Ausflugs der Heimkehr zu vergessen schienen. Es war, als sinne der Meister über den Fortgang des Liedes nach, das in seinem Innern aufgegangen, wie draußen die Blätter und Blüthen; darüber ward er nicht einmal gewahr, daß der alte Loy eingetreten war und, um den Freund nicht zu stören, in der Ecke als stummer Hörer und Zuschauer lehnte.

Nach einer Weile hob Roritzer wieder zu singen an:

„Komm’,“ ruft vermessen
Das Röslein guot,
„Mit mir zu messen
„Der Wänglein Roth!
„Komm’, Meigelein!“[1]
Ruft’s Veigelein,
„Sag’ an – hast uns vergessen
„Oder bist Du todt?“

Der Bildschnitzer wiederholte einstimmend den Schluß. „Veigelein und Rose haben gut rufen,“ sagte er dann traurig. „Herzschätzelein – das Meigelein hat sie nicht vergessen und ist nicht todt, aber es giebt Antwort hinter Gitter und Eisenpfort …“ Und in der Weise des Liedes fortfahrend sang er mit seiner zitternden Stimme:

„… Ich hör’ Euch schon
„Zieht nur davon –
„Dieweilen ich geworden
„Ein’ schwarze Nonn’!“

„Loy!“ rief der Dommeister und sprang erschüttert auf; das Geräth fiel dumpf zu Boden. „Versteh’ ich Dich recht? Ein Märlein lautet so – ein altes Lied … Geht Dir das durch den Sinn oder wäre Wahrheit in dem Gesang? …“

„Du mußt übel denken von meiner Kundschaft in der edlen Meistersingerei,“ erwiderte der Bildschnitzer. „Glaubst Du, ich vermöge nicht, in den blauen Kornblumenton, den Du angestimmt, einzusetzen und reimweis zu sagen, was ich meine und was ich selber gedacht? … Ich komme aus dem Niedermünster und habe zugeschaut, wie ein jung jung edel Fräulein den Schleier nahm …“

„Ich hab’ es geahnt …“ seufzte Roritzer, indem er auf den Stein niederglitt; er senkte Kopf und Angesicht in die aufgestützten Hände – kein stärkerer Athemzug, kein Laut, keine Bewegung verrieth, was in ihm vorging. Auch Loy ehrte den Schmerz des Freundes und schwieg.

(Schluß folgt.)




Scenen und Bilder aus dem Feld- und Lagerleben.
8. Kriegsleben im Spessart.


Wer doch die wahrhaftige Geschichte vom siebentägigen Zündnadelkrieg schreiben könnte! Aber noch viele Jahre werden dahingehen, bis dies möglich ist. Die Zeit muß erst die Leidenschaften abkühlen, die Vorurtheile wegklären und vor Allem manches Räthsel und Geheimniß lösen. Vieles ist in Nacht und Grauen gehüllt. Schlechte Führung war es nicht allein, auch die Diplomatie hat ihren Antheil an den Niederlagen. Wer hätte das ahnen können, daß unsere süddeutschen Contingente, auf welche die

  1. Provincielle Abkürzung für Margarethe.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_588.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)