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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Hat er nicht, Meister Hörhamer? Was braucht’s zu wählen, wo solche Männer da sind; wem könnte ich meine Stimme geben, als Dir?“

„Und ich Dir?“ erwiderte der Schuster, indem er ihn umarmte und küßte. „Wo ist ein Meister, der seine Wolle schöner krempelt, als Du? Hat Dein Tuch nicht einen Glanz, als käm’ es geraden Weges aus Brabant? Kann man einen bessern Rathsherrn finden?“

„Sicher nicht!“ rief Loy, den der Aerger immer toller machte. „Krempeln, scheeren und auf den Glanz herrichten, das sind ja die Haupterfordernisse eines Rathes! Aber Eines haben die neuen Herren vom Rath doch vergessen: ein Oberhaupt muß sein, ein Oberhaupt ist immer gewesen in Regensburg. Ihr kommt also doch nicht los von der Wahl, drum nur frisch drauf los! Wer soll Stadtkammerer sein?“

„Wer sonst, als unser Anführer, als Meister Wolf Roritzer?“ rief der Zinngießer. „Wir müssen ihm doch eine Ehre anthun und zeigen, daß wir was auf ihn halten!“

„Ja, ja, der Dommeister!“ riefen Viele. „Roritzer soll Stadtkammerer sein!“

„Alles recht!“ rief der Tuchscheerer dazwischen. „Ich hab’ nichts auszusetzen an dem Herrn, er hat sich weidlich um uns angenommen. Er soll alle Ehr’ dafür haben; aber wenn wir ihn zum Stadtkammerer machen, wer steht uns dafür, daß er uns nicht über den Kopf wächst? Daß er sich zu den Herren schlägt und auch übermüthig wird?“

„Hört, Genossen,“ sagte der Schneider wieder und legte nachdenklich den Finger an die Nase, „mir fällt ein Ausweg ein.“

„Redet!“ riefen Alle. „Hört den Schneider, was er herausstichelt!“

„Hört,“ begann derselbe wieder und faßte vertraulich die Hände der ihm Zunächststehenden … „Gemeiner Stadt Kammerer hat zu allen Zeiten große Macht und große Macht ist große Versuchung. Und beten wir nicht jeden Tag: ‚führe uns nicht in Versuchung‘? Ist es also erlaubt, daß wir einen schwachen Christenmenschen in Versuchung führen und vielleicht zum Uebermuth verleiten, indem wir ihn zum Kammerer erheben? … Was sagt Ihr nun dazu, wenn ich vorschlage, Jeder soll Kammerer sein? Das Amt soll wechseln, alle Woche soll ein Anderer die güldene Kette tragen?“

Wieder ertönte lauter, beifälliger Zuruf; der Bildschnitzer aber hielt nicht länger an sich. „Meister Wastel,“ rief er unter lautem Lachen, „Ihr seid ein großer Mann, Ihr habt das Ding wirklich, wie ein alt lateinisch Sprüchlein sagt, mit der Nadel getroffen! Ja, Ihr Alle seid Rathsherren und die güldene Kette soll umgehen, wochenweise, wie in den Dörfern draußen der Nachtwächterspieß oder der Hirtendienst.“

„Es ist, wie ich gesagt,“ murrte der Tuchscheerer, „der Wanst will uns narren, das will ich ihm legen …“

Er wollte vor und auf Loy zu, aber eine Schaar herbeieilender Männer schob sich dazwischen; es war der Schmied von Weih-Sanct-Peter, der mit Einigen die Rathhausstiege herabkam, ein mächtiges Buch in der Hand. „Da seht, Männer und Freunde,“ rief er schon von ferne, „seht, was ich für einen Fund gemacht! Dieweil Ihr den Keller besorgt, hab ich ein bischen die Schreibstube gemustert und diesen Folianten entdeckt! Es ist das Rugbuch für die kleinen Frevel und Vergehen, für die wir gestraft wurden … seht einmal, Meister Hörhamer …“

„Was, Meister?“ entgegnete der Schuster. „Damit ist’s vorbei, ich bin Rathsherr geworden!“

„Rathsherr? Ei, wer hat Euch denn dazu gemacht?“

„Ich selbst! Wir Alle sind Rathsherren, wir haben uns selbst dazu gemacht!“

„So? Dann will ich’s auch sein, Ihr sollt kein Vorrecht haben vor mir. Dann wollen wir gleich das Buch durchblättern und Rath schlagen über das, was drinnen steht.“

„Und wollen uns die Strafen wieder herauszahlen lassen aus der Stadt Säckel,“ rief der Schneider. „Wenn wir die Obrigkeit sind, können wir doch keine Strafe zahlen? Es ist noch kein halb Jahr, da bin ich gebüßt worden um ein halb Pfund Heller, weil ich Einem, der nach des Raths Kleiderordnung nur wollen Gewand tragen sollt, ein seiden Wamms gemacht.“

„Und deswegen eine Strafe? Ist das erhört?“ schrie der Schuster. „Ihr steht auch hier, Rauhenfelser … weil Ihr mit offenem Licht in Eure Wollkammer gegangen! Und Ihr, Nachbar Metzger, weil Ihr zwei Schweine geschlachtet und nur eins angezeigt, Ihr steht hier mit vier Gulden Strafe.“

„Was?“ schrie der Metzger entgegen. „Mit vier Gulden? Und vierzehn hab’ ich zahlen müssen? Wo sind die andern zehn geblieben? In wessen Säckel sind die gefallen? Das will ich wissen, ich will das Geld wieder heraus haben …“

„Ihr sollt,“ sagte der Schmied. „Wir wollen das Buch durchgehen und Jeden hören, der drinn’ genannt ist, und wollen’s niederschreiben, um was ein Jeder verkürzt ist und geschädigt … Wenn der Dommeister noch nicht fort wär’, müßt’ er die Beschreibung mitnehmen zum Kaiser.“

Die Versammlung drängte näher um das Feuer zusammen; es ward aufgeschürt und frisch Holz zugeworfen, daß es heller loderte. Der Tuchscherer hatte sich des Buches bemächtigt und las vor, die Andern hörten zu und machten ihre Bemerkungen, der Schneider hatte ein leeres Blatt herausgerissen und schrieb auf den Knieen auf, wer eine Beschwerde vorbrachte.

(Fortsetzung folgt.)




Der Rigi des Salzkammergutes.


Den Wanderer, der am frühen Morgen von Ischl, dem weltbekannten Soolbade und vornehmen Sommerfrischorte in den Alpen des oberösterreichischen Salzkammergutes, ausgezogen ist und längs des gleichnamigen Flüßchens wandert, umfängt bald ein frischgrüner Wald. Das Gras erglänzt von Thautropfen, schöner als ein perlenbedeckter Teppich, würzige Luft weht entgegen, blinkend, schäumend, murmelnd begleitet das Bergwasser den Wanderer, der zuweilen in das Dickicht hineinlauscht, wo die Vögel singen. Nachdem er so auf der Straße gen Salzburg eine Stunde gegangen, sieht er schon einen Zipfel des St. Wolfgangsees; immer großartiger entfaltet sich der landschaftliche Charakter der Gegend, bald zeigt sich ein weiter, azurner Spiegel, von mächtigen bewaldeten Bergen umschlossen. An der Mitte des Sees, wo sich dieser verengert, liegt St. Wolfgang. Es ist ein alter, in den See hineingebauter Marktflecken, dessen gothische Kirche, die aus dem Jahre 1481 stammt, seit uralter Zeit ein Ziel von Wallfahrten ist. In der Pfarrei daneben nahm Kaiser Leopold der Erste während der Belagerung Wiens durch die Türken 1683 seine Zuflucht. Drüben, am westlichen Seeende, schaut mit weißen Mauern St. Gilgen herüber. Nachdem man im Wirthshaus ein gutes Frühstück genommen, thut man gut, in einem Kahn gegen St. Gilgen zu zu fahren. Bald blickt uns die jäh ansteigende graue Falkensteiner Wand entgegen, wo ein merkwürdiges Echo ist. Dann mag man aussteigen und die Anhöhe hinangehen.

Die Falkensteiner Wand war einst gleichfalls ein berühmter Wallfahrtsort und ist es zum Theil noch immer. Dort lebte in gottgefälliger Verwilderung der heilige Einsiedler Wolfgang, jetzt der Schutzpatron der Schafe. Man sieht die in den Stein gehauene Einsiedelei, jetzt eine Capelle, und die Bettstelle des Heiligen in Stein, der sich nach der Form seines Leibes eingedrückt hat. Auch eine besonders gesunde Quelle ist da. Der Gottesmann hat sie durch sein Gebet aus dem Felsen hervorgelockt. Daneben sieht man ganze Mauern aufgeschichteter Steine, von denen manche über einen Centner wiegen mögen. Diese wurden mit monatelanger, vielleicht jahrelanger Anstrengung von Büßern hinaufgerollt, deren Seele sich entlastete, je weiter der Stein kam. Grüne Tannen überschatten, frische Moose umhüllen jene Denkmale eines nur noch in Ueberresten vorhandenen Wunderglaubens.

In der Nähe des wunderlieblich gelegenen St. Wolfgang, wohin wir zunächst zurückkehren, um uns seine alte Kirche mit ihrem herrlichen, kunstreichen Altare zu beschauen, erhebt sich zwar nicht der höchste, doch einer der auch draußen außerhalb Oesterreichs berühmtesten Berge, der Schafberg, den man wohl und nicht mit Unrecht den Rigi der österreichischen Alpen zu nennen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_572.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)