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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

diese Lage gebracht? Ich habe jenen Mann nie beachtet, weil ich nichts gemein hatte mit ihm; jetzt, da er sich mir in den Weg gedrängt, da er mich in der Erniedrigung gesehen und heut’ zu triumphiren vermeint über mich, jetzt hass’ ich ihn und nichts soll mich anhalten auf der Bahn meines Hasses! Sieh zu, Tochter des Bürgerweibes, wie Du das Wort lösest, das Du dem Bürger gegeben … ich bin zu Ende mit Dir …“

Mit diesen Worten öffnete er die Thür. Margarethe wollte noch einen Versuch machen, ihn festzuhalten, allein eh’ sie ihn erreichte, schlugen die Flügel krachend in’s Schloß; unsicher, die Hände vor den Augen, die nun erst Thränen fanden, glitt sie an der Schwelle zusammen.

Indessen bot der Platz vor dem Rathhause ein eigenthümlich wildes, wirr ineinander wogendes Bild. Die Hauptmacht der Bürger hatte sich dort gelagert, von dort gingen die Wachen und Runden nach allen Seiten ab und in der Mitte war ein mächtig Feuer angeschürt, um das die Zurückgebliebenen oder Neuankommenden sich lagerten. Finster schauten das Rathhaus und die andern Gebäude in das Treiben hernieder; der Flammenschein reichte nicht weiter, als ihre unteren Geschosse und Mauern zu erhellen, darüber hinauf ward es völlig dunkel, denn der Mond, der zwischen den Dachgiebeln hereinsah, verbarg sich immer wieder hinter das schnell ziehende Gewölk, als verdrieße es ihn, mit seinem bleichen Glanze den Kampf mit der rothen Gluth aufnehmen zu sollen. Unfern des Feuers war der Eingang in den Rathskeller weit geöffnet und Einige waren eben daran, ein ansehnlich Fäßlein an Stricken über die Stufen heraufzurollen oder zu ziehen; Meister Hörhamer, der Schuster, saß auf einem schon ausgeleerten Fasse und schien für den Augenblick als der Anführer zu gelten; Schneider Wastel, Zinngießer Bauer, Tuchscheerer Rauhenfelser, ein Gerber und ein Metzger hatten sich wie seine Unterbefehlshaber um ihn gereiht. Der Schuster hatte dem Humpen weidlich zugesprochen, sein gelbes Antlitz fing an, wie eine Kohle sich zu röthen, und das Haar hing wirr und unordentlich um die Stirn; an seiner Seite sah Loy’s weißes Haupt fast ehrwürdig und rührend aus. Der Meister war wie eine unter Krähen gerathene Taube, machte ein gar wunderliches Gesicht und lugte nach allen Seiten, ob sich nicht ein Vorwand finden lasse, sich der unangenehmen Cameradschaft zu entziehen. Es ging aber nicht an, die Bürger ließen ihn nicht aus den Augen; weil der Dommeister, ihr Anführer, zum Kaiser geritten, sollte mindestens sein vertrauter Freund an seiner Stelle unter ihnen sein und sie dachten wunder, welche Ehre sie dem Alten damit anthaten. Es konnte zwar nicht fehlen, daß der wilde, scharf bewegte Anblick auch sein künstlerisches Auge fesselte, aber der Ernst dessen, was er um sich vorgehen sah, störte ihn immer wieder auf und ergriff ihn, daß er nicht wußte, wie er sich verhalten sollte. Manchmal däuchte ihm das Gebahren der über und über bewaffneten und doch so unkriegerischen Zunftgenossen so eigen, daß es ihn anwandelte, laut aufzulachen, und doch kam er nicht dazu, denn es grämte und wurmte ihn innerlich, und eh’ er es dachte, waren ihm die Augen naß.

„So recht,“ rief Hörhamer den Genossen zu, welche eben das neue Faß aufspündeten und so kunstgerecht bereiteten, als hätten sie Zeitlebens kein ander Gewerbe betrieben, als das eines Küfers und Zapflers. „So recht, da thut sich ein neu Goldbrünnlein auf! Das ist Gewächs von Wörth; hätt’ mein Tage nicht geglaubt, daß dort solch ein Tröpflein gedeiht, hab’ immer gedacht, wenn ich an den Weingärten vorüberkam und sah die Trauben hängen, es wären nur Herlinge, die einen sauren Krätzer gäben, wie er bei Landshut wächst im Baierland!“

„Aber ob es wohl erlaubt ist?“ fragte der Tuchscheerer und drehte den Hahn, seinen Humpen volllaufen zu lassen. „Ob wir das Recht haben, den Wein aus dem Rathskeller so mir nichts dir nichts herauszuholen? Was wird der Dommeister dazu sagen?“

„Der Dommeister?“ entgegnete Hörhamer. „Der wird nichts sagen, behaupt’ ich, und ich habe zweifache Probe für meine Behauptung; erstlich wird er nichts sagen, weil er nicht da ist, weil er zum Kaiser geritten und jetzt wohl schon über Straubing hinaus sein muß, und zum Zwoten wird er nichts sagen, weil er nichts sagen kann! Warum nennst Du das Weinlager da drunten den Rathskeller! Falsch, sag’ ich Dir, es ist der Regensburger Stadtkeller, wir müssen uns plagen, müssen wachen und die Arbeit versäumen, Alles für gemeiner Stadt Wohlfahrt, es ist nicht mehr als billig, daß die Stadt uns zu trinken giebt! Sagt, Meister Loy,“ fuhr er fort, indem er sich etwas unsicher erhob und ihm den Becher hinhielt, „sagt, ob ich nicht Recht habe, thut mir Bescheid darauf, dann will ich das Neiglein leeren und wenn ich Recht habe, soll der letzte Tropfen in meiner Gurgel sein!“

Der Bildschnitzer wehrte ab. „Nein, Gevatter,“ rief er, „laßt’s gut sein, es könnte zu viel werden und Ihr wißt wohl, daß wir hier nicht im Rath sitzen, wie es in dem Sprüchlein heißt: ‚Betrunken im Rath, nüchtern zur That‘ …“

„Betrunken?“ lallte der Schuster. „Wer ist betrunken? Stellt mir den vor die Augen, der sagt, daß ich betrunken bin!“

„Versteht mich nur recht, Meister,“ entgegnete Loy, sich zurückziehend, „ich sagte, ich würde betrunken werden; Ihr seid ja nüchtern, wie ein Kind im Mutterleib!“

„Nicht wahr? Nun, da seh’ ich doch, daß Ihr ein Mann von Verstand seid.“

„O, redet nicht von einer solchen Kleinigkeit, Gevatter,“ rief Loy, der seine sonstige Laune nicht mehr zu zügeln wußte. „Ihr macht mich schamroth! Da seid Ihr ganz andere Männer. Was vermögt Ihr zu leisten! Schade nur, daß der Dommeister nicht zugegen ist, er würde seine Freude daran haben, wie Ihr trotz aller Mühseligkeit Euch selber aufrecht zu halten sucht und die Ruh’ und die Ordnung dazu!“

„Heda, Meister,“ unterbrach ihn der Tuchscheerer, „mir kommt’s vor, als wolltet Ihr Euch über uns lustig machen … das könnt Ihr lassen, sonst …“

„Ich mich über solche Männer lustig machen?“ sagte Loy mit betheuerndem Ernste. „Wie könnte mir solches zu Sinn kommen! Ich bin ja die lautere Verwunderung. Der Rath der Stadt ist gefangen und sie steht doch noch; Regensburg ist im Augenblicke ein Weltwunder: es hat den Kopf verloren und trinkt doch seinen eigenen Wein aus …“

Der Zinngießer stieß seinen Nachbar, den Metzger, an und flüsterte ihm zu: „Gieb Acht, der Weißkopf will uns hänseln …“

„Ja,“ rief Hörhamer lachend dazwischen, „gefangen ist der Rath und Regensburg steht doch noch! Was folgt daraus? Das will ich Euch erproben! Daraus folgt Zweierlei, erstlich, daß wir den Rath nicht brauchen, und zum Zwoten, daß, wenn wir einen haben müssen, das Stadtregiment bei uns in so guten Händen ist, als bei den Geschlechtern! Ehrbare Zunft- und Wachtgenossen … was meint Ihr dazu? Ich schlage vor, wir setzen die gefangenen Rathsherren vollends ab und wählen andere dafür!“

„Ja, ja, das wollen wir!“ riefen Alle durcheinander. „Sie sind abgesetzt! Von diesem Augenblick sollen sie es sein!“

„Sehr wackere Freunde und ehrbare Herren,“ rief Loy, sich vordrängend, „Euer Vorhaben ist sicher ebenso löblich wie klug, aber der Augenblick, es auszuführen, scheint mir doch nicht glücklich gewählt! Wie wär’s, so Ihr Euch belieben ließet, sothane Absetzung und Rathswahl zu verschieben, bis Meister Wolf Roritzer zurückgekommen sein wird, den Ihr doch einmal zum Anführer gewählt und dem Ihr Gehorsam gelobt habt …“

„Nichts da!“ rief Hörhamer. „Warum sollen wir verschieben, was gleich geschehen kann? Was wir thun, ist kein Ungehorsam gegen den Dommeister, denn wer nicht befehlen kann, dem kann man nicht ungehorsam sein, und wer nicht da ist, der kann nicht befehlen! Als unsern Anführer muß es ihn freuen, wenn er bei seiner Ankunft ein Stück von der gröbsten Arbeit schon gethan findet!“

„Das mein’ ich auch! Nicht verschieben!“ rief Rauhenfelser. „Wir wählen gleich!“

„Halt!“ rief der Schneider darein. „Nichts übereilt, werthe Zunftgenossen! Warum denn wählen? Sind wir nicht die Anführer der Bürgerschaft in den acht Stadtwachten? Haben wir uns nicht an die Spitze gestellt für Alle und die Beschwerniß und die Gefahr auf uns genommen für Alle? Sollen wir das umsonst gethan haben? Ich vermein’, sind wir die Anführer gewesen im Krieg, so sollen wir auch die Rathsherren sein im Frieden, und darum sollen wir Alle uns selber dazu wählen!“

Ein Geschrei des Beifalls empfing den Vorschlag des klugen Schneiders.

„Daß Meister Wastel ein feiner Kopf ist, hab’ ich immer gewußt,“ sagte Rauhenfelser, „aber für so ausgestochen hätt’ ich ihn doch nicht gehalten! Er hat Recht, Nachbarn und Freunde.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_571.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)