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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Stab, und Du, das eigene Kind, Du wagst es, daran zu rütteln? Dein Sinn ist auf der Seite der andern Partei? Der letzte Sprößling meines alten Hauses will zu meinen Feinden stehen?“

„Vater!“ rief Margarethe, kindlich unbefangen, wie zuvor, aber vor dem Ernst seiner Rede begann ihre Wange sich zu röthen und auch ihr Auge leuchtete, „Vater … bis heut’ hat Dein Gretlein schier nicht gewußt, daß es Parteien giebt … Deine Liebe hat mich davor bewahrt und meine Kindheit ist mir vergangen, wie in einem unnahbaren Zaubergarten, von dem die Märlein sagen … was ein Feind ist, ich weiß es jetzt noch nicht! Gern möcht’ ich’s auch heut’ vermieden haben, solches mit Dir zu reden, aber Du selber zwingst mich, Dein unheilvolles Vorhaben reißt mich willenlos hinein in Kampf und Zwist, der rings umher entbrannt… Manches, was ich nie geschaut, steht vor meinem Blick; was ich geahnt, beginnt mir heller zu dämmern und heller, mir ist als stünd’ ich auf hohem Bergesgipfel und sähe hinaus und hinab über Ströme, Meer und niegesehene Lande: da will es mich bedünken, als wär’ Alles klein unter mir, die Insel, wie die Fluth, als verschwinde ein Jahrhundert hier zusammen wie ein Tag! Es ist etwas in mir, was ich nie gekannt, das ruft mir zu, daß die Welle auch den Felsen unterwühlen und stürzen kann, daß Gott Keinem ein Vorrecht gegeben, daß es herrschen möge über das andere … ich kann nicht fassen, warum es ein so groß Unrecht sein soll, so der Bürger mit seinem Fleiß und seiner Kunst nicht blos dienen, so er das gleiche Recht haben will, wie …“

„Das gleiche Recht?“ rief Lyskirchner außer sich. „Das sagst Du und das Wort stirbt nicht auf Deinen Lippen? Ha, der bloße Gedanke, daß es je so kommen könnte, wär’ im Stande mich irre zu machen an Gott und seiner Vorsehung! Die Zünftler, diese Handwerker, diese schmutzigen Arbeiter sollten sich jemals so weit erheben, sich neben uns zu stellen? Sie dürften es und die Hand, die sie hinunterstößt, wie der Belagerte den anstürmenden Feind von der Leiter stößt, sie beginge wohl gar ein Unrecht, ein Verbrechen? Wisse denn, diese Hand hier scheut nicht zurück vor solcher That, und wenn Keiner es wagt, ich … ich stürze die heranklimmenden Rebellen in die Tiefe zurück, in die sie gehören! Auf meinem Grabe mag einst geschehen, was da will … über mir mögen sie Platz nehmen auf den Stühlen des Raths und der Edlen, aber neben mir … nie! So lang ich athme, nie! …“

„Großvater!“

„Nenne mich nicht so! Wär’ ich das in Wahrheit, Du hättest das nicht zu sprechen vermocht; heißt es doch, daß man an der Frucht erkenne, von welcher Art der Stamm! Aber mir geschieht nur, was mir gebührt, und was ich gepflanzt, ist meine Ernte!“

„Ich verstehe Dich nicht …“

„Du sollst mich verstehen, sollst in dieser Nacht des Unheils erfahren, was Dir verborgen geblieben wäre, hättest Du nicht selbst Dich mir gegenüber gestellt! … Dein Vater war mein einziger Sohn, mein Stolz und meine Hoffnung, in meinen Gedanken erzogen, aufgewachsen nach meinem Sinn als Träger und Vollender manch’ großen Entwurfs; schon hatt’ ich ihm die Frau auserwählt, an deren Seite er mir nur um so fester angehören sollte … ein fürstlich Haus hielt sich nicht für zu hoch, sich meinem Geschlecht zu verschwägern … da kam Kaiser Maximilian in unsere Stadt, er sah Deinen Vater, gewann ihn lieb und ließ nicht ab, bis ich ihm gewährte, daß er ihn mit sich nahm in seinem Gefolge und ihm Großes verhieß für seine Zukunft an Würde und Ehre… Er kam nicht zurück, wie ich ihn entsendet; in dem fröhlichen Treiben am Kaiserhofe zu Wien hatte er mein und meiner Lehren vergessen, der Schönheit flüchtiger Reiz umfing ihn ganz … ein bürgerlich Mädchen, eines Kettenschmieds Töchterlein, ward ihm heimlich angetraut. Mein Hoffnungsgebäude war eingestürzt, mein Zorn kannte keine Grenzen, ich stieß ihn von mir und verbot ihm je wieder vor mir zu stehen und zu sagen, daß er einmal mein Sohn geheißen … Aber er kam dennoch und ich, ich muß es bekennen, ich hatte nicht den Muth, ihn von mir zu stoßen: es war mein Einziger! Der Kaiser sprach für ihn, er deckte großmüthig den Makel der bürgerlichen Abstammung durch Wappen und Adelsbrief … Die weite Entfernung verhieß die Wahrung des unverbrüchlichen Geheimnisses, das ich begehrte; als ein Sprosse fernen, hier unbekannten Geschlechts kam die unwillkommene Tochter in dies Haus, Niemand kannte sie, Niemand hat es je anders erfahren… Das unselige Band währte nicht … sie gab Dir das Leben, um zu sterben und das Geheimniß mit sich zu begraben, um Deinen Vater wieder an den Hof und in Kaisersdienst zu führen … Ich sah ihn nicht wieder, im fernen Flandern ist er als Kriegsmann gefallen! Damit glaubt’ ich das Unheil gesühnt, mit Dir, mit Deiner Hand gedacht’ ich meinem alten Stamm’ ein neues Reis einzupflanzen, mir einen zweiten Sohn zu erwerben, auf den Namen, Wappen und Gesinnung übergehe als würdig Erbe … aber das fremde niedrige Blut verleugnet sich nicht, es wirkt fort in Dir … die Tochter der Bürgerin spricht aus Dir, nicht eines Lyskirchner’s echtes Enkelkind! …“

In immer wachsender Bewegung hatte Margarethe zugehört; je unerwarteter das war, was sie vernahm, desto mächtiger fühlte sie sich davon ergriffen, sie brauchte einige Augenblicke, um Athem zur Antwort zu finden, als der Alte, nicht minder erregt, inne hielt.

„Großvater, rede nicht so,“ rief sie hastig und mit glühendem Blick, „es ist meine Mutter, von der Du sprichst! Wohl hab’ ich nichts von all’ dem geahnt, was Du mir jetzt verkündet, aber es macht den letzten Rest der Dämmerung um mich schwinden, und was ich manchmal dunkel, mir selbst unerklärlich empfunden und geahnt, nun fühl’ ich es deutlich, nun liegt es hell und klar vor mir! Darum rede nicht so, Großvater … der Tropfen Blut, den Du schiltst, ist von meiner Mutter, ich lasse meiner bürgerlichen Mutter Herz nicht schmähen!“

„Und wie redest Du selbst mit mir!“ fuhr Lyskirchner auf. „Welche Blicke sind’s, die Du auf mich zu richten wagst! Welcher Geist ist es, der aus Deinen Worten weht! Hüte Dich, Du trotzig Kind, das sich auf einmal wie eine Heldin aufrichten will und mit seinem Spielzeug wie mit einer Waffe droht! Baue nicht darauf, daß ich einmal schwach gewesen im Leben … damals war ich noch jung, noch weich von Gemüth, seitdem hat mich das Leben starr und stark gemacht und spröde … mich bewegt nichts mehr, aber ich zerbreche, was mich zu beugen sucht! Wähne nicht, in meinem Hause zum andern Mal ein ähnlich Spiel zu treiben … Du verdirbst Dich selbst und jenen Uebermüthigen mit Dir!“

Margarethe sah ihn an, fest und entschieden und doch so kinderhaft, daß er sehen mußte, sie sprach nur, was aus dem Grund ihres Wesens kam. „Ich verstehe Dich wieder nicht, Großvater,“ sagte sie, „ich weiß nicht, ob ich noch vor einem Geheimniß stehe, das Du mir zu enthüllen sinnst, aber fest und gewiß steht Eines vor meinem Gemüth! Ich habe Dich geliebt, Großvater, so ist Niemand geliebt worden, seit die Erde steht; ich habe nur an Dich gedacht, habe einzig für Dich gelebt, es war, weil ich Dich ehrwürdig vor mir stehen sah, den Inbegriff von Allem, was ich als edel erkannt, als wacker und mannhaft Rede nicht so, Vater, Du lockerst die Wurzeln, die mein Herz an Deinem halten, wenn Du Dich selbst befleckst und Dein Bild in mir entweihst!“

„Beflecken? Das wagst Du mir zu sagen?“

„Ja, ich wag’ es; noch einmal erkühn’ ich mich, Dich zu bitten, Dich zu beschwören, gieb Dein Vorhaben auf! Verlasse Regensburg nicht, eh’ es wieder Frieden hat; folge mir und meinem Gefühle, und wenn es Dich auch fremd anmuthet, es ist doch das Rechte, was aus mir spricht, ich fühl’ es in mir mit der Gewißheit des Siegs! Noch einmal laß mich Dich mahnen an Dein verpfändet Wort, und wenn eines Andern Treubruch Dich davon frei gemacht hätte, sei Du edler als er … Du, Mann aus dem fürnehmen Stamm, beschäme den niedrigen Bürger und sei edler als er!“

Lyskirchner hatte sich selbst und seine Ruhe wieder gefunden. Gelassen erhob er sich, leerte die Neige des Bechers und schlug den Mantel wieder um seine Schultern.

„Du redest umsonst,“ sagte er kalt, „und redest im Wahnwitz! Wann hätte ich mein Wort verpfändet und wem?“

„Das kannst Du fragen, Großvater? Wär’ es möglich, daß Dein adeliger Sinn sich daran zu hängen, sich hinter so armseliger Ausflucht zu bergen ertrüge? Wenn auch nicht Dein eigener Mund das bindende Wort ausgesprochen … ich that es statt Deiner, ich bin Bürge geworden für Dich“

„Wer hieß Dich, es zu thun, Thörin? Soll ich gebunden sein durch das übereilte Wort eines verblendeten Weibes? … Laß mich los,“ fuhr er heftiger fort und schleuderte die an ihn sich Klammernde unsanft zurück … „Warum hast Du mich in

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